Das Ballhaus Wedding ist ein Ort der Lebensfreude. Das Programm reicht von Seniorendisco bis Poetry Slam. „Vielfalt ist hier Konzept“, sagen die Inhaber.

Es kam vor, dass „ 20-jährige Influencerinnen auf der Toilette Fotos gemacht haben“, erzählt Djamila Rempel. Das war einer der Momente, in denen der 46-Jährigen klar war, dass sie alles richtig gemacht hat. Es seien ja nicht nur die jungen Frauen, die ganz aus dem Häuschen sind, wenn sie das WC im Keller des Ballhauses Wedding betreten, ergänzt ihr Mann Robert Bittner. Auch ältere Menschen zücken dort das Handy, um Fotos zu machen, sagt er und erklärt: Eine Boulevardzeitung hat das Ballhaus-WC zur schönsten Toilette Berlins gekürt.
Es ist nicht nur das Örtchen im Keller, das beeindruckt. Das ganze Ballhaus wirkt wie aus der Zeit gefallen. „Eine der größten Sammlungen von Gründerzeitmöbeln in Berlin“ sei da zusammengekommen, sagt Bittner. Viele der Möbel sind etwa 125 Jahre alt. So alt wie das Ballhaus selbst. 1889 wurde es eröffnet. Es ist damit eins der ältesten Ballhäuser in der Stadt. Etwa 220 habe es davon gegeben, erzählt Bittner. Zurzeit seien es noch fünf oder zehn – je nachdem, wie man Ballhaus definiert.
Rocker-Clubheim und Fotostudio
Einige, erklären Djamila Rempel und Robert Bittner, vermieten ihre Location nur – für Hochzeiten, Firmenfeiern und Geburtstage. Das tun die beiden auch im Wedding. Sie bieten aber auch eigene Veranstaltungen. Die Palette reicht von Konzertabenden über Seniorendisco und Tanztee bis zu Poetry Slam. „Vielfalt ist hier Konzept“, sagt Bittner. Und natürlich ist ein Ballhaus „ein Ort, an dem getanzt werden soll“, ergänzt seine Frau.
Die Geschichte des Ballhauses, das sich hinter einer eher unscheinbaren Fassade in der Wriezener Straße versteckt, ist typisch fürs Berlin am Ende des 19. Jahrhunderts. Vorne war eine Gastwirtschaft, dahinter wurde ein Ballsaal mit Kegelbahn angebaut. In den 1920er-Jahren, also ausgerechnet während der Zeit, in der Berlin sein goldenes Zeitalter feierte, wurde im Ballhaus Wedding nicht getanzt. Die Räume wurden als Glaserei und Vergolderei genutzt – bis zum Mauerbau. „Da haben sich die Inhaber entschieden, nach Köpenick zu gehen, weil sie von dort stammten“, hat Bittner in Erfahrung gebracht.
Danach wurde das Ballhaus zum Vereinsheim für einen berüchtigten Motorradclub. „Die haben im Ballsaal an ihren Motorrädern geschraubt und haben wilde Partys gefeiert“, erzählt Bittner. Nach der Wende wurde das Gebäude verkauft. Die Käuferin habe sich aber in den Architekt, den sie mit den Sanierungsarbeiten beauftragt hatte, verliebt und sei nie in das Haus eingezogen. Immerhin: Die Hochzeit der beiden fand im Ballsaal statt.
Aus dem Ballhaus wurde ein Fotoatelier. Die Fotografen, die das Gebäude gemietet haben, bauten einen Wintergarten an. Das Parkett, dass sie dort verlegen ließen, haben sie den Filmstudios in Babelsberg abgekauft. „Auf diesen Brettern hat schon Marlene Dietrich getanzt“, sagt Djamila Rempel. Im Wintergarten ist inzwischen eine Bar eingerichtet. Im Sommer können sich die Gäste auch raus in den Garten setzen. Nach etwa 15 Jahren sei den Fotografen das Ganze zu teuer geworden. Die Räume wurden für selbst organisierte Feiern vermietet. 2020 sind so auch Rempel und Bittner mit der Vermieterin in Kontakt gekommen.
Djamila Rempel arbeitete als Lehrerin, hatte aber aus der Studienzeit Gastronomie-Erfahrung. Aus ihrer Leidenschaft für den argentinischen Tango heraus entwickelte sie das Tanzmodelabel Plumita und eröffnete im Berliner Tangoloft einen Laden. Sie wurde Barchefin im Tangoloft und übernahm das Veranstaltungsmanagement. Robert Bittner ist Schauspieler, war auf einigen Bühnen in Deutschland unterwegs, spielte in einigen Filmen. Seit gut zehn Jahren dreht er als Regisseur auch selbst Filme. Und er arbeitete ebenfalls im Tangoloft als Veranstaltungsmanager.
„Mich interessieren kommerzielle Veranstaltungen nicht so sehr, ich komme aus dem Kunstbereich“, sagt er. Deshalb habe das mit dem Tangoloft keine Zukunft gehabt. Es sollte etwas eigenes sein. „Ich war an vielen Theatern in Deutschland. Selbst in die Verantwortung zu gehen und Intendant sein, fand ich spannend“, erklärt er. „Und wir mögen das mit den alten Möbeln“, sagt Djamila Rempel.
2020 haben die beiden die Räume im Keller des Hauses neu gestaltet, um dort Veranstaltungen zu machen. Es war nur eine Kooperation mit der Eigentümerin, noch kein fester Mietvertrag. Zum Glück, wie die beiden sagen. Denn kaum hatten sie angefangen, kam Corona – und nichts ging mehr. Zumindest nicht das, was geplant war. Stattdessen fingen Djamila Rempel und Robert Bittner an, mit alten Möbeln zu handeln. Das brachte genug Geld, um nach der Pandemie 2022 einen langfristigen Mietvertrag fürs Ballhaus abzuschließen und die Räume schuldenfrei im Stil der Gründerzeit des Gebäudes zu gestalten. „Wir haben viele der besten Möbel für uns selbst behalten – und die stehen nun alle hier“, sagt der 47-Jährige.
Auch ein Ort für Leute mit wenig Geld

Rempel und Bittner brennen für die Kultur. Kommerzielle Veranstaltungen sind aber dennoch notwendig, um das Ballhaus am Laufen zu halten. Deshalb werden die Räumlichkeiten auch wieder für Firmenevents, Hochzeiten und andere Familienfeiern vermietet. Und für Dreharbeiten. Szenen für den aktuellen Kinofilm „Münter & Kandinsky“ wurden zum Beispiel im Ballhaus gedreht. Durch diese Einnahmen könne man nicht kostendeckende Kulturveranstaltungen „querfinanzieren“, sagt Bittner. Obwohl das Ballhaus so gut wie keine staatliche Förderung bekommt, bietet es nämlich auch ermäßigte Karten an – und auch mal ein komplett kostenloses Konzert für Menschen, die sich das nicht leisten können.
Aber auch wenn das Ballhaus Geld für Miete, Künstlerinnen und Künstler braucht und auch seine Betreiber von etwas leben müssen – für Geld machen Rempel und Bittner nicht alles. Als die beiden vor einigen Wochen von einer Zeitung darauf hingewiesen worden sind, dass der „Ball der Vernunft“, der bei ihnen im Wedding steigen sollte, eine Veranstaltung extrem rechter Gruppierungen ist, haben sie den Vertrag sofort gekündigt. Sie seien getäuscht worden, sagt Bittner. Und als klar war, wer hinter der „harmlosen Person“, die die Räume angemietet hat, stand, und der Vertrag gekündigt wurde, gab es Stress und plötzlich massenhaft schlechte Bewertungen fürs Ballhaus im Internet.
„Wir haben gezittert, ob nun irgendwelche Nazischläger bei uns auftauchen“, sagt Bittner. Aber bisher sei es ruhig geblieben. Bittner und Rempel betonen: Das Ballhaus sei ein Ort der Vielfalt. Daher sei klar: „Wir wollen hier keine Nazis haben.“ Influencerinnen, die Fotos aus der Toilette auf Instagram posten, und alte Menschen, die vor lauter Lust am Leben den Ballsaal rocken, sind dagegen immer willkommen.