Hertha BSC verspielt den erforderlichen Sieg gegen den VfL Bochum. Mit Folgen: Damit steht die Alte Dame als erster Absteiger fest.
Es lief bereits die Nachspielzeit am vergangenen Sonnabend, und beim Spielstand von 1:0 schien die „Alte Dame“ zumindest ihre Chance auf den Klassenerhalt wahren zu können. Hertha BSC brauchte schließlich zwingend einen Sieg im Heimspiel gegen den VfL Bochum, um dem sicheren Abstieg aus der Bundesliga nach dem vorletzten Spieltag der Saison 2022/23 entgehen zu können. Wie nah Wohl und Wehe dabei lagen, offenbarten die letzten Minuten der Partie: Lucas Tousart hatte per Kopfball nach einer guten Stunde das so wichtige Führungstor für die Hauptstädter erzielt, doch in den letzten Zügen wurde es noch einmal richtig dramatisch. Ein noch abgefälschter Schuss von Bochums Keven Schlotterbeck landete am Pfosten des Hertha-Tors, ließ die Fans der Berliner erst einen Moment den Atem anhalten und dann in Jubel ausbrechen. Nur wenige Sekunden später sollte ihnen dann selbst der Torschrei im Hals stecken bleiben: Der eingewechselte Chidera Ejuke traf mit seinem Abschluss ebenfalls nur Aluminium und verpasste damit die Chance, die Weichen auf Vertagung des Abstiegs zu stellen. Dennoch feierten die Anhänger im noch einmal mit 70.000 Zuschauern gefüllten Olympiastadion den nahenden Erfolg – bis die Euphorie angesichts des Bochumer Ausgleichstreffers ein ebenso jähes wie lapidares Ende fand. Ein Eckball flog in der vierten Minute der Nachspielzeit in den Hertha-Strafraum, und trotz Getümmels fand er den Weg zum sträflich unbeaufsichtigten Schlotterbeck, der zum 1:1 einköpfte. Nun spielte sich die Ekstase nur noch im mit 10.000 Bochumern gefüllten Gästebereich der Arena ab – während die Stimmung im Rest des Stadions von hier auf jetzt in sich zusammenfiel. Einige Böller flogen aus der Ostkurve, mehr war nun von Berliner Seite nicht mehr zu vernehmen. Zwar wurden noch weitere drei Minuten gespielt, doch der Ausgleich hatte sowohl auf dem Platz als auch auf den Rängen eine Schockstarre zur Folge, die keine Auswirkungen mehr auf das Resultat zuließ. Natürlich hatte Hertha BSC den Abstieg nicht erst an diesem Nachmittag verursacht – zu viele Fehler waren auf dem Platz im Verlauf der Spielzeit (und selbstverständlich auch abseits davon) begangen worden. Der Abstieg hatte sich somit bereits lange angekündigt, vielleicht sogar – wie mancher Experte im Anschluss des Spiels befand – auch bereits schon in den Jahren zuvor. Irgendwie hatte man sich immer noch durchgewurstelt – vergangene Saison dann sogar erst im Rückspiel der Relegation, nachdem man die erste Partie auf eigenem Platz gegen den HSV bekanntlich noch verloren hatte. Doch dieses Jahr lief es so schlecht, dass es am Ende nicht einmal für die Ausscheidungsspiele gegen den Zweitligadritten reichen sollte.
Dramatische letzte Minuten
Personell waren die Voraussetzungen dabei durchaus kompliziert: Mit Filip Uremovic und Marc Kempf fehlten gleich beide Verteidiger, die im Abwehrzentrum von Pal Dardai – wenn auch mit wechselhaftem Erfolg – zuletzt zum Stammpersonal auserkoren worden waren. Der Kroate hatte das 2:5-Debakel in Köln dabei weitgehend verpasst, weil er beim ersten Gegentor eine Kopfverletzung davon trug, die zu seiner frühen Auswechslung und einer Pause wegen Gehirnerschütterung führte. Im Fall von Kempf ließ eine Rippenprellung einen Einsatz im „Abstiegsfinale“ nicht zu. Also stellte Herthas Trainer um: Marton Dardai rückte aus dem defensiven Mittelfeld in die Innenverteidigung, an seiner Seite kam Agustin Rogel in die Startelf. Der Uruguayer hatte in Köln dabei bereits Uremovic ersetzt, blieb jedoch vor allen Dingen dadurch in Erinnerung, dass er den schnellen Kölner Angriffen meist nicht folgen konnte. Dazu setzte Pal Dardai im defensiven Mittelfeld noch mal auf die Leader-Qualitäten von Kevin-Prince Boateng an der Seite von Tousart. Dagegen ließ er Kapitän Marvin Plattenhardt und Florian Niederlechner zunächst außen vor, für sie rückten Maximilian Mittelstädt und Suat Serdar ins Team. Glück hatte Hertha BSC auch einmal mehr nicht mit dem VAR – denn nach einem Zweikampf im Mittelfeld, in dem sich Stevan Jovetic durchgesetzt hatte und dann Dodi Lukebakio sehr gut bediente, konnte der Belgier Mitte der ersten Halbzeit das 1:0 erzielen. Dachten viele Fans im Stadion jedenfalls – sicher auch, weil sie es sich so sehr wünschten, aber weil es bei normaler Stadionsicht auch nicht wirklich zu erkennen war, was in der Entstehung regelwidrig gewesen sein könnte. Bei Ansicht der Videobilder allerdings erkannte Schiedsrichter Felix Brych, dass sich Jovetic gegen Ivan Ordets durch Ziehen am Trikot einen Vorteil verschafft haben soll. Weil der Bochumer in der Situation mit seinem linken Arm selbst nicht inaktiv war, hätte man vielleicht auch auf „ausgleichende Ungerechtigkeit“ oder normale Zweikampfhärte entscheiden können. Tat der Unparteiische aus München allerdings nicht, und daher blieb die so wertvolle Führung aus dem Nichts vorerst aus. Denn im ersten Durchgang war die Mannschaft aus dem Revier das aktivere Team mit einem Plus bei den ohnehin wenigen Chancen. Nach dem Seitenwechsel änderte sich jedoch zunächst das Bild, nun drängten die Hauptstädter und gingen nach einer Standardsituation in Führung. Das jedoch war wiederum der Startschuss für die Bochumer, um auf den für sie so wichtigen Ausgleich zu drängen – mit dem beschriebenen späten Happy-End für die Gäste, das erst zur Schockstarre bei den Berlinern und kurz darauf mit dem Abpfiff der Partie zum sicheren Abstieg aus der Bundesliga führte.
Viele Personalfragen nun offen
Wie es nun weitergehen soll und mit welchem Personal, darauf wollte sich bei Hertha BSC zunächst noch niemand festlegen. Ob etwa Pal Dardai Trainer in der 2. Liga bleibt oder wieder in die Akademie zurückkehrt, wollten weder der Ungar noch Sportdirektor Benjamin Weber konkret beantworten. Fakt ist, dass die neue Führungsriege bei den Berlinern seit ihrem Amtsantritt für 2023/24 natürlich zweigleisig plant. Allein schon was Zu- und Abgänge betrifft, erwartet Weber durch den Abstieg nun eine noch größere Notwendigkeit der Kostensenkung – gleichzeitig soll eine unmittelbare Rückkehr ins Oberhaus zumindest als reelle Chance erkennbar bleiben. Klar ist: Die 2. Liga beginnt bereits Ende Juli, die Zeit ist also obendrein äußerst knapp – und vom Damoklesschwert der Erfüllung der Lizenzkriterien war da noch nicht einmal die Rede.