Lange Zeit waren Autokinos auf dem absteigenden Ast. Dann bescherte ihnen die Pandemie einen unverhofften Auftrieb. Und nun?
Regen! Regen! Regen! Als Thorsten Schiers an einem feuchten August-Abend vor sein Büro tritt, verheißt das Wetter nichts Gutes. Sofort peitschen ihm Wassermassen entgegen; der Asphalt ist nass und glitschig. Noch zweieinhalb Stunden, bis „Dirty Dancing“ beginnt, und das Autokino wirkt nicht gerade gemütlich. Nervös wird Schiers, ein alter Hase im Lichtspielgeschäft, deshalb aber nicht. „Wir spielen 362 Tage im Jahr“, versichert der Betreiber des „Drive-in Köln-Porz“. Der 57-Jährige – grauer Bart, Brille, jugendlich-hochgegelte Haare – sagt nur dann eine Vorstellung ab, wenn es gar nicht anders geht. Bei starkem Schneefall oder Nebel, zum Beispiel. Aber ein bisschen Regen? Schiers lacht. „Unser 4K-Laserprojektor ist so gut, dass man die Tropfen nicht mal sieht.“
An diesem Abend ist der „Saal“ ohnehin ausgebucht. 400 Autos passen auf das Gelände, das in einem Industriegebiet neben der A59 liegt, umgeben von Baumärkten und Kfz-Prüfstellen. Im Hintergrund hebt eine Maschine vom Köln-Bonner Flughafen ab. „Im Autokino herrscht immer eine ganz besondere Atmosphäre“, schwärmt Schiers. „Da ist es egal, ob Sie sich unterhalten, rauchen, schlafen oder Ihren Hund dabeihaben. Nicht mal Ihre Knoblauchfahne stört hier irgendeinen Nachbarn.“ Dafür gibt es bei der Filmauswahl bestimmte Vorlieben. Die großen Blockbuster, Action- und Horrorfilme – das mögen die Leute im Autokino. Und Klassiker wie „Dirty Dancing“.
Wiederbelebung durch die Corona-Pandemie
Der Tanzfilm und das Autokino haben eine Gemeinsamkeit: Beide scheinen aus der Zeit gefallen, irgendwie oldschool. Mit Autokinos verbinden die meisten etwas Ur-Amerikanisches. Cadillacs auf abgemähten Feldern. Junge Männer in Lederjacken, die ihren Freundinnen imponieren wollen. Geknutsche auf dem Rücksitz. Und manchmal auch mehr, vor allem in der hintersten Reihe, der berühmten „Love Lane“. Braucht’s so etwas noch im Jahr 2024? Offenbar schon. Denn im Gegensatz zu Cadillacs und Lederjacken sind Autokinos einfach nicht totzukriegen. Die Branche ist kein Massenphänomen, schon gar nicht in Deutschland, aber sie existiert. Die Frage ist nur: Wie lange noch?
Um 20.30 Uhr qualmt es im Kölner Autokino. Noch sind es keine Abgase, die hier wabern, sondern allenfalls die Gerüche von Rindfleisch und Popcorn. In einem kleinen Flachbau befindet sich neben dem Büro eine Snackbar, die – wie sollte es anders sein – an einen amerikanischen Diner erinnert. Schwarz-weiße Fliesen, rote Lederstühle, Stehtische mit Cola-Werbung. Die Menüs heißen „Terminator“ und „Iron Man“; von Pommes und Burgern bis zu Nachos und Currywurst gibt es mehr als in so manchem Freibad. „Pizza ist besonders beliebt“, sagt Schiers. „Ich habe mich lange gefragt, wie so ein 30-Zentimeter-Teil am besten hinters Lenkrad passt.“ Seine Methode: Die Pizza achteln. Dann tropft auch nichts auf die Sitze.
Autokinos waren in Deutschland lange auf dem absteigenden Ast. Gerade mal 28 gab es noch im Jahr 2019, wie eine Auflistung der Filmförderanstalt FFA belegt. Dann kam die Pandemie. Nahezu alle kulturellen Einrichtungen mussten wegen der Infektionsgefahr schließen, manchmal monatelang. „In einer Zeit, in der wir kulturell ausgehungert waren, hat das Autokino viele Städte gerettet“, sagt Christine Berg, Vorsitzende des Branchenverbands HDF Kino. Plötzlich schossen neue Autokinos wie Pilze aus dem Boden. 454 von ihnen registrierte die FFA im Jahr 2020 – mehr als sechzehnmal so viele wie noch ein Jahr zuvor.
Inzwischen wurden die meisten „Pop-up-Leinwände“ wieder abgebaut. Mit aktuell 31 Autokinos pendeln sich die Zahlen ungefähr auf dem Vor-Corona-Niveau ein. 929 Millionen Euro Umsatz haben alle Kinos in Deutschland im Jahr 2023 umgesetzt. Die Autokinos machten mit 3,1 Millionen nur einen Bruchteil davon aus. „Natürlich ist das eine Nische“, sagt Christine Berg, die Vorsitzende des Kinoverbands. Doch diese Nische habe ihre Berechtigung: „Man muss es mögen, drei Stunden im Auto zu sitzen. Aber es gibt viele Freaks, die diese besondere Stimmung lieben – und das meine ich absolut respektvoll.“
Begonnen hat alles im Jahr 1933. Als der US-Unternehmer Richard Hollingshead Jr. im Bundesstaat New Jersey das erste offizielle Autokino eröffnete, galt auch er als Freak. Klassische Kinos protestierten gegen die neue Konkurrenz; Babysitter streikten aus Sorge vor wegfallenden Jobs – immerhin konnten schreiende Kinder fortan mitgenommen werden, ohne dass sie andere störten. Die Pseudo-Privatheit an einem öffentlichen Ort bescherte der neuen Freizeitbeschäftigung einen beispiellosen Boom – erst in den Vereinigten Staaten, seit den 1960er-Jahren schließlich auch in Deutschland. Auch hier boten die Rücksitze vielen Teenies eine willkommene Flucht aus ihrem biederen Umfeld. Oder wie es ein ehemaliger Filmvorführer in einem dpa-Artikel formuliert: „Man weiß nicht, wie viel Nachwuchs hier gezeugt wurde.“
Im Kölner Autokino geht an diesem Abend alles gesittet zu. Pünktlich zur Dämmerungszeit endet der Regen, sodass viele ihre Autos noch einmal verlassen. Manche installieren LED-Kerzen auf der Hutablage, andere machen es sich im Kofferraum bequem, umgeben von Kissen und Decken. „Hier ist es viel geselliger als im richtigen Kino“, sagt Nadine Groeling (43), die regelmäßig nach Köln-Porz kommt. Sie mag es, dass die meisten aussteigen und quatschen, bevor der Film beginnt. „Und wenn es dann losgeht, hat man keine komisch riechenden Nachbarn neben sich sitzen.“ Ihr Mann Christian hat für den Abend extra seinen alten Opel Vectra aus der Garage geholt. „Er ist das erste Auto, mit dem wir 1998 im Autokino waren“, sagt der 46-Jährige. „Und jetzt wird es das letzte sein.“
Trödelmarkt wichtige Einnahmequelle
Diesen Herbst ist in Köln nämlich Schluss. Schuld sind nicht etwa ausbleibende Besucherinnen und Besucher – die Zahlen liegen laut Kinoleiter Schiers sogar höher als vor der Pandemie. Stattdessen ist es ein Rechtsstreit mit der Stadt, der den Betrieb gefährdet. „Autokinos rentieren sich nur dann, wenn man mit der riesigen Fläche noch etwas anderes machen kann“, argumentiert Schiers. In Köln war das lange Zeit ein Flohmarkt, der tagsüber auf dem fünf Hektar großen Gelände stattfand. Im Jahr 2022 verbot die Stadt die Flohmärkte, weil aus ihrer Sicht eine spezielle Baugenehmigung hätte vorliegen müssen. Das Kino klagte gegen den Bescheid, verlor aber vor Gericht.
Das Problem: „Ohne die Einnahmen des Trödelmarkts können wir nicht überleben“, sagt Schiers. Allein die Pacht koste 500.000 Euro im Jahr. Plus Strom-, Personal- und Instandsetzungskosten. Von jeder Kinokarte gingen wiederum 53 Prozent an den Verleiher. „Wir müssten also eine Million Euro durch Eintrittsgelder erwirtschaften“, sagt Schiers. „Und natürlich noch mehr, wenn wir Gewinn machen wollen.“ Bei einem Eintrittspreis von elf Euro pro Karte und zuletzt 60.000 Besuchern im Jahr gehe die Rechnung aber einfach nicht auf, selbst wenn man die Einnahmen aus der Gastronomie dazurechnet. Für die Stadt stellt sich die Sache anders dar. „Das Autokino schließt aus eigener wirtschaftlicher Erwägung heraus“, erklärt eine Sprecherin. Dass die Genehmigung für die Flohmärkte nicht vorliegt, habe man bei einer Überprüfung im Jahr 2022 festgestellt.
Doch es ist nicht nur der Ärger mit Behörden, der Autokinos das Leben schwer macht. „Natürlich können wir uns den Streaming-Diensten nicht entziehen“, sagt Axel Wahmke, Geschäftsführer der Drive-in-Gruppe, die neben dem Kölner Autokino noch vier andere Freiluft-Bühnen betreibt. Ein weiteres Problem: die Sommerzeit. „Wir können pro Abend nur einen Film zeigen, am Wochenende maximal zwei. Da müssen wir bei der Auswahl genau hinschauen.“ Arthouse-Filme und Originalversionen? Eher nichts fürs Autokino. Hier wird gezeigt, was die Masse anzieht.
Trotz aller Widrigkeiten blickt Wahmke optimistisch in die Zukunft. „Bei uns läuft es sogar besser als bei vielen Indoor-Kinos“, sagt der Geschäftsführer. Mit neuen Angeboten wie Essensbestellung per Smartphone versuche man den Erlebnis-Charakter hochzuhalten. Auch den Trend zum Elektroauto sieht er positiv: weniger Abgase, warme „Kinositze“ auch im Winter.
Obendrein könnten die Gäste das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden, indem sie ihre E-Autos während der Vorstellung laden. „An unserem Standort in München-Aschheim bauen wir gerade 17 Ladesäulen auf“, sagt Wahmke. „Und in Zukunft werden es noch mehr.“
Überhaupt hat der technische Fortschritt einiges geändert. Wurden in der Anfangszeit noch mobile Lautsprecher verteilt, um den Ton ins Wageninnere zu übertragen, verfügen manche Tuning-Autos heute über bessere Surround-Systeme als so manches Multiplex-Kino. Die Leinwände wurden im Laufe der Jahre immer größer, die Projektoren leistungsstärker. Und die Autos züchtiger. Während in amerikanischen Modellen durchgehende Sitzbänke auch vorne lange Zeit Standard waren, geht der Trend seit den 1980er-Jahren immer mehr zum Einzelsitz. 2013 war dann auch beim letzten Modell, dem Chevy Impala, endgültig Schluss. Für echte Traditionalisten ein Rückschritt: Ohne „Knutschbank“ ist das Autokino einfach nicht mehr dasselbe.
Pünktlich um 21.30 Uhr erstrahlt die Leinwand in Köln. Die Letzten huschen noch schnell zum Infohäuschen, um Abdeckmatten für ihre Scheinwerfer zu holen – bei manchen Autos lässt sich das Tagfahrlicht trotz aller Versuche nicht ausstellen. Hinten, am großen Eingangstor, treffen Nachzügler ein. Ein Mitarbeiter weist ihnen mit einem roten Leuchtstab den Weg, ein bisschen wie am benachbarten Flughafen. Melanie (43) und Andreas (45) sind aus Bonn angereist; schon während der Anfahrt haben sie ihr Radio auf 90,5 Megahertz gestellt – die Frequenz, mit der „Dirty Dancing“ ins Fahrzeug kommt. „Der Empfang reicht eine ganze Weile“, sagt Melanie. „Wenn wir spät dran sind, hören wir die Werbung schon auf der Autobahn.“
Am Ende stehen sie alle in Reih und Glied, die alten Opel Vectras, die Kombis mit offenem Kofferraum, die aufgemotzten VW Golfs – wenngleich diese bei „Dirty Dancing“ klar in der Minderheit sind. Doch auch ihre Zeit wird noch einmal kommen, bevor im Kölner Autokino der letzte Vorhang fällt. Zum Abschied läuft der Action-Kracher „The Fast and the Furious“, ein Film, in dem hochmotorisierte Autos und ihre testosterongetränkten Fahrer die Hauptrolle spielen. In Köln hat sich das Autokino einen passenden Untertitel für das cineastische Tuning-Treffen ausgedacht: „Last Ride – Eine Ära geht zu Ende.“