Die Länderspiele im November verpasste Robin Gosens wegen der Geburt seines Kindes, zum Start des EM-Jahres ist der Profi von Union Berlin gar nicht erst eingeladen worden. Ein Rückschlag für Gosens – aber auch ein Grund, über einen Wechsel nachzudenken?
Das Telefonat mit dem Bundestrainer war nicht nur für Robin Gosens unangenehm. „Ich war leider auch der Überbringer der schlechten Nachrichten“, sagte Julian Nagelsmann bei der Bekanntgabe des Nationalmannschafts-Kaders für die ersten Länderspiele im EM-Jahr. Wer in den Testspielen im März in Frankreich und gegen die Niederlande nicht dabei ist, wird es sehr schwer haben, noch auf den EM-Zug springen zu können. Das gab Nagelsmann unumwunden zu: „Natürlich werden wir einen Großteil der Spieler, die jetzt hier sind, im Normalfall dann auch im EM-Kader dabei haben.“ Und das bedeutet im Umkehrschluss für Spieler wie Gosens, Mats Hummels, Niklas Süle, Leon Goretzka und Kevin Trapp: Die Chancen stehen schlecht – auch wenn Nagelsmann betonte: „Die Tür ist nicht zu.“
Nagelsmann hatte nach dem desaströsen Jahresabschluss bereits weitreichende Konsequenzen im Kader angekündigt. Und Gosens zählt mit seinen 20 Länderspielen nicht zu den gesetzten Spielern, obwohl er bei der enttäuschenden EM 2021 einer der wenigen Lichtblicke war. Und obwohl er bei Nagelsmanns Premierenspielen gegen die USA und Mexiko zur Startelf gehörte und keineswegs schlecht spielte. Und obwohl er an den Debakeln gegen die Türkei und in Österreich gar nicht beteiligt war, weil er aus einem erfreulichen Grund verzichtet hatte: Söhnchen Lio war auf die Welt gekommen. Doch all das zählte nicht mehr, Gosens fiel dem XXL-Umbruch im DFB-Team zum Opfer.
Trotz guter Leistungen
Mit sechs Treffern ist der offensivstarke Außenverteidiger der mit Abstand erfolgreichste Torschütze seines Teams, zudem hat er zwei Assists auf dem Konto. „Robin hat eine gute Saison hinter sich. Er ist bei uns Torschützenkönig und für uns sehr wichtig“, sagte Trainer Nenad Bjelica, bei dem Gosens genau wie bei Vorgänger Urs Fischer gesetzt ist. Der Kroate gab zu, dass er in seinen knapp vier Monaten Amtszeit kein einziges Mal Kontakt mit dem Bundestrainer hatte, aber: „Wenn er sich meldet, wird er von mir Informationen bekommen.“ Und zwar die, dass Gosens sich nicht hängen lasse und um seine kleine EM-Chance bis zum Schluss kämpfen will.
Die Nicht-Nominierung für den DFB-Kader soll Gosens dem Vernehmen nach nachdenklich gemacht haben. Als er im vergangenen Sommer den Köpenickern trotz anderer Angebote die Zusage gegeben hatte, spielten diese noch in der Champions League und waren auch für die laufende Saison ein Europapokal-Aspirant. Die weiteren Transfers von Ex-Europameister Leonardo Bonucci und dem früheren Nationalspieler Kevin Volland ließen darauf schließen, dass Union auch 2023/24 im oberen Tabellendrittel mitspielen will – mindestens. Doch nach einem starken Start mit zwei Siegen lief plötzlich gar nichts mehr bei den Eisernen, die auch Gosens alleine nicht aus der Krise führen konnte. Der dynamische Linksfuß zeigte zwar stets vollen Einsatz, doch am Ende ging er oft mit unter. In erfolgreichen Mannschaften kann der einzelne Spieler natürlich mehr glänzen, vielleicht war das auch ein Grund für Nagelsmanns Entscheidung.
Sollte Gosens das Heim-Turnier verpassen, würde er Angebote anderer Clubs womöglich noch wohlwollender prüfen, als es ein Profi ohnehin tun müsste. „Selbstverständlich ist es bei einem Nationalspieler schwierig, wenn man nicht international spielt. Ein Spieler, der eine EM spielt und vielleicht noch eine WM spielen möchte, macht sich darüber Gedanken“, sagte Geschäftsführer Oliver Ruhnert. Er ist sich dessen bewusst, und er weiß auch, dass es für einen Spieler dieser Klasse immer einen Markt gibt. Klar ist aber auch: Unterhalb der 13 Millionen Euro, die Union im Sommer für den Champions-League-Finalisten an Inter Mailand gezahlt hat, wird der Club seinen Leistungsträger nicht ziehen lassen. Und sicher ist auch, dass Gosens nicht jedes Angebot annehmen würde. Er fühlt sich in der Mannschaft und im Verein wohl, seine offene und ehrliche Art passt gut in die Region. So einen, der im Profifußball nie ein Nachwuchsleistungszentrum von innen gesehen hat und sich alles hart erarbeiten musste, mögen sie bei Union.