Seit fast vier Dekaden kleiden Element of Crime um Frontmann Sven Regener poetisch-melancholische Texte in reduzierte Arrangements. Wir haben mit dem 62-jährigen Sänger, Trompeter, Songschreiber und Bestsellerautor Regener und Schlagzeuger Richard Pappik (67) gesprochen.
Herr Regener, Herr Pappik, voriges Jahr verstarb Ihr langjähriger Bandkollege und Produzent Dave Young. Er begleitete in den 1970ern und 1980ern David Bowie und John Cale. Ist Young auf „Morgens um vier“ noch zu hören?
Sven Regener: Nein. Dave hatte in den letzten Jahren gesundheitliche Probleme. Manchmal konnte er nicht mit uns auf Tour gehen, dann ist Markus Runzheimer für ihn eingesprungen. Er hat im letzten Jahr schon die ganzen Gigs gespielt. Aber dass Dave dann gestorben ist, war für uns sehr überraschend.
Wie sind Sie auf Ihren neuen Bassisten gestoßen?
Richard Pappik: Wir hatten Glück. Jakob, unser Gitarrist, hat Markus Runzheimer kennengelernt. Vor zehn Jahren habe ich ihn schon einmal getroffen, als wir in Weißensee dieses Studio hatten.
Von Dave Young stammt der Satz: „Ein Produzent macht alles 20 Prozent besser“. Trifft das auch auf Patrik Majer zu, der das neue Album betreut hat?
Regener: Das hat Dave gesagt? Ja, so war er. Es ist wichtig, dass man jemanden hat, der sich im Studio um die Lotsenarbeit kümmert, um die man sich als Musiker eigentlich nicht kümmern will. Patrik Majer ist auch jemand, der seit 30 Jahren sehr viel mit unserer Welt zu tun hat. Er war schon bei „Damals hinterm Mond“ im Vielklang Studio unterwegs und produzierte sehr viele Punkbands. Später auch Wir sind Helden.
Ihr Album trägt den schönen Titel „Morgens um vier“. Ist das die beste Zeit, um kreativ zu arbeiten?
Pappik: Es gibt Leute, die behaupten das. Es ist eine Zwischenzeit zwischen Traum und Wachsein. Ich als junger Mann war natürlich anders als heute morgens um vier. Dieses nicht richtig Greifbare macht es so spannend.
Kommen Ihnen die besten Ideen manchmal zur Unzeit?
Regener: Ja. Aber man muss es auch aushalten, nichts zu tun und einfach den Gedanken nachzuhängen, wenn man nicht mehr einschlafen kann. Oder man kommt um vier Uhr morgens nach Hause und die Sache ist eigentlich noch nicht so richtig vorbei. Der Raver macht einfach weiter und bleibt drei Tage wach. Auch gut. Auf jeden Fall ist es so, dass die Gedanken andere Wege gehen morgens um vier. Ich habe in den 1980ern in der Köpenicker Straße gewohnt. Da gab es ganz viele Vögel, die bei Sonnenaufgang einen Lärm machten, wie wenn sie bellen würden. Das war echt irre. In dem Titellied geht es dann auch um diese Zeit zwischen Traum und Wachsein, wo die Traumgedanken in die Wachgedanken übergehen und plötzlich absurde Wendungen nehmen. Das ist interessanter Stoff für Songs und generell für eine Haltung auf einer Platte.
Neil Young sagt, er könne die Energie spüren, wenn sich die Mondzyklen ändern. Deshalb nimmt er seine Platten vorzugsweise bei Vollmond auf. Pflegen Sie ähnliche Rituale?
Pappik: (lacht) Diese Mondenergie spüren wir nicht, wir spüren andere Sachen.
Regener: Für mich war es diesmal schwierig, weil mir Dave gefehlt hat. Seit 1987 gab es keine Platte mehr ohne ihn. Ansonsten zu den Bedingungen: Wir haben in London und New York aufgenommen, das hat sicher auch unseren Horizont erweitert. Aber dass ein Album deswegen anders geworden wäre, kann ich nicht sagen. Musik ist so eine eigene Welt, dass reine Äußerlichkeiten wie der Mond, der Aufnahmeort, die Jahreszeit und so weiter jedenfalls bei uns keine große Rolle spielen. Wir haben aber diese Art, Platten aufzunehmen, Song für Song und nicht Instrument für Instrument, das ist zwar kein Ritual, aber eine Methode.
Pappik: Wir haben irgendwann gemerkt, dass uns lange Sessions zu anstrengend sind. Man ist dann wochenlang wie in einem U-Boot und kriegt gar nichts mehr mit. Das wird teilweise den Liedern nicht gerecht. Es ist viel schöner, jedem Lied zwei Tage zu geben – und dann muss es aufstehen und loslaufen.
Haben Sie mit Patrik Majer über den Sound gesprochen, der Ihnen für das Album vorschwebte?
Pappik: Die Band hatte ihren Sound schon vor Patrik, und der war ziemlich stark.
Regener: Patrik wusste von Anfang an, worauf es bei uns ankommt. Es gab wirklich keine Verständigungsprobleme.
Sind Sie penible Sound-Fetischisten?
Regener: Ja. Wenn Richard Schlagzeug spielt, dann hat das einen bestimmten Sound. Wenn ich singe, wenn Jakob Gitarre spielt, auch. Zusammen sowieso. Element Of Crime ist mittlerweile eine eigene Marke. Fast jeder Produzent würde wissen, worauf es bei der Band ankommt. Das müsste man nicht groß erklären. Bei Patrik war interessant, dass die Art, wie er die Aufnahmen geleitet hat, sehr smooth und easy war. Als wenn er das schon ganz oft gemacht hätte.
In „Unscharf mit Katze“ heißt es: „Die Zeiten werden wilder. Wir halten durch, wir halten aus, wir gehen heute Abend nicht mehr raus“. Haben Sie das während des Lockdowns geschrieben?
Regener: Nein, der Song ist mir zuletzt eingefallen. Ich habe noch nie Songs geschrieben aufgrund dessen, was gerade in genau dem Moment gelaufen ist. Das ist mir eher egal. Das bringt auch nichts. Die Songs sollte man auch ein Jahr später noch spielen können, ohne eine Erklärung abgeben zu müssen. Und man kann das bei „Unscharf mit Katze“ natürlich auf diese ganzen Corona-Geschichten beziehen, aber man muss es nicht. Was ich an dem Lied mochte, war dieses Trotzige in der Attitüde. Verwirrung und seltsame Haltungen sind immer gute Themen für Songs.
Pappik: Egal, von welchem Punkt man ausgeht: Die Zeiten sind immer wilder geworden.
Regener: Wenn man sich mal unsere Streamingzahlen anguckt, sieht man, dass zum Beispiel „Ein Hot Dog unten am Hafen“ einer der populärsten Songs aus dem gesamten Werk von Element Of Crime ist. Er ist 2008 nur auf einer Single erschienen und fristete lange Zeit ein Mauerblümchendasein. Ich glaube, die Pfadfinder fahren darauf ab, weshalb es plötzlich ein total populärer Song geworden ist. Daran sieht man: Man kann es nicht steuern. Und es hat nichts mit Aktualität zu tun.
Sind Sie auf Tiktok?
Regener: Nein, aber ich glaube, unsere Plattenfirma stellt da manchmal Sachen rein. Das sind aber immer nur 30 Sekunden, und man weiß nicht, welche Bedeutung das für die Leute wirklich hat. Man darf sich von den Klickzahlen nicht zu sehr beeindrucken lassen.
Pappik: Von „Damals hinterm Mond“ dachten unheimlich viele Leute aus den damals neuen Bundesländern, es wäre für sie geschrieben worden. Aber das war nicht der Fall, sondern es ist einfach offen für Interpretationen.
Regener: Es ist nichts Ostspezifisches, dass das Leben sich verändert und man seine Vergangenheit mit anderen Augen sieht. Die Welt, in der ich aufgewachsen bin, gibt es auch nicht mehr. Wenn ich ehrlich bin, bin ich auch in einem Land groß geworden, das nicht mehr existiert.
Sie sind in der Punk-Zeit sozialisiert worden. Schwingt das beim Schreiben immer noch mit?
Regener: Ich war immer Folkmusik- und auch Beatles-Fan. Aber in Berlin hatte ich dann schon auch mit Punk zu tun. Ohne Punk hätte man sich nicht getraut, selber Musik zu machen, oder? Auf Rockmusik wäre ich von allein gar nicht gekommen. Richard war übrigens eine ganz große Gestalt in der wilden Avantgarde-Post-Punk-Szene in Berlin.
Pappik: Das waren schwierige Sachen: G Man Salto And The Real Montesi Motors. Der kulturelle Einfluss. Variété Kontrast. Wilde Experimente!
Regener: Meine Bands hießen Zatopek und Tote Piloten. Manche riefen bloß an und fragten: „Willst du morgen mitspielen? Wir brauchen noch einen!“ Und dann spielte man halt irgendwas mit. Das war ein sehr freier und niedrigschwelliger Umgang mit Kunst.
Bei Punk-Konzerten kam es oft zu Schlägereien im Publikum, Bands wurden angespuckt oder mit Bierflaschen beworfen. Dagegen wirken Auftritte heute eher gemütlich.
Pappik: Wir waren nie in einer Szene, in der mit Mehl geworfen oder mit Wasser gespritzt wurde.
Regener: Wir sind teilweise schon in ganz schön kaputten Läden aufgetreten. Ganz am Anfang gab es auch noch Missverständnisse darüber, was das überhaupt für eine Musik ist, die wir da machen.
Pappik: In Kiel waren bei uns mal vier Reihen mit bunten Haaren. Die drehten sich nach dem zweiten Stück um, standen mit dem Rücken zur Bühne und gingen dann auch. Und alle anderen kamen zu mir zum Schlagzeug, und wir spielten weiter mit dem Rücken zum Publikum. Ein furchtbares Missverständnis, hatte man das Gefühl.
Regener: Das war in Kiel-Bistensee in so einer Disco. Es gab im Ganzen drei solche desaströsen Gigs, als die Band noch nicht so bekannt war und die Leute auf Verdacht kamen. Dann trifft man manchmal auf ein Publikum, das da eigentlich gar nicht sein will. Aber so aggro war das nie, weil unsere Musik auch nie so schnell war, sondern eher etwas Runterdämpfendes hatte. Langsam und schwer, dass die Leute sich nicht so reinsteigern konnten. Aber solche Probleme sind, glaube ich, ganz normal, wenn man als Band noch nicht so etabliert ist. Wobei es heute leichter ist, sich zu informieren. Vorher schon mal reinzuhören. Ist ja so viel im Netz …
Sie singen: „Wir haben keine Lösung, wir haben Lieder“. Worin sehen Sie die Aufgabe von Künstlern?
Regener: Eben genau darin: Lieder zu haben. Wir wollen nicht im engeren Sinne Politik machen, sondern Kunst ist in meinen Augen dafür da, die Leute mit ihrer eigenen Existenz zu versöhnen. Ihnen einen anderen Blick auf das eigene Leben zu geben und Urlaub vom Ich zu ermöglichen.
Zurück zur Platte: „Dann kommst Du wieder“ ist ein Duett mit Tobias Bamborschke von Isolation Berlin. Ist er wie Sie eine Rampensau?
Regener: Na klar, aber das ist nicht der Grund. Unsere Managerin Charlotte Goltermann meinte, wir könnten doch mal gucken, ob wir nicht auch mal ein Duett raushauen. Erst fand ich das zu schematisch und wollte auf gar keinen Fall ein Mann-Frau-Duett à la Cindy & Bert. Dann lieber Bert & Bert. Dieses Lied hat sich einfach dafür angeboten. Wir nehmen ja öfter andere Instrumente mit rein, und diesmal halt eine andere Gesangsstimme. Und natürlich ist Tobias Bamborschke ein Spitzentyp. Isolation Berlin waren 2018 auch Vorgruppe bei uns.
Bei Ihrer Berlin-Tour im August werden sie es auch wieder sein. Eine spezielle Tournee?
Regener: Die Berlin-Tour machen wir in der Form, weil da ein Kinofilm über uns gedreht werden soll. Charly Hübner macht das. Und dann ist es gut, wenn alte Wegbegleiter wie Isolation Berlin, Maike Rosa Vogel, Florian Horwarth, Ansa Sauermann, Steiner & Madlaina und Von Wegen Lisbeth dabei sind. Fünf Gigs in fünf verschiedenen Venues von 200 bis 9.000 Leuten. In der Dokumentation soll es auch um den Werdegang der Band gehen.
Charly Hübner hat bereits ein Buch über seine Liebe zu Motörhead geschrieben. Hat er auch Ihre Karriere immer verfolgt?
Pappik: Er erzählte uns, wir wären schon seine Favoriten gewesen, als er noch ein junger Mann in Ostdeutschland war. Er hat uns immer auf Kassette gehört.
Regener: Die Liner Notes zu unserer letzten Platte stammen von ihm. Charly Hübner hat eine ganz eigene, überraschende Sicht auf die Band. Es geht bei dem Film ja nicht darum, wie wir uns gerne darstellen wollen, sondern darum, wie er uns sieht.