Millionen von Briten fiebern alljährlich um die Osterzeit einem ikonischen Ereignis entgegen, das weltweit zu den ältesten Amateursportwettbewerben zählt – dem legendären Ruderwettbewerb zwischen den Achter-Crews der Elite-Universitäten Oxford und Cambridge, dessen Erstausgabe bereits im Jahr 1829 stattfand.

Im britischen Sportkalender des Jahres 2024 wurde diesmal der 30. März garantiert ganz dick angestrichen. Denn am Ostersamstag findet auf der Themse in London wieder mal das traditionsreiche Kräftemessen im Rudern zwischen den Männer- und Frauen-Achtern der beiden britischen Elite-Universitäten Oxford und Cambridge statt. Bei den Männern reicht die Geschichte dieses Wettbewerbs, der global zu den ältesten Amateursportveranstaltungen zählt, bis ins Jahr 1829 zurück. Bei den Damen gibt es den Wettstreit erst seit 1927 und seit 1964 als alljährliches Event, wobei dieses zunächst öffentlich nicht sonderlich wahrgenommen wurde. Was sich aber spätestens 2015 grundlegend geändert hatte, als die Ladys erstmals auf den gleichen Streckenkurs wie ihre männlichen Kommilitonen gewechselt waren und das kombinierte Event seit 2018 unter dem Motto „The Boat Race“ vermarktet wird.
Titelverteidiger Cambridge
Was die Zahl der Siege angeht, so hat Cambridge sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen die Nase vorn. Bei den Männern, bei denen 2024 die 169. Auflage des Klassikers ansteht, konnte Cambridge bislang 86 Siege erringen, das Team aus Oxford 81. Ein einziges Mal, am 24. März 1877, gab es ein totes Rennen, das daher als unentschieden gewertet wurde. Bei den Damen, bei denen dieses Jahr die 78. Ausgabe des Rennens stattfindet, liegt Cambridge mit 47 Siegen deutlicher vor der Oxford-Konkurrenz mit lediglich 30 Triumphen. Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen ist Cambridge 2024 Titelverteidiger. Im Damenwettbewerb hält die Siegesserie der sportiven Cambridge-Studentinnen nun schon seit 2017 ununterbrochen an. Sie halten auf der mit 4 Meilen und 374 Yards oder 6,8 Kilometer langen Bootsrennstrecke (mehr als dreimal so lang wie der Kurs bei den Olympischen Spielen), die offiziell auf den Namen „The Championship Course“ getauft wurde, auch den 2022 aufgestellten Streckenrekord über 18:23 Minuten. Bei den Männern hat der Streckenrekord der Cambridge-Crew mit 16:19 Minuten schon seit 1998 Bestand. Und selbstverständlich können die Studenten aus Cambridge auch die längsten Siegesserien vorweisen. Jeweils 13 Triumphe hintereinander gelangen den Männern zwischen 1924 und 1936 und den Frauen zwischen 1952 und 1975.

Treffsichere Prognosen für die beiden Sieger 2024 sind kaum möglich, da jährlich jeweils im September mit dem von professionellen Coaches betreuten Aufbau der neuen Teams begonnen wird und sich dann im Laufe eines knüppelharten Trainingsprogramms mit täglich zwei Einheiten neben dem normalen Studium und eines personellen Aussiebeprozesses der Kader für das männliche und weibliche Parade- und Ersatzboot herauszubilden beginnt. Am 13. März 2024 wurden die Crews für das anstehende Rennen bei einer Präsentation in der beeindruckenden Londoner Battersea Power Station (einem Mega-Bauwerk aus sechs Millionen Ziegeln) offiziell vorgestellt. Die Mitglieder beider konkurrierender Bootsbesatzungen werden gemeinhin als „Blues“ bezeichnet und auch die Boote tragen den Namen „Blue Boat“. Allerdings gibt es einen feinen Unterschied in den Blau-Nuancen, der historisch auf das erste Rennen 1829 zurückgeführt werden kann. Denn damals war ein Großteil der Oxford-Crew in dunkelblauem Dress gekleidet gewesen. Danach hatte sich hellblau als Kennzeichen für das Cambridge-Team und dunkelblau für Oxford herausgebildet. Und das Rennen wurde zu einem „Battle of the Blues“ hochstilisiert.
Crews am 13. März offiziell vorgestellt

Das Event ist jährlich ein Publikumsmagnet. Nicht zuletzt deshalb, weil der Besuch vor Ort kostenlos ist. Von daher finden sich bei jeder Austragung mindestens 250.000 Menschen rund um den S-förmigen Themse-Verlauf im Londoner Südwesten zwischen Putney im Osten und Mortlake im Westen ein. Sinnvoller Weise mit öffentlichen Verkehrsmitteln, da ein Großteil der Umgebung für den Autoverkehr gesperrt wird. Viele Besucher bringen ihre Getränke oder Picknick-Taschen mit, andere entscheiden sich für exklusives Catering in separaten Fan-Parks (das offizielle Hospitality-Paket kostet 2024 schlappe 265 Pfund pro Person). Die besten Plätze zum kostenlosen Public Viewing gibt es auf den Treidelpfaden entlang des Flusses und auf den Brücken. Wer keine Lust auf Drängelei oder Massenauflauf hat, kann das Event natürlich auch im heimischen TV verfolgen. Fünf Millionen Briten pflegen immer einzuschalten, 2014 lag der TV-Zuschauerzuspruch sogar bei 15 Millionen. Eigentlich besteht das Programm aus vier Rennen, wobei zwei den Reserve-Crews vorbehalten sind. Das Zweitboot der Männer aus Oxford trägt den Namen „Isis“, das Fahrzeug der Cambridge-Reserve „Goldie“. Die Reserve der Frauen aus Oxford tritt als „Osiris“ an, die Zweitvertretung aus Cambridge als „Blondie“.

Aber natürlich gilt das Hauptinteresse des Publikums den Hauptrennen. Der Start für die Damen ist um 14.46 Uhr und für die Männer eine Stunde später um 15.46 Uhr. Nicht ganz unwichtig ist vorab das Treffen der Präsidenten der Studenten-Bootclubs, weil dabei per Münzwurf entschieden wird, welches Team das Vorrecht zur Wahl der Startposition erhält. Wobei die Fulham/Chiswick-Seite als Middlesex-Station (auf dem Nordufer), die Putney/Barnes-Seite als Surrey-Station (auf dem Südufer) bezeichnet wird, jeweils nach den gleichlautenden historischen Grafschaften benannt. Je nach Wahl gibt es bei den folgenden Themse-Kurven Vor- oder Nachteile. Aber grundsätzlich hängt für ein erfolgreiches Abschneiden sehr viel vom Start ab. Wobei die Steuermänner oder Steuerfrauen stets versuchen werden, ihre Boote in die schnellste Strömung an der tiefsten Stelle des Flusses zu bugsieren. Was häufiger zu Zusammenstößen oder zu Verwarnungen durch die Schiedsrichter führt. Zudem hatten früher die tückischen Strömungen und unberechenbaren Wellen der Themse für sechs Bootsuntergänge während der Rennen gesorgt (weshalb inzwischen sogenannte Lenzpumpen zur Wasserentsorgung in die Achter eingebaut wurden).
Die Themse ist eben kein ruhiges, stehendes Gewässer, sondern ein Fluss, der von den Gezeiten regelrecht umgerührt wird. Der Beginn des Rennens erfolgt bei Flut, sodass die Teams ab dem Startpunkt kurz hinter der Putney-Bridge mit und nicht gegen den Strom rudern können, der dabei eine Geschwindigkeit von etwa sieben bis acht Kilometer pro Stunde aufweist. Die Bootscrew, die etwa auf der Hälfte der Strecke in Höhe der Hammersmith-Bridge in Führung liegt, hat große Chancen (80-prozentige Wahrscheinlichkeit), als erstes die Ziellinie kurz vor der Chiswick-Bridge in Mortlake zu überqueren und anschließend auf dem nahen Kieselstrand die Boat-Race-Trophäe überreicht zu bekommen.
Ein jährliches Bootsrennen

Nur bei sechs Austragungen wurde vom längst klassischen Streckenkurs abgewichen, der 1845 erstmals eingeführt worden war. Bei der Premiere 1829 wurde auf der Themse in Henley-on-Thames westlich von London auf einer 3,62 Kilometer langen Strecke gerudert. Und viermal, 1846, 1856, 1862 und 1863, wurde die Strecke im 19. Jahrhundert in entgegengesetzter Richtung von Mortlake nach Putney absolviert. 2021 wurde das Rennen aus Sicherheitsgründen wegen der Covid-Ansteckungsgefahr auf eine 4,9 Kilometer lange Strecke auf dem Fluss Great Ouse verlegt. Als jährliches Event sollte sich das Uni-Bootsrennen ab 1856 durchsetzen. Wobei es während der beiden Weltkriege, zwischen 1915 und 1919 sowie zwischen 1940 und 1945 und später im Jahr 2020 wegen der Corona-Pandemie zu einigen Absagen des Rennens kommen sollte. Mit dem Einstieg in die Bootsrennen waren die Briten übrigens sehr früh dran, denn das erste rein für sportliche Aktivitäten und eben nicht nur als Mittel zur Fortbewegung gebaute Boot stammt aus dem Jahr 1824: das „Weiße Boot“ des Exeter College of Oxford. Bei dem wie auch bei den Modellen der frühen Bootsrennen Ausleger oder Rollsitze natürlich noch Fremdwörter gewesen waren. Beim Boat Race tauchten Ausleger erstmals 1846 auf, die die Gleitsitzende ablösenden Rollsitze erst in den 1870er-Jahren. In Deutschland sollte das erste Sportruderboot namens „Victoria“ des Hamburger Ruder-Clubs 1836 auftauchen.
Ziemlich originell dürfte es sein, dass die beiden noch heute für die Organisation des Events federführenden Rudervereine, der Oxford University Boat Club (OUBC) und der Cambridge University Boat Club (CUBC), ausdrücklich mit dem einzigen Ziel gegründet worden waren, ein jährliches Bootsrennen gegeneinander zu bestreiten. Wobei die Idee dafür in Gesprächen zwischen den beiden befreundeten Studenten Charles Merivale (Cambridge) und Charles Wordsworth (Oxford) geboren worden war. Direkt nach der Gründung des CUBC Anfang Dezember 1828 wurde eine Einladung an die Universität Oxford für einen für die Osterferien 1829 geplanten ersten Ruder-Wettkampf abgeschickt. Während in Cambridge der 1941 gegründete Cambridge University Women’s Boat Club 2020 mit dem CUBC fusioniert worden war, gibt es in Oxford neben dem ausschließlich Männern vorbehaltenen OUBC für die Damen nach wie vor den eigenständigen Oxford University Women’s Boat Club (OBWBC).