Bauen, bauen, bauen gegen den Wohnungsnotstand – doch die Bedingungen sind historisch schlecht. Christian Lieberknecht, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Wohnungswirtschaft (GdW), sieht auf absehbare Zeit das Ziel von 400.000 Wohnungen pro Jahr massiv gefährdet.
Herr Lieberknecht, wie wohnen Sie derzeit?
Meine Familie und ich bewohnen eine Doppelhaushälfte in Teltow seit 2001; ein Brachgelände, das von einem Bauträger entwickelt wurde. Es ist also nicht weit bis nach Potsdam, ins Umland von Berlin oder nach Berlin selbst durch einen S-Bahn-Anschluss.
Andere suchen derzeit händeringend nach Wohnungen und finden keine oder keine bezahlbare. Wie attraktiv ist denn das Bauen derzeit für Wohnungsgesellschaften des GdW?
Die Kosten für Grundstücke und fürs Bauen steigen, die Zinsen steigen, Bauen und Finanzieren werden deutlich teurer. Niemand unserer Unternehmer kann sich erinnern, in den vergangenen Jahrzehnten eine derartige Häufung von Krisenfaktoren erlebt zu haben. Für ein Drittel unserer Unternehmen bedeutet dies, dass sie 2023 und 2024 keine neuen Wohnungen bauen; ein Fünftel werden in diesen beiden Jahren nicht wie geplant modernisieren können. Die Förderbedingungen haben sich verschlechtert, und im Moment ist nicht absehbar, dass es sich verbessert. Das heißt, dass sich der Neubau von Wohnungen massiv verzögert – nicht nur bei uns, sondern auch bei anderen Unternehmen im frei finanzierten Bereich. Dieses Jahr kommen wir vielleicht mit einem blauen Auge davon, weil einmal gestartete Projekte nun häufig auch beendet werden. Dennoch stellen viele Wohnungsbaugesellschaften, auch viele, die nicht unserem Verband angehören, derzeit das Bauen fürs Erste ein. Dadurch geraten natürlich die Ziele in weite Ferne: Die Bedarfszahl von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben, werden wir deutlich verfehlen.
Nun verlangt die Regierung nicht nur mehr Neubauten, sondern es sind auch Sanierungen notwendig, um die Klimaziele Deutschlands zu erreichen. Müssen Sie diese ebenfalls zurückstellen?
Das Problem auch hier: die gestiegenen Kosten. Ich hatte ja bereits erwähnt, dass ein Fünftel unserer Unternehmen die Sanierungen und Modernisierungen zurückstellen. Würden sie diese durchführen, müssten sie dies auf die Miete umlegen. Sie würde so hoch steigen, dass die Mieterschaft es sich nicht mehr leisten könnte, dort zu wohnen. Zum Klientel gehören Mieterinnen und Mieter aus dem unteren und mittleren Einkommensbereich, und denen können wir keine Mieterhöhung von drei oder vier Euro pro Quadratmeter abverlangen. Beim Neubau ist es das Gleiche. Hier lägen die Nettokaltmieten bei 16 bis 20 Euro pro Quadratmeter. Also könnten wir sanieren oder bauen, aber unsere Mieter könnten sich das Wohnen dort nicht mehr leisten. Daher ja auch die Forderung nach mehr Geld für den sozialen Wohnungsbau, sonst können wir die beiden Ziele, die ja Hand in Hand gehen, die Versorgung mit Wohnraum und Klimaschutz, nicht einhalten.
Sie halten die Diskussion über hohe Mieten und die Mietpreisbremse in Deutschland dennoch für verzerrt. Warum?
Die Diskussion über zu hohe Mieten bezieht sich meistens auf Angebote, die in den einschlägigen Portalen im Internet zu finden sind. Als Grundlage dieser Diskussion taugen diese Angebote jedoch nicht, denn sie spiegeln nicht den Gesamtmarkt wider und sind deshalb oft deutlich überhöht. Unsere Unternehmen tauchen mit ihren Mieten auf den Portalen gar nicht erst auf, sie sind darauf nicht angewiesen, weil es vor allem in den Hot Spots und den Metropolregionen Wartelisten gibt. Die Bestandsmieten bei uns liegen jedoch in etwa 20 bis 25 Prozent unter der ortsüblichen Vergleichsmiete. Bezieht man also diese Wohnungen mit ein, erhält man ein realistischeres Bild der Mietpreise in Deutschland.
Wie müsste Ihrer Meinung nach nun die Förderkulisse geändert werden, damit die Bedarfszahl der Bundesregierung erreicht werden kann?
Unter den 400.000 Wohnungen sind 100.000 geförderte Wohnungen, landläufig ja auch Sozialwohnungen genannt. Diese Zahl erreicht man nur mit einer massiven Aufstockung für den sozialen Wohnungsbau. Der Bund hat zwar die Förderung dieser Wohnungen bis 2026 massiv gesteigert (mit 14,5 Milliarden Euro; Anm. d. Red.), aber das reicht nicht mehr aus für diese 100.000 Wohnungen angesichts der gestiegenen Kosten. Nach dem vergangenen Wohnungsbautag fordern wir daher zusammen mit dem Mieterbund, der Bauwirtschaft und der Gewerkschaft IG Bau Fördergelder in Höhe von 50 Milliarden Euro bis zum Ende der Legislaturperiode 2025, um diese Zahl überhaupt erreichen zu können. Natürlich ist es immer einfach, nach mehr Fördergeld zu rufen und zu bauen, ohne dass der Staat alles regeln muss. Aber im Moment ist das einfach nicht darstellbar.
Könnte serielles und modulares Bauen helfen, diese Kosten zu senken, wie es derzeit vom Bundesbauministerium häufig in den Vordergrund gestellt wird?
Ja, wir müssen an verschiedenen Stellen ansetzen. Eine davon ist das serielle und modulare Bauen, das effizient und kostensicher ist. Dieses Bauen haben wir als Verband angestoßen. Vor vier Jahren haben wir dies dem Ministerium vorgeschlagen, doch war man dort zurückhaltend wegen europarechtlicher Hindernisse. Diese sind nun überwunden. Zusammen mit der Bundesarchitektenkammer haben wir daran gemeinsam weitergearbeitet, bis Herbst soll nun eine Rahmenvereinbarung erstellt werden. Es sind bereits mehrere tausend Wohneinheiten erstellt worden. Die Idee dazu ist ja nicht neu: Die industrielle Fertigung von Wohnungen ist in den 60er-, 70er-Jahren in Deutschland praktiziert worden. Heute sind die Anforderungen architektonisch natürlich moderner, die Werkstoffe sind andere, das heißt die heute gefertigten Wohnungen sind nicht mit denen von damals vergleichbar, aber die Grundidee. Hier gibt es durchaus Widerstände und baurechtliche Auflagen in den Kommunen, in denen diese Wohnungen entstehen sollen. Aber aus diesem Grunde haben wir die Bundesarchitektenkammer mit ins Boot geholt, damit Architektur, Baukultur und Ästhetik moderner serieller Fertigung diese Kommunen bereichern.
Aber sind diese 400.000 Neubauten überhaupt vertretbar angesichts der häufigen Debatte um Flächenversiegelungen?
Neu zu errichtende Wohnungen kann man auch im Bestand errichten, indem man aufstockt, indem bestehende Gebäude oder Parkplätze überbaut werden oder Industriegebäude modernisiert und umgewidmet. Das ist alles machbar, aber häufig aus baurechtlicher Sicht sehr schwierig. Auch hier müssten Hemmnisse abgebaut werden, und es müsste eine Art Umbaurecht geschaffen werden. Das Potenzial sind 2,5 Millionen Aufstockungen und 2,5 Millionen Umbauten, die in Deutschland möglich wären. Bauland ist heute nicht mehr so ohne Weiteres verfügbar wie in den 50er- bis 70er-Jahren. Manche Kommunen wollen auch kein neues Bauland mehr ausweisen, aus ökologischen Gründen.
Der GdW ist entstanden aus dem Verband der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, nachdem die Wohnungsgemeinnützigkeit 1989 gesetzlich abgeschafft wurde. Brauchen wir sie jetzt wieder zurück?
Das Gesetz wurde von der damaligen CDU-FDP-Regierung abgeschafft. Mit der Gemeinnützigkeit damals waren viele Rechte und Pflichten verbunden: die Bauverpflichtung, die Zweckbindung der Einnahmen, der Bau von Wohnungen bis maximal 120 Quadratmeter. Es gab aber auch Steuerprivilegien. Man muss jedoch die Gemeinnützigkeit und die Förderung sozialen Wohnungsbaus voneinander trennen, die Förderung war nicht an die Gemeinnützigkeit gekoppelt, daher haben auch private Projektträger Zugriff auf diese Förderung. Die Gemeinnützigkeit brachte jedoch auch viele Nachteile mit sich. Unter den heutigen Bedingungen ist es nicht mehr vorstellbar, dass ein Wohnungsunternehmen seine vielfältigen Aufgaben unter dem engen Korsett einer Gemeinnützigkeit verrichten könnte.
Die überwältigende Mehrheit unserer 3.000 Unternehmen, die im GdW Mitglied sind, denkt so: Wir repräsentieren kommunale, kirchliche und genossenschaftliche Unternehmen, die mal gemeinnützig waren, und das mag nun seltsam klingen, weil diese Unternehmen nun dagegen sind. Was aber unter anderem dagegen spricht, ist die europarechtliche Dimension. Die Gemeinnützigkeit in Deutschland war bis 1989 von EU-Richtlinien völlig unberührt. Heute müsste man eine Gemeinnützigkeit danach ausrichten, außerdem müssten bestimmte Geschäftsfelder wie Quartiersmanagement oder das Anbieten von E-Mobilität und eigenen Stromkraftwerken in ein Rahmenwerk der Gemeinnützigkeit integriert werden. Mit den Auflagen von Europarecht und Gemeinnützigkeit gleichermaßen könnten die Wohnungsgesellschaften ihren Betrieb nicht in dem Maße aufrechterhalten. Sie würden Wohnungen nur noch verwalten, könnten aber nicht mehr unternehmerisch tätig sein.
Dies ist jedoch Teil des Koalitionsvertrages der Ampel.
Ja, Bau- und Finanzministerium arbeiten gemeinsam an einem Eckpunktepapier. Das sollte Ende März bereits vorliegen, wurde nun aber verschoben, weil das Finanzministerium davon nichts hält. Wir sind dort ebenfalls, wie auch andere Verbände, mit eingebunden, aber wir glauben nicht daran, dass die bislang vorgestellten Modelle funktionieren.