Europa ist Vielfalt und nicht selten auch Widerspruch. Verständigung und Austausch ist die Basis, die immer weiter gepflegt und entwickelt werden muss. Eine Aufgabe, der sich die ASKO Europa-Stiftung in vielfältiger Form angenommen hat, wie Meike Kartes, Vorständin der Stiftung, erläutert.
Frau Kartes, junge Menschen für Europa zu begeistern ist einer der Schwerpunkte der ASKO Europa-Stiftung. Sie gehen dabei sehr unterschiedliche Wege, unter anderem mit dem START-Stipendienprogramm. Was ist das Besondere dabei?
Uns geht darum, die Stipendiaten und Stipendiatinnen als Botschafter des gesellschaftlichen Wandels zu sehen und zu fördern. Aktuell haben wir 24 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus zwölf Ländern, hauptsächlich arabische Länder wie Syrien und Marokko, aber auch aus der Türkei, aus Weißrussland, der Ukraine, Bulgarien, Ungarn und Sri Lanka. Bei all der Konfliktbehaftung, die Gruppendynamiken naturgemäß mit sich bringen, momentan aufgeheizt durch unterschiedliche, politische Weltanschauungen, versuchen wir, Leitplanken zu geben, dass sich die jungen Menschen in einem Safe Space aufgenommen und willkommen fühlen. Wir waren in dem Programm immer schon gefordert, die interkulturelle Kommunikation und die Demokratiebildung in den Mittelpunkt zu stellen. Das kommt uns heute zupass, weil wir diese Kompetenzen mehr denn je brauchen. Das gilt auch für die Menschen, die dann wiederum selbst Botschafterinnen und Botschafter werden. Das sind die kleinen Samen, die wir säen können. Wir wollen Brückenbauer und Dialogbereiter sein in allen Arbeitsbereichen der Stiftung.
Botschafterinnen und Botschafter, die sich danach quasi in die ganze Welt verstreuen?
Seit Beginn 2005 haben im Saarland 130 Alumni aus 30 unterschiedlichen Nationen das Programm durchlaufen. Wir machen eine ganz aktive Alumni-Arbeit, wir binden sie in unsere Netzwerkstrukturen ein, schon zu Stipendienzeiten. Auch wenn es manchmal schwierig ist. Es gibt bei den jungen Menschen aktuell weniger Planbarkeit. Das ist seit Corona noch ein bisschen schwieriger geworden. Aber es lohnt sich immer wieder. Kürzlich hat sich ein ehemaliger START-Stipendiat wieder bei uns gemeldet, der jetzt in den USA lebt und arbeitet. Er ist besorgt um die Entwicklungen in seiner ehemaligen Heimat, in die er gerne wieder zurückkommen möchte (Hinweis Redaktion: s. Gespräch mit Mahdi Srour, S. 34). Ein Beispiel dafür, dass unser Netzwerk funktioniert und weiterwächst.
Welche Entwicklungsperspektiven gibt es?
Es gibt immer wieder Weiterentwicklungen. Im Moment ist Digitalisierung ein wichtiges Thema, das bundesweit eine immer größere Rolle spielt. Das START-Programm gibt es in allen 16 Bundesländern, derzeit mit insgesamt 470 Stipendiatinnen und Stipendiaten und 3093 Alumni. Mit den Möglichkeiten der Digitalisierung stellt sich die Frage, ob und wie wir noch mehr Menschen, vor allem junge Menschen, erreichen können. Wir müssen und wollen uns weiter öffnen, Digitalisierung und KI sind nicht mehr wegzudenken. Ich stelle mir aber grundsätzlich die Frage, ob man die jungen Leute nur auf digitalem Weg bei der Stange wird halten können.
Was macht Sie skeptisch bei der Entwicklung?
Wir sind ein kleines Bundesland, wir haben immer eine offene Tür, haben also die Möglichkeit, die Stipendiaten wirklich engmaschig zu betreuen und zu beraten in ihrer Bildungsbiographie. In der ASKO Europa-Stiftung und der Europäischen Akademie Otzenhausen stellen wir Begegnung in den Mittelpunkt unserer Programme. Wir müssen und werden uns im digitalen Raum weiterentwickeln, aber wir werden hier im Saarland, aber auch bundesweit, direkte Begegnungen weiter vorantreiben, weil wir glauben, dass das direkte Beisammensein, auch mit seinen informellen Aspekten, eine besondere Qualität ist. Rhetorische Kommunikation ist ein wichtiger Bestandteil unseres Angebots, weil das grundlegend für Demokratie und Mitwirkung ist. Deshalb sind wir für Präsenzveranstaltungen, für persönliche Begegnungen, auch und erst recht grenzüberschreitende Begegnungen. Das wird eine Konstante in unserer Arbeit bleiben.
Wie schwierig ist es, Aufmerksamkeit und Interesse junger Menschen gerade für diese Angebote zu wecken?
Stiftungen hängt ja ein wenig das Image an, hauptsächlich die zu erreichen, die sich ohnehin schon interessieren und engagieren. Als wir uns 2022 mit dem neuen Vorstand (gemeinsam mit Stéphanie Bruel und Marco Wölflinger) aufgestellt haben, war klar, dass wir die bewährte Arbeit intensivieren und mehr junge Zielgruppen adressieren wollen. Was wir gut können, ist Projektarbeit. Das gilt für den Stipendiatenbereich, aber wir sind auch gut als Projektinkubatoren, also Projekte anstoßen und begleiten. Wir haben uns zusätzliche Expertise ins Haus geholt mit einer ausgesprochen Französisch-Kompetenz mit politikwissenschaftlichem Hintergrund, mit neuen innovativen Ideen und Interkultureller Kompetenz. Mit Lea Schäfer haben wir das Team verjüngt, damit können wir auch authentisch die junge Zielgruppe ansprechen. Und wir haben uns für FSJ entschieden (Freiwilliges Soziales Jahr), derzeit nehmen wir sogar noch Bewerbungen für die neue Stelle im FSJ-Bereich ab September an – strategisch war das FSJ eine Super-Entscheidung, wie sich gezeigt hat.
In welcher Hinsicht?
Die Frage ist: Wie kann man Europa Jugendlichen vermitteln? Natürlich am besten durch deren eigene Brille, also von jungen Leuten für junge Leute. Unsere FSJlerin hat jetzt zum Europatag (9. Mai) einen Poetry Slam in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Organisationen im Saarland (Europa-Union Saar und JEF Saarland) konzipiert und durchgeführt. Ein Beispiel, wie wir neue Wege gehen. Auch in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit: Wir haben im letzten Sommer erstmals mit „Capentreprendre“, eine deutsch-französischen Jugendkooperative in Forbach, erstmals ein Projekt unter dem Motto „Diesen Sommer sind wir der Boss“ durchgeführt, bei dem es darum ging, dass junge Menschen von beiden Seiten der Grenze zusammen ein Unternehmen gründen, ihre Dienstleistungen vermarkten, also eine europäische Dimension. Derzeit sind wir noch auf der Suche nach interessierten Wirtschaftspartnern auf der deutschen Seite. Dieses Pilotprojekt für junge Menschen zwischen 16 und 19, also auch die Zielgruppe unserer Stipendiaten, fand richtig großes Interesse. Auch das ein Beispiel für unsere Netzwerke. Wobei Netzwerke für uns nicht l’Art pour l’Art sind, sondern die Basis, um handlungsfähig zu sein und uns zu entwickeln.
In Deutschland hält immer noch eine deutliche Mehrheit (etwa drei Viertel) der Bevölkerung Europa für wichtig, so recht Begeisterung ist aber nicht dabei. Was heißt das für Ihre Arbeit?
Aus unserer Sicht ist Europa auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Frage ist dann angesichts der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung: Wie kann man Europa heute vermitteln? Gerade im Vorfeld der Europawahl und der erstmaligen Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre sind wir gemeinsam mit jungen Multiplikatoren auch in Schulen unterwegs. Wir machen natürlich unsere klassischen Angebote und auch Leuchtturmveranstaltungen, wie zuletzt mit den Chefs der Französischen Nationalbank und der Deutschen Bundesbank. Dass die sich gemeinsam zu einer Diskussion über europäische Finanzpolitik im Saarland treffen, ist schon ein Ausrufezeichen. Eine andere Antwort ist aber auch: Noch mehr junge Zielgruppen anzusprechen. Und: Rhetorische Kommunikation, im Gespräch bleiben, Diskurs mitgestalten. Konzeptionell ist wichtig, dass unser Angebot von Bildung sichtbarer werden muss. Wir gehen viel in den öffentlichen Raum, gehen in Kneipen, an Kulturorte, bieten auch andere Formen von Veranstaltungen an, von Lesungen bis zu dem schon erwähnten Poetry Slam, wir warten also nicht, bis Leute zu uns kommen.