Nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 haben einige Menschen mit gesundheitlichen Langzeitfolgen zu kämpfen – dem Long-Covid-Syndrom. Experte Prof. Martin Korte vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung sprach mit uns über Symptome, Ursachen und verriet, wie man sich am besten schützt.
Herr Prof. Korte, was verbirgt sich hinter dem Begriff „Long Covid“?
Long Covid ist weder in der wissenschaftlichen noch in der öffentlichen Wahrnehmung ein genau definierter Begriff. Ich verstehe darunter Anzeichen, Symptome und Folgeerscheinungen, die nach einer akuten, mit einem PCR-Test nachgewiesenen Sars-CoV-2-Infektion über einen Zeitraum von mindestens sechs Wochen bis hin zu Monaten und Jahren anhalten oder sich entwickeln. Das können zum Beispiel Gedächtnis- und Konzentrationsprobleme, Sprachschwierigkeit, Geruchsverlust, Gehirnnebel, Herzrasen und Schwindelgefühl sowie Kurzatmigkeit und Muskelschmerzen sein.
Klingen diese Symptome irgendwann von selbst ab?
Die Symptome sind in der Regel multisystemisch, können in Form eines schubartig wiederkehrenden Musters auftreten und sich im Laufe der Zeit sogar verschlimmern, wobei auch Monate oder Jahre nach der Infektion anhaltende, schwere Symptome möglich sind. Bemerkenswert ist hierbei, dass Long Covid nicht nur nach schweren Verläufen von Covid-19 auftritt, sondern bei etwa sechs bis zehn Prozent der Betroffenen auch nach einem milden Covid-19-Verlauf. Man kann – je nach Schwere der Symptome – davon ausgehen, dass in über 50 Prozent der Fälle die Symptome nach zwölf Wochen abklingen. Ein weiterer deutlicher Rückgang kann dann nochmal nach etwa sechs Monaten erwartet werden. Leider verhält es sich nicht so bei dem Fatigue-Syndrom, das mit großer Müdigkeit, Schlaffheit und Antriebslosigkeit einhergeht, was sich auch nach Erholungsphasen nicht verbessert. Hier berichten im bisherigen Verlauf der Pandemie Patienten auch 18 Monate nach Beginn von Long Covid noch über Symptome. Auch Geruchsverlust und Kurzatmigkeit können über viele Monate anhalten.
Werden die Begriffe Long Covid und Post Covid synonym verwendet oder bezeichnen sie unterschiedliche Erkrankungen?
Die WHO unterscheidet zwischen Long Covid, was die Phase bis zu zwölf Wochen nach Beginn der Long-Covid-Symptome behandelt und Post Covid bei Symptomen, die länger als zwölf Wochen andauern. In der Fachliteratur ist die Unterscheidung oft mit anderen Namen belegt, oder man verwendet nur den Begriff Long Covid, was ich bevorzuge. Denn es ist wichtiger, die verschiedenen Ursachen und auch die verschiedenen Verläufe von Covid-19 genauer zu differenzieren als die Dauer.
Sie betrachten Long Covid als eigenständige Erkrankung. Warum? Hat man zum Beispiel noch andere Symptome als bei den bekannten Covid-Varianten beziehungsweise sind einige Symptome besonders ausgeprägt?
Long-Covid-Symptome treten nach einer eindeutig nachgewiesenen Sars-CoV-2-Infektion auf und sind keine singuläre Krankheit, sondern Long Covid ist für mich ein Überbegriff für verschiedene mit Sars-CoV-2 assoziierte Erkrankungen – ähnlich wie das bei Demenzen der Fall ist, die auch mehrere neurodegenerative Erkrankungen bezeichnen, von denen die Alzheimer-Krankheit die häufigste ist.
Sie erforschen am Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung Braunschweig den Einfluss von Infektionen und damit verbundenen Entzündungen auf neurodegenerative Erkrankungen. Was haben Sie hier bisher im Zusammenhang mit Corona und auch mit Long Covid herausgefunden?
Wir haben in Mausmodellen nach schweren Virusinfektionen gesehen, dass die Gehirne hierbei langanhaltende, über Monate andauernde entzündliche Prozesse im Gehirn aufweisen können, was man dann als Neuroinflammation bezeichnet. Aktuell untersuchen wir, wie häufig das bei Sars-CoV-2-Infektionen auftritt und warum das Immunsystem des Gehirns hier so viel länger aktiv bleibt als das Immunsystem des Körpers.
Hoffnungsvoll stimmt einen für die nächsten Jahre, dass langanhaltende Symptome nicht berichtet wurden bei Menschen, die sich mit anderen Corona-Viren infiziert haben, die schon seit vielen Jahren zu unseren normalen Erkältungsviren gehören.
Der Untertitel Ihres neuen Buchs lautet „Wenn der Gehirnnebel anhält“. Was meinen Sie mit „Gehirnnebel“?
Mit Gehirnnebel ist eine Verlangsamung der Wahrnehmung, des Denkens und des Handelns gemeint. Die Welt, die einen umgibt, scheint einem wie durch eine Watteschicht wahrnehmbar. Zusätzlich verlangsamt sich das Denken und Konzentrations- und Gedächtnisvermögen sind eingeschränkt. Es geht wohl darauf zurück, dass durch die entzündlichen Prozesse im Gehirn die Neuronen geschädigt werden, die daraufhin ihre Verbindungen zu anderen Neuronen reduzieren und die Rechenkapazität des Gehirns herabsetzen. Zusätzlich werden auch die Zellen im Gehirn geschädigt, die die Nervenleitungsbahnen (Axone) umhüllen und so eine schnelle Leitungsgeschwindigkeit ermöglichen. Diese Isolierungen werden löchrig, was die Taktung des Gehirns herabsetzt.
Wie kann man erklären, dass die Beeinträchtigungen bei Corona und Long Covid so viele Organe betreffen können, zum Beispiel Lunge, Nieren, Blutgefäße, Herz-Kreislauf-System, Hormonregulation und Gehirn?
Das Sars-CoV-2-Virus bindet unglücklicherweise an ein Oberflächenprotein, den ACE-Rezeptor, der sich auf Zellen vieler Organe befindet. Dazu gehören neben der Lunge auch der Nasen-Rachen-Raum, die Nieren, das Herz, die Blutgefäße, und auch im Gehirn haben die Neuronen und Gliazellen des Gehirns diese Andockstellen für das Virus.
Was haben Autoimmunreaktionen mit Long Covid zu tun?
Die starke Immunreaktion des Körpers führt auch dazu, dass sogenannte Autoantikörper, die gegen eigene Körperzellen schießen, mit aktiviert werden können. Auch können sich Viren, die selbst Proteine besitzen, die einigen menschlichen Proteinen ähneln, nachdem sie sich Jahre im Körper nicht mehr geteilt haben, wieder vermehren und Autoimmunreaktionen auslösen. Leider sind hierbei viele Autoimmunreaktionen beteiligt, die entzündliche Reaktionen im Gehirn auslösen.
Wie lässt sich erklären, dass in einigen Fällen Geruchs- und Geschmackssinn lahmgelegt werden?
Gerade die Nase besitzt Zellen mit einer hohen Dichte für Proteine (ACE-Rezeptoren), die das Virus benötigt, um sich in Zellen zu vermehren. Diese virale Invasion führt gerade in der Nase zu starken entzündlichen Reaktionen, die die sensorischen Neuronen der Nase schädigen und zum Absterben dieser Zellen führen können. In einigen Fällen kann das Virus diese Nerven direkt infizieren und über den Riechnerv in das Gehirn transportiert werden. Auch im Gehirn, vor allem dann natürlich im Riechkortex, kann es dann ebenfalls zu starken entzündlichen Reaktionen kommen, die die dort angesiedelten Neuronen schädigen können. Oft dauert es Monate, bis sich diese Prozesse wieder normalisieren beziehungsweise bis sich die sensorischen Neuronen in der Nase wieder erneuert haben.
Bei wie viel Prozent der Erkrankten treten Long-Covid-Symptome auf?
Neueste Daten deuten darauf hin, dass zwischen fünf bis zehn Prozent der Covid-19-Erkrankungen zu Long Covid führen können. Die aktuellste Studie aus Schottland kam hier auf sechs Prozent aller Menschen, die mit Sars-CoV-2 infiziert waren. Unabhängig von dem Schweregrad des Verlaufs.
Wie schützt man sich am besten davor?
Am besten, indem man sich möglichst wenig häufig ansteckt. Also in schlecht durchlüfteten Innenräumen, wo Abstände nicht eingehalten werden können, weiterhin eine FFP2-Maske tragen, denn jede neue Infektion birgt ein Long-Covid-Risiko.
Auch eine Impfung senkt das Risiko, an Long Covid zu erkranken. Wie stark die Impfung schützt, hängt aber wohl davon ab, mit welcher Virus-Variante man es aktuell zu tun hat. Entsprechend schwankt die Risikoreduktion zwischen 50 Prozent und 15 Prozent.
Gibt es Personen, die besonders gefährdet sind?
Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. So ist das Verhältnis bei Autoimmunerkrankungen auch. Auch Menschen mit Übergewicht, Diabetiker und Menschen mit bekannten Autoimmunerkrankungen sind gefährdeter.
Kann man die Symptome von Long Covid mit Medikamenten oder anderen Maßnahmen und Therapien behandeln?
Das wird gerade mit über 20 klinischen Studien erprobt. Es gibt erste Daten, die zeigen, dass eine weitere Impfung hilft, nachdem man Long-Covid-Symptome entwickelt hat. Ebenso wie die Verschreibung des antiviralen Medikaments Paxlovid. Hier könnte es sein, dass dies jeweils hilft, um Restvirus aus dem Körper zu eliminieren, sodass das Immunsystem wieder zur Ruhe kommen kann.
Wie sieht es eigentlich bei der Entwicklung von Medikamenten gegen Corona aus?
Am günstigsten wäre, wenn man Medikamente verwenden könnte, die schon gegen andere Erkrankungen auf dem Markt sind, zum Beispiel bei Autoimmunkrankheiten oder zum Lösen von Blutthromben. Laut einer Veröffentlichung aus der Zeitschrift „Nature“ im August haben bisher 26 Studien ihre Arbeit aufgenommen. Es ist schwer abzuschätzen, wie schnell diese zum Erfolg führen könnten.
Am schwierigsten wird es, neuroinflammatorische Prozesse zu behandeln, da diese hinter der Bluthirnschranke im Gehirn stattfinden, wohin viele Medikamente gar nicht gelangen können. Aber auch hier sind sowohl die Grundlagenforschung als auch die klinische Forschung aktiv.