Ein Heiliger in einer Basilika, Häuschen mit Zipfelmützen und spannende Höhlenwohnungen – eine Reise von Bari in die Unesco-Welterbestädte Alberobello und Matera.
Blauer Himmel und Sonnenschein – so begrüßt mich Bari, Apuliens Hauptstadt an der Adria. Das Taxi hält in der Via Melo Da Bari. Melo bedeutet Apfelbaum, doch stattdessen säumen siebenstöckige Wohnbauten die Straße.
Eine Enttäuschung? Keineswegs. Das „B & B Melo“ hatte ich absichtlich so mitten im Leben gewählt. Ein großer Supermarkt ist nur ein paar Schritte entfernt, eine feine Bäckerei lockt schräg gegenüber.
Wichtig war mir auch die Bahnhofsnähe. Nur fünf Minuten zu Fuß sind es bis zur Stazione Centrale. Vor und hinter dem Bahnhof starten auch mehrere Buslinien. Also bestens, um Ausflüge zu machen.
In nördlicher Richtung führt die Via Melo Da Bari mit ihren zahlreichen Modeläden in rund zehn Minuten zum Hafen und in die Altstadt. Schon um 1500 v. Chr. sollen Menschen dort gesiedelt haben. Dank dieses Hafens gaben sich hier schon Griechen, Römer und Byzantiner „die Klinke in die Hand“. Denn der Hafen war die Verbindung zwischen Orient und Okzident.
Mit jetzt mehr als 322.000 Einwohnern ist Bari die zweitgrößte Stadt Süditaliens. Es gab auch schlechte Zeiten, doch jetzt ist sie schön, gepflegt und lebendig. Bari brummt. Dazu haben EU-Gelder deutlich beigetragen. Nicht das Plattmachen alter Bauten, sondern Sanieren und Restaurieren war und ist dort die Regel. Das gilt auch für die gemütliche Altstadt mit ihren gewundenen Gassen.
Gewaschene Kleidung hängt zum Trocknen aus einem Fenster, und nirgends liegt Abfall herum. Die Läden bieten alles, was die Bewohner brauchen und auch die Gäste mögen. Kleine Restaurants servieren leckeres, frisch gekochtes Essen.
Doch erst mal zur Basilica San Nicola, der Nikolaus-Basilika, erbaut von 1087 bis 1106. In der Krypta ruhen die Gebeine des Heiligen Nikolaus von Myra, die – angeblich zur Rettung vor den Seldschuken – per Schiff am 9. Mai 1087 aus der Türkei nach Bari gebracht wurden.
Legal war das nicht, und so fordert seit einiger Zeit die Türkei die Rückgabe seiner Gebeine. Für die Baresi ist das unvorstellbar. Ohnehin ist diese Basilika für Katholiken und Orthodoxe ein Pilgerziel. Zu den jährlichen Feiern, beginnend am 6. Mai, kommen Tausende aus dem In- und Ausland in die dann festlich geschmückte Altstadt.
Flanieren am Fischerhafen
Darüber hinaus wurde diese Basilika, ein klarer weißer Bau in apulischer Romanik, stilbildend für weitere Kirchen, auch für Baris Kathedrale San Sabino von 1292 in der Altstadt. Auf ihren Stufen sitzen gern Menschen in der Sonne, und der Koch gegenüber im Imbiss „Don Fish“ hat alle Hände voll zu tun.
Unweit der Kathedrale, am westlichen Rand der Altstadt, beeindruckt sogleich die einstige Festung, das Castello Normanno Svevo, das der Stauffer-Kaiser Friedrich II. nach vorheriger Zerstörung 1233 geschwind wieder aufbauen ließ. Dieses imposante Castello ist Baris Wahrzeichen und beherbergt nun einige Ausstellungen.
Lebendiger geht es jedoch gleich um die Ecke auf der Piazza Federico II di Svevia zu. Viele stehen vor der Eisdiele „Gentile“ Schlange, ich bald ebenfalls. Seit 1880 wird hier Baris bestes Eis produziert, ein Tipp von meinem Vermieter.
Auch anderes ist für die Baresi und ihre Gäste ein Muss – das Flanieren auf der Promenade entlang am Fischerhafen. Alle freuen sich über die vielen bunten Boote hinter dem leuchtend roten Teatro Margherita, und schnell sind die Bänke besetzt.
Bald werden die Fischer wohl frischen Fisch und Meeresfrüchte an Land bringen. Die sind in Bari erstklassig. Wer gut essen möchte, sollte den Platz beizeiten reservieren. Wer schon mal baden und bräunen möchte, geht weiter bis zum Stadtstrand. Einige wagen sich bereits ins klare Wasser.
Am nächsten Tag ist Alberobello mein Ziel, die Stadt der Trulli, der kleinen weißen Häuschen, deren Kegeldächer wie Zipfelmützen wirken. Etwa 1.500 verteilen sich auf zwei Stadtviertel und ziehen sich hügelan. Seit 1996 gehören sie zum Unesco-Weltkulturerbe.
Ihr Vorbild sollen die Hirtenhütten gewesen sein, denn ähnlich wie diese bestehen die Trulli aus aufeinander geschachtelten Kalksteinplatten ohne die Verwendung von Mörtel. Manche Dächer sind auch mit geheimnisvollen Symbolen verziert. Zahlreiche Trulli sind noch bewohnt, andere werden als Souvenirläden genutzt.
So macht es auch Liliana, die nicht nur Magneten und T-Shirts anbietet, sondern auch dunkle, aus Eisen geschmiedete Kunstwerke, die Glück bringen sollen. Gerade ist ihr Trullo leer, ich gucke mich drinnen um, und sie beginnt auf Englisch zu erzählen.
In diesem Trullo ist sie geboren, als jüngstes von 13 Kindern. Die Eltern mit den Mädchen hätten unten zu ebener Erde geschlafen, dort sei auch gekocht worden. Die Jungs schliefen im oberen, recht engen Stockwerk. Und wo war die Toilette? „Die gab es nicht“, lächelt Liliana. Sie wohnt jetzt in Bari, und die Trulli, die Gäste mit bunten Fähnchen willkommen heißen, sind sicherlich besser ausgestattet.
Ob ich mir schon die Kirche oben auf dem Hügel angeschaut habe, fragt Liliana. Drinnen wäre ein schönes Bild, fügt sie hinzu. Gern gehe ich mit einem Glücksbringer im Rucksack weiter bergan und staune über das farbenfrohe Gemälde in diesem Kirchlein.
Dass das Leben noch ärmlicher sein konnte, zeigen mir schließlich die Sassi genannten Höhlenwohnungen von Matera in der Region Basilicata. „Viel Steine gab’s und wenig Brot“, war dort die Regel. Andererseits sind Höhlenwohnungen eine schon in der Altsteinzeit praktizierte Siedlungsform.
In Matera gruben sich die Menschen schon vor Jahrtausenden in den relativ weichen Kalkstein hinein, und ihre Höhlenwohnungen prägen noch immer die Altstadt. Rund 20.000 Menschen lebten dort im Sasso Caveoso und dem Sasso Barisano bis hinauf zur Kathedrale, die im 13. Jahrhundert nach Baris Vorbild in apulischer Romanik auf einem Plateau errichtet worden war.
Berühmte Höhlen-Wohnungen
In diese ärmliche Gegend wurden im 20. Jahrhundert Regierungskritiker verbannt, 1935 auch der antifaschistische Turiner Arzt und Maler Carlo Levi. Über die Sassi in Matera schrieb er: „In diesen schwarzen Löchern, Wände aus Erde, sah ich die Betten, die ärmliche Ausstattung, ausgebreitete Lumpen. Auf dem Fußboden lagen die Hunde, die Schafe, die Ziegen, die Schweine. Jede Familie hatte, im Allgemeinen, eine einzige jener Höhlen als gesamte Wohnung, und sie schliefen alle zusammen.“
Jahre später erschien sein Buch „Christus kam nur bis Eboli“, das in 37 Sprachen übersetzt und auch verfilmt wurde. Noch heutzutage werden in dieser krassen Szenerie gern Bibelfilme gedreht. Sogar in James Bond 007 „Keine Zeit zu sterben“ wurde sie genutzt.
Im reichen Norditalien galten die Sassi schon länger als „Schande Italiens“. Unter der Regierung de Gasperi mussten in den 1950er-Jahren die noch 15.000 Sassi-Bewohner ihre Höhlen räumen und in neu gebaute Häuser umziehen.
Ab 1967 ließ dann der Staat die leeren Höhlenwohnungen aufwendig sanieren und restaurieren. Frischwasser- und Stromleitungen wurden gelegt und die uralte Siedlungsform auf diese Weise erhalten. 1993 wurden die Sassi zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt. Ein großer Schritt für Matera.
Dennoch wollten viele der früheren Bewohner nicht in die engen Höhlen zurückkehren. Die dienen nun als Mini-Museen, Cafés und Souvenirläden. Auch an Feriengäste werden sie vermietet. Sogar Nobelhotels sind in den Sassi entstanden.
Felsenkirchen in Matera
Diese positive Weiterentwicklung verdankt Matera letztendlich der Wahl zur Kulturhauptstadt Europas 2019. Seither ist die Stadt mit ihren Höhlenwohnungen und Felsenkirchen ein Magnet für Reisende aus aller Welt. Die gehen in die Museen oder buchen Höhlen- und Felskirchenführungen. Doch manchen Tages-Touristen scheint jedoch bei Speis’ und Trank der Blick auf Materas sonnige „Sassi-Landschaft“ vollauf zu genügen.
Vorsichtig gehe ich zwischen den Höhlenwohnungen auf steilen Wegen und teils rutschigen Treppen hinab bis zur Talsohle und auf der Gegenseite durch die dortigen Sassi wieder hinauf bis zur Kathedrale. Daneben schaut gerade eine Schulklasse hinunter auf das Höhlen- und Häusergewirr.
Die Klasse ist per Bus auf einer zum Domplatz führenden Straße angereist. Der residierende Erzbischof wird sicherlich auch hinauf chauffiert. Tatsächlich für mich dumm gelaufen? Keineswegs, hatte ich doch Matera, eine der ältesten Städte der Welt, unter meinen Füßen!