Die naheliegende Vermutung, dass Blinzeln unserem Sehen abträglich sein soll, konnten US-Forscher nun widerlegen. Sie wiesen nach, dass der Lidschlag dem Gehirn sogar dabei hilft, visuelle Informationen besser zu verarbeiten.
Das Blinzeln ist fraglos ein hochinteressantes Phänomen, dem der Mensch im Alltag allerdings kaum sonderliche Beachtung schenkt. Denn das Schließen und Öffnen der Augenlider geschieht völlig unbewusst und reflexhaft. Und zwar in einer ultrakurzen Sequenz von durchschnittlich etwa 300 Millisekunden, wobei der Lidschließmuskel der schnellste Muskel unseres gesamten Organismus ist. Menschen verbringen erstaunlich viel Zeit mit dem Blinzeln. Schätzungsweise schließen wir im Schnitt mehr als 14.000 Mal am Tag die Augenlider für eine winzige Zeitspanne. Ungefähr alle vier bis sechs Sekunden müssen wir blinzeln, was pro Minute zwischen acht und 15 Lidschläge ergibt. Bei Stress oder Nervosität erhöht sich die Zahl der Lidschläge. Bei längeren Bildschirmarbeiten kann sie unter den Normalwert sinken, was als Grund für schmerzende Augen angesehen werden kann. Laut einer früheren Studie blinzeln Frauen etwas schneller und etwas öfter als Männer. Auf den gesamten Lebenszyklus bezogen verbringen wir zwischen drei und acht Prozent unseres wachen Zustandes mit geschlossenen Augenlidern.
Verschnaufpause für das Sehzentrum
Als Hauptfunktion des Blinzelns wird der Schutz der Augen vor einem Austrocknen angesehen. Weil dadurch die Aufrechterhaltung des Tränenfilms als dauerhafte Benetzung der Hornhaut mit Tränenflüssigkeit gewährleistet wird. Zudem können Fremdkörper mit Hilfe des regelmäßigen Lidschlags weggewischt und anschließend über den Tränenkanal abtransportiert werden. Darüber hinaus konnte schon nachgewiesen werden, dass mit dem Blinzeln auch eine nonverbale Kommunikation verbunden ist. Aber all das allein kann nicht ausreichend erklären, warum wir dermaßen häufig blinzeln müssen, obwohl es für die reine Erhaltung der Augengesundheit absolut unnötig ist. Schon länger verdichteten sich daher Hinweise darauf, dass dem Blinzeln noch weitere Funktionen zukommen müssen. So stellten britische Wissenschaftler die These auf, dass unser Gehirn bei jedem Blinzeln bestimmte Bereiche des visuellen Systems vorübergehend abschalten und dem Sehzentrum dadurch eine kurze Verschnaufpause ermöglichen kann.
In der Neurowissenschaft hat man sich selbstverständlich auch intensiv mit der Frage befasst, warum im Laufe der Evolution das erhöhte Risiko eines kurzfristigen Seh-Blackouts beim Blinzeln in Kauf genommen wurde. Warum der Mensch vergleichsweise viel Zeit in einem scheinbar verletzlichen Zustand verbringen sollte. Und zusätzlich musste der Sachverhalt geklärt werden, warum die Unterbrechung des Sehprozesses durch das Blinzeln im Alltag kaum bewusst als kurzfristige Dunkelheit wahrgenommen wird. Dieses Rätsel konnten vor einigen Jahren Göttinger Neurowissenschaftler lösen. Demnach sorgt unser Gehirn-Bildspeicher im Sinne eines Gedächtniseffekts dafür, dass wir beim Blinzeln keinen Bruch bei unserer Sehtätigkeit wahrnehmen können, sondern die Szenerie scheinbar störungsfrei vor unserem Auge ablaufen kann. Es wird uns behelfsweise einfach eine Art Standbild aus der allerjüngsten Vergangenheit präsentiert. Denn ein Teil des Gehirns (vor allem im Stirnlappen) speichert alles Gesehene sofort ab. Sobald wir die Augen wieder öffnen, wird das Standbild mit den neuen visuellen Informationen zusammengefügt und zu einer flüssigen Bildfolge kombiniert.
Dennoch ist die Vermutung naheliegend, dass der Lidschlag der Sehverarbeitung abträglich sein müsste. Denn durch das Schließen des Auges kann kurzfristig kein Licht auf die Netzhaut fallen. Es können keine Nervensignale ausgelöst werden und das Bild auf der Netzhaut könnte gestört werden. Das war auch die Ausgangsprämisse einer jüngst im Fachmagazin „PNAS“ publizierten Studie der US-amerikanischen University of Rochester unter Leitung von Prof. Michele Rucci vom Department of Brain and Cognitive Sciences und seinem Kollegen Bin Yang, der als Doktorand in Ruccis Labor tätig ist und als Erstautor für die Studie verantwortlich zeichnete. Schon länger gab es laut den Forschern Hinweise darauf, dass Blinzeln hilfreich dabei sein könnte, Objekte zu erkennen, das Gehirn zu entlasten und die virtuelle Informationsflut in praktische Häppchen zu zerteilen. Dass das Blinzeln aber weit über den reinen Mechanismus, die Augen feucht zu halten, hinausgeht, sogar unmittelbar das Sehen verbessert und dem Gehirn bei der direkten Verarbeitung der visuellen Information helfen kann, war eine neue verblüffende Erkenntnis der aktuellen Forschungsarbeit.
Das Team hatte zwölf Probanden in sein Labor geladen. Die Testpersonen mussten sich auf einem Monitor jeweils zweieinhalb Sekunden lang verschiedene Gittermuster anschauen und dabei angeben, ob diese Gitter mit oder entgegen dem Uhrzeigersinn gedreht wurden. Während des Experiments wurden die Augenbewegungen und das Blinzeln der Probanden mittels sogenanntem Eye-Tracking verfolgt. Außerdem wurde mit Hilfe komplexer Computermodelle und Spektralanalyse (der Analyse der verschiedenen Frequenzen visueller Reize) der Lichteinfall in die Augen registriert, um möglichst exakte Daten darüber zu bekommen, wie viel Licht zwischen den Lidschlägen auf die Netzhaut gefallen war. Daraus sollten Erkenntnisse darüber gewonnen werden, was die Augen beim Blinzeln wahrnehmen im Gegensatz zu geschlossenen Augenlidern.
Visuelle Verarbeitungsstrategie
„Durch die Modulation des visuellen Eingangs auf die Netzhaut formatiert Blinzeln visuelle Informationen effektiv um und erzeugt Luminanzsignale, die sich drastisch von denen unterscheiden, die wir normalerweise erleben, wenn wir einen Punkt in der Szene betrachten“, so Prof. Rucci. Dieser zusätzliche Kontrast könne die visuelle Wahrnehmung empfindlicher machen, die Verarbeitung des Gesehenen verbessern und dadurch den durch Blinzeln verursachten Informationsverlust ausgleichen. Konkret konnten die Forscher herausfinden, dass Menschen, die blinzeln, besser darin werden, große, sich allmählich verändernde Muster zu erkennen. Die Testpersonen erkannten die korrekte Drehbewegung der Gittermuster deutlich häufiger, wenn sie während der Betrachtung geblinzelt hatten. Sie konnten sich dadurch offensichtlich ein vollständigeres Gesamtbild des Musters machen. Es spielte dabei keine Rolle, ob die Probanden aus Reflex oder auf Aufforderung hin geblinzelt hatten. Auch ein simuliertes Blinzeln, bei dem der Monitor für den Bruchteil einer Sekunde verdunkelt wurde, hatte den gleichen Effekt wie echtes Blinzeln.
Das Team kam zu der Schlussfolgerung, dass das Blinzeln dem Gehirn Informationen über das Gesamtbild einer visuellen Szene liefern kann. „Die Ergebnisse zeigen“, so Prof. Ricci, „dass beim Blinzeln die schnelle Bewegung des Augenlids die Lichtmuster verändert, die bei der Stimulation der Netzhaut wirksam sind. Dies erzeugt eine andere Art von visuellem Signal für unser Gehirn, als wenn unsere Augen geöffnet und auf einem bestimmten Punkt fokussiert sind.“ Indem das Blinzeln die Empfindlichkeit für niedrige räumliche Frequenzen erhöhe, „können wir durch das Blinzeln räumliche Muster – wie das Gitter im Test oder langsame Bewegungen – leichter erkennen.“
Die Bewegung des Augenlids beim Blinzeln veränderte die Intensität des auf die Netzhaut fallenden Lichts, wodurch die Testpersonen ein optisch deutlich vielschichtigeres Signal wahrnehmen konnten als beim Betrachten des Monitors ohne Lidschlag-Einsatz. Das Blinzeln unterbricht zwar kurzfristig die reale Bildfolge, kann aber dafür anschließend die visuelle Wahrnehmung der Szene verstärken. „Entgegen der landläufigen Annahme verbessert das Blinzeln also die visuelle Verarbeitung“, so Bin Yang, „anstatt sie zu stören, und kompensiert den Verlust der Reizbelastung erheblich.“ Die Ergebnisse deuten laut dem Team darauf hin, „dass das Blinzeln, wie Augenbewegungen, als rechnerische Komponente einer visuellen Verarbeitungsstrategie funktioniert, die motorisches Verhalten nutzt, um räumliche Informationen in den zeitlichen Bereich umzuformatieren.“
Womit die Resultate die wachsende Zahl von Forschungsarbeiten aus Prof. Riccis Labor zur visuellen Wahrnehmung untermauern und wieder mal veranschaulichten, „dass das menschliche Sehen eine Kombination aus sensorischem Input und motorischer Aktivität ist“, so Prof. Ricci. „Wenn wir zum Beispiel riechen oder berühren, helfen unsere Körperbewegungen unserem Gehirn, den Raum zu entdecken. Forscher glaubten bisher, dass das Sehen anders ist, aber unsere Forschung stützt die Idee, dass das Sehen den anderen Sinnen ähnlicher ist. Da räumliche Information im Bild auf der Netzhaut explizit ist, ging man davon aus, dass sich die visuelle Wahrnehmung unterscheidet. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass diese Sichtweise unvollständig ist und dass das Sehen anderen sensorischen Modalitäten mehr ähnelt als gemeinhin angenommen.“