Buckelwale stellen für die Jagd ein spezielles Werkzeug selbst her. Dabei handelt es sich um spiralförmige Blasenvorhänge, die wie ein Netz funktionieren. Diese sogenannten Blasennetze wurden nun in einer aktuellen Studie detailliert untersucht.
Im Tierreich gibt es eine beträchtliche Anzahl von Arten, die bei der Nahrungssuche instinktiv Hilfsmittel benutzen. Doch nur ganz wenige Spezies sind dazu in der Lage, sich selbst ein spezielles Werkzeug herzustellen oder zumindest ein natürliches Hilfsmittel für ihre Zwecke gezielt zu modifizieren. Die bekanntesten Beispiele sind freilebende Schimpansen und Orang-Utans, die zum Beispiel Äste verändern und als Werkzeug benutzen, um leichter Zugang zu Insekten oder Früchten zu haben. Die Herstellung solcher Werkzeuge erfordert besondere Verhaltenssequenzen und lässt auf vergleichsweise große und komplexe Gehirne schließen, weil nur dadurch einem natürlichen Material eine neue, dreidimensionale Form gegeben werden kann.
Seit gut einem Jahrzehnt wird auch der Buckelwal, der in der Fachsprache als Megaptera novaeangliae bekannt ist und weltweit in allen polaren bis tropischen Meeren verbreitet ist, zum elitären Kreis der Werkzeughersteller gezählt. Seinen Namen verdankt er einem ausgeprägten Höcker vor seiner kleinen Rückenflosse. Buckelwale gehören zur Klasse der Säugetiere, zur Ordnung der Wale und zur Unterordnung der Bartenwale, die im Oberkiefer Hornplatten statt Zähnen haben und zu denen die meisten Riesenkolosse unter den Walen gehören. In der Familie der Furchenwale bildet der Buckelwal mit seinem eher gedrungenen Körper eine Ausnahme im Vergleich zu den sonst eher schlanken und stromlinienförmigen Tieren. Mit einer durchschnittlichen Körperlänge von 13 Metern zählen die Buckelwale, deren Gewicht bei etwa 30 Tonnen liegt, zu den eher kleinen Bartenwalen. Sie sind anmutige, aber mit durchschnittlich sieben Kilometern pro Stunde vergleichsweise langsame Schwimmer und verbringen bei Tauchgängen normalerweise drei bis neun Minuten unter Wasser, können ihre Tauchdauer bei Bedarf aber auch auf bis zu 45 Minuten ausweiten.
Bereits 2011 erstmals entdeckt
Buckelwale, die beim Ausatmen Wasserfontänen bis in eine Höhe von drei Metern versprühen können, gelten als neugierige Tiere. Unter den Großwalen sind sie die akrobatischsten Vertreter, weil sie oft mit dem ganzen Körper aus dem Wasser springen und sich danach rücklings auf die Meeresoberfläche fallen lassen. In den Nahrungsgründen können sich Buckelwale zu Gruppen mit bis zu 150 Tieren zusammenschließen. Doch meist jagen Buckelwale allein oder in kleinen Zusammenschlüssen von zwei bis neun Tieren. Buckelwale ernähren sich hauptsächlich von Krill (Leuchtgarnelen) oder Fisch. Beim Fressen nimmt der Buckelwal eine große Menge Wasser in sein Maul auf und filtert die Nahrung beim Auspressen des Wassers heraus. Sobald der Buckelwal Schwärme von Krill oder Fischen entdeckt hat, schwimmt er einfach mit offenem Maul durch die Leckerbissen.
Doch daneben haben die Buckelwale eine noch weitaus effizientere Fangtechnik perfektioniert. Diese wurde erstmals 2011 von Meeresbiologen der US-Meeresforschungsbehörde National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA) vor der Küste Neuenglands entdeckt und im Fachmagazin „Behaviour“ vorgestellt. Die Forscher hatten mehreren Buckelwalen Sensoren per Saugnapf angeheftet. So konnten sie Blasentunnel aufspüren, die die Tiere zum Einkreisen ihrer Beute erzeugt hatten. Dass es sich bei diesen Blasentunneln um regelrechte Fangnetze handelt, konnten dann 2019 Meeresforscher der University of Hawaii in Manoa dokumentieren. Unter Federführung des Direktors des Marine Mammal Research Programms (MMRP) Dr. Lars Bejder war dies bei Buckelwal-Beobachtungen vor der Küste Alaska geglückt, wo sich jeden Sommer rund 3.000 Buckelwale einfinden.
Um detailliertere Einblicke in die spezielle Fangtechnik der Wale zu gewinnen, wurde kurze Zeit später nach Bewilligung durch die NOAA ein großes Forschungsprogramm der Alaska Whale Foundation (AWF) aufgelegt. Verschiedene Institutionen wie das US-Verteidigungsministerium hatten das Programm finanziell unterstützt. Federführend waren AWF-Geschäftsführer Dr. Andy Szabo und Direktor Dr. Lars Bejder (MMRP) als Hauptverantwortlicher. Wobei das Team langfristige Beobachtungen mit modernster Technik kombinieren konnte. Die eigentliche Studie, deren Ergebnisse jüngst im Fachmagazin „Royal Society Open Science“ veröffentlicht wurden, fand zwischen dem 14. und 19. Juli 2019 am Zusammenfluss von Frederick Sound und Stephens Passage im nördlichen Südost-Alaska statt. Doch danach konnten zwischen 2019 und 2021 weitere Erkenntnisse durch 53 systematische und von unbemannten Luftsystemen wie Drohnen begleitete Bootserkundungen gewonnen werden.
Nach unten offener Trichter
Die Wissenschaftler konzentrierten sich bei ihrer Studie auf einzelne mit Blasennetzen jagende Tiere, um die Rolle der Kooperation bei den sehr sozialen und oft gemeinsam jagenden Tieren auszuschalten. „Buckelwale produzieren bekanntermaßen komplexe Blasenstrukturen – ‚Blasennetze‘. Dazu blasen sie Luft aus ihrem Blasloch ab, während sie auf einer kreisförmigen Bahn unter der Oberfläche schwimmen. Die aufsteigenden Blasen bilden vertikale Vorhänge, die von oben wie ein oder mehrere Ringe erscheinen. Aspekte von Blasennetzen und netzproduzierenden Walen legen nahe, dass Wale diese Netze als Werkzeug zur Nahrungssuche herstellen“, so das Statement des Forscherteams zur Ausgangslage ihrer Studie, mit der sie den Nachweis der bewussten Werkzeugherstellung durch die Buckelwale erbringen wollten.
Im Schnitt begannen die Buckelwale die Konstruktion ihrer Blasennetze, die in ihrer Grundstruktur allesamt die Form eines nach unten offenen Trichters hatten, in einer Meerestiefe von etwa 22,40 Metern. Die Netze wurden immer engmaschiger und schmaler gestaltet, je weiter sie sich der Meeresoberfläche näherten. Laut den Forschern steuern die Buckelwale dabei alle wichtigen Parameter wie Größe der Blasen oder deren Abstand im Rahmen der Spiralen ganz bewusst im Sinne eines optimalen Beutemaximums. Wie sehr die Buckelwale von dieser Fangtechnik profitieren können, konnte das Team mit einer Hochrechnung belegen. Demnach kann ein Buckelwal durch Nutzung eines Blasennetzes pro Beutezug etwa siebenmal mehr Nahrung aufnehmen als ein Artgenosse, der sein Fressen nur durch die Wasseraufnahme mit geöffnetem Maul gewinnt. Interessanterweise konnte bezüglich des Energieverbrauchs kein Unterschied zwischen diesen beiden Fangtechniken ermittelt werden. Dr. Andy Szabo: „Ich finde es aufregend, dass Buckelwale komplexe Werkzeuge entwickelt haben, die es ihnen ermöglichen, Beuteansammlungen zu nutzen, die ihnen sonst nicht zur Verfügung stehen würden. Ich hoffe, dass diese Verhaltensflexibilität und dieser Einfallsreichtum diesen Walen in den sich weiter verändernden Ozeanen von Nutzen sein werden.“
Die Buckelwale profitieren davon, dass Krill oder Fische die spiraligen Blasenvorhänge offenbar als unüberwindbare Schranken wahrnehmen und daher den Weg gen Wasseroberfläche als einzig möglichen Fluchtweg einschlagen, wo sie von den Walen ganz komprimiert in einem einzigen Happen verschlungen werden können.
„Als wir erkannten, dass die Wale dieses Werkzeug nutzen konnten, um das Krill im Durchschnitt um das Siebenfache zu konzentrieren, was letztlich bedeutet, dass sie viel weniger Bissen brauchen, um dieselbe Menge Nahrung zu bekommen, begannen wir uns zu fragen, warum sie nicht immer Blasennetze verwenden“, so Dr. Andy Szabo. Laut den Forschern könnte es dafür die Erklärung geben, dass die Produktion vergleichsweise lange dauert – weshalb die Tiere bei für sie günstigem Fressangebot darauf verzichten. Eine möglichst hohe Jagdeffizienz ist für Buckelwale enorm wichtig, weil sie sich vom Sommer bis zum Herbst in ertragreichen kühleren Gewässern ein Nahrungspolster zulegen müssen, um im Winter und im Frühling in den Tropen fastend den Nachwuchs aufziehen zu können.