Regieren macht Spaß, allein regieren erst recht. Den Eindruck verbreitet die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger bei allen sich bietenden Gelegenheiten. Zugleich betont sie die Dimension des Wandels, in dem das Saarland steht. Ebenso wie Erfolge auf diesem Weg.
Die berühmte erste 100-Tage-Bilanz war für die SPD-Alleinregierung keine besonders bedeutsame Marke. Nach dem fulminanten Wahlsieg vor einem Jahr (27. März 2022) hieß es durchstarten. Für Anke Rehlinger selbst war es ein kurzer Umzug vom Wirtschaftsministerium in die Staatskanzlei. Langwierige Koalitionsverhandlungen erübrigten sich. Das SPD-Wahlprogramm, das die Partei selbst schon im Wahlkampf als „Regierungsprogramm“ bezeichnet hatte, ist Grundlage. Abstriche daran aus Koalitionsgründen waren nicht notwendig, ebenso kam aber auch nicht infrage, das ein oder andere sozialdemokratische Wunschprojekt angesichts der Möglichkeit einer Alleinregierung draufzupacken, nicht nur wegen begrenzter Möglichkeiten des Landes und der definierten Prioritätensetzung. Vier Wochen vor dem Wahltermin hatte Russland seinen Überfall auf die Ukraine begonnen. Damit hatten sich die Rahmenbedingungen gravierend verändert.
Die Fokussierung der Regierungsarbeit auf die Themen, die Rehlinger auch im Wahlkampf klar nach vorne gestellt hatte, war vom ersten Tag an klar. „It’s economy“ könnte es in Anlehnung an einen berühmten Slogan überschrieben sein. Für Rehlinger also die Fortsetzung der früheren Arbeit als Wirtschaftsministerin – nun auf höherer Ebene mit anderen Möglichkeiten.
Entscheidend für den Wahlsieg war unter anderem, dass sowohl Spitzenkandidatin als auch Partei ganz klar die besseren Kompetenzwerte in den aus Sicht der Wählerinnen und Wähler zentralen Themen hatten. Und die hängen nun mal an der Transformation des Industrielandes.
Wirtschaft, Bildung, Klima
Die klare Prioritätensetzung findet sichtbaren Ausdruck in der Einrichtung eines „Strukturwandelkabinetts“ und der Berufung eines Beauftragten für Strukturwandel. Während im gesamten Kabinett alle Themenbereiche der Landespolitik auf der Agenda stehen, soll sich dieses Strukturwandelkabinett fokussiert mit der Umsetzung der Transformation befassen. Nukleus ist das eingespielte Team Rehlinger/Barke. Jürgen Barke, zuvor Wirtschaftsstaatssekretär, übernahm die Leitung des Ressorts von Rehlinger. Dritter im Bund ist der Überraschungsminister des Kabinetts: Jakob von Weizsäcker. Die Berufung des ehemaligen Chefökonoms im Bundesfinanzministerium war die einzige auswärtige Besetzung bei der Kabinettsbildung.
Der erste große Meilenstein war die Einrichtung eines Drei-Milliarden-Euro-Transformationsfonds, ein sogenanntes Sondervermögen, um den Strukturwandel zu begleiten. Dieser Fonds ist bis heute umstritten, die Opposition kritisiert ihn als „Schuldenfonds“, andere Bundesländer haben sich dagegen inzwischen die saarländische Idee zu eigen gemacht und einen ähnlichen Weg eingeschlagen. Er unterstreicht jedenfalls den energischen Willen zu eigenen Kraftanstrengungen des Landes, was als Botschaft außerhalb offensichtlich auch so wahrgenommen wird. Dass dieser Weg nicht ohne Risiko ist, ist durchaus bewusst. Aber aus Angst vor der Zukunft nichts zu tun, sei eben keine Alternative, betont die Regierungschefin ein ums andere Mal.
Von der Entscheidung von Ford gegen den Standort Saarlouis bis zur angekündigten Wolfspeed-Investition in eine Halbleiter-Produktion im Saarland – das erste Regierungsjahr hatte reichlich von der Bandbreite der Herausforderungen zu bieten, die zu bewältigen sind.
Neben der Aufmerksamkeit, die der Transformationsfonds geweckt hat, hat die Wolfspeed-Ansiedlung den Blick endgültig auf das Land gelenkt. Aus Sicht der Ministerpräsidentin wird damit auch außerhalb des Landes klar, dass es sich – wie zuvor bei der geplanten Ansiedelung einer Batteriefabrik von SVolt – nicht lediglich um glückliche Zufallstreffer und Einzelfälle handelt.
Zentral auf der Agenda des Wahl- beziehungsweie Regierungsprogramms war auch die Bildungspolitik. Dass die lange diskutierte Rückkehr zu G9 kommen würde, war im Grunde schon vor der Wahl klar, nachdem auch die CDU im Wahlkampf ihren Widerstand aufgegeben hatte. Nun konnte die SPD eines ihrer Kernanliegen allein anpacken. Die nachfolgenden und weiter anhaltenden intensiven Diskussionen um die Umsetzung waren vorprogrammiert, wie bei im Grunde allen bildungspolitischen Projekten. Dass Bildungsminister und -ministerinnen in Umfragerankings keine vorderen Plätze erreichen, ist der seit 2019 amtierenden Christine Streichert-Clivot bewusst. Sie ist die einzige im Kabinett, die nahtlos ihre bisherige Aufgabe fortsetzt. Für den Kita-Bereich ist die Gebührenfreiheit für Eltern aufs Gleis gesetzt und wird schrittweise umgesetzt.
Polizei und Krankenhäuser
Ex-Umweltminister Reinhold Jost wechselte ins Innenressort, übernahm die Aufgaben von seinem „Kumpel“ Klaus Bouillon (CDU), mit dem er in der GroKo, gelegentlich zum Unwillen mancher Genossen, das ein oder andere Projekt gemeinsam angepackt hatte, insbesondere wenn es um kommunale Themen ging. Übernommen hat er einige Baustellen von seinem Vorgänger, sowohl im wörtlichen Sinn (Bauminister) als auch im übertragenen. Polizeireform und Personalentwicklung sind zentrale Stichworte. Als Umweltminister hatte Jost den Ruf, widerstrebende Interessen ausgleichen zu können. Die Fähigkeit wird auch bei einer Polizeireform, die immer eine sensible Angelegenheit ist, gefragt sein.
Josts Nachfolgerin im Umweltressort, Petra Berg, hat sich zusätzlich mit Verkehr auseinanderzusetzen. Der ÖPNV im Saarland hat bereits einige Reformen (Tarife, zusätzliche Angebote) hinter sich und wird jetzt noch einmal im Zuge des Deutschlandtickets weiterentwickelt, beispielsweise mit dem „Junge-Leute-Ticket“ (365-Euro-Ticket) und zusätzlichen Angeboten im ländlichen Raum. Zentrale Baustelle ist aktuell das saarländische Klimaschutzgesetz, vom Grundsatz her allgemein begrüßt, im Detail aber auch intensiv kritisiert (dazu Interview S. 34). Gesundheits-, Arbeits- und Sozialminister Magnus Jung, zuvor Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im Landtag, hat ein schwieriges Ressort übernommen. Die Krankenhauslandschaft im Saarland ist ein ständiger Unruheherd, aktuell sorgt die Schließung des Stadtkrankenhauses in der saarländischen Landeshauptstadt für Schlagzeilen. In den vergangenen Jahren haben sechs Kliniken im Land geschlossen. Oft überraschend verkündete Pläne von Trägern haben regelmäßig für Verwirrung gesorgt. In diesem Bereich hängt allerdings viel davon ab, welche Rahmenbedingungen der Bund setzt.
Im Landtag hat die ziemlich junge SPD-Fraktion vergleichsweise schnell Fuß gefasst. Für die Partei wird – wie für die Mitbewerber – die Kommunalwahl im kommenden Jahr ein wichtiger Gradmesser. Bei den zurückliegenden Bundes- und Landtagswahlen hat sich das Saarland praktisch komplett rot gefärbt. Eine starke kommunale Basis ist nicht nur aus Parteisicht wichtig, sondern auch eine entscheidende Frage bei der Umsetzung der großen landespolitischen Aufgaben. Dabei ist die kommunale Situation – trotz massiver Teilentschuldung durch das Land – außerordentlich angespannt. Immer mehr Aufgaben (meist durch bundespolitische Entscheidungen veranlasst), die Bewältigung der Flüchtlingssituation, Klimaschutz sind nur einige der großen Stichworte.
Gemessen an Wahlversprechen kann die SPD nach einem Jahr Alleinregierung darauf verweisen, zentrale Punkte auf den Weg gebracht zu haben. Die Ansiedlung von Wolfspeed kann im Strukturwandel als viel zitierter Gamechanger wirken. Weichen sind auch in anderen Bereichen gestellt. Fürs Erste eine vorzeigbare Bilanz. Die Ministerpräsidentin selbst spricht immer wieder von einer Perspektive, wie das Land in zehn Jahren dastehen soll. Damit beschreibt sie selbst die Dimension der Aufgaben.