Marc-André ter Stegen zieht sich kurz nach seiner Berufung zur Nummer eins der Nationalmannschaft eine schwere Knieverletzung zu. Julian Nagelsmann stärkt dem Schlussmann den Rücken.

Das Timing hätte nicht schlechter sein können: Viele Jahre musste Marc-André ter Stegen Manuel Neuer in der Nationalmannschaft den Vortritt lassen. Nach der EM machte Neuer Platz, ter Stegen wurde die Nummer eins – doch dann riss sich der ehemalige Gladbacher die Patellasehne im rechten Knie. Ter Stegen hatte sich die Verletzung vor vier Wochen bei Barcelonas 5:1-Sieg in Villarreal zugezogen. Der 32-Jährige fing eine Flanke ab und kam danach unglücklich mit dem rechten Bein auf, der Keeper blieb schreiend am Boden liegen, ehe die Teamärzte herbeieilten. Ter Stegen musste anschließend mit einer Trage vom Platz und ins Krankenhaus gebracht werden. „Er ist ein sehr wichtiger Spieler für uns. Ich bin traurig“, sagte Barça-Coach Hansi Flick nach der Partie. Am darauffolgenden Montagmittag dann die Diagnose: Riss der Patellasehne im rechten Knie, monatelanger Ausfall. Und das alles wenige Wochen, nachdem der 32-Jährige von Julian Nagelsmann nach dem Rücktritt von Manuel Neuer zur deutschen Nummer eins ernannt worden war.
Neuer steht mit Ter Stegen im Austausch
Es war das Ende einer jahrelangen Wartezeit und späte Genugtuung für den ewigen Kronprinzen. Neuer und ter Stegen wurde in der Vergangenheit hier und da nicht das beste Verhältnis nachgesagt, beide dementierten das aber stets. Für Pechvogel ter Stegen zeigte Neuer nun Mitgefühl. „Ich habe ihm geschrieben, wir hatten einen Austausch“, sagte Neuer im Sky-Interview nach dem 1:1 gegen Leverkusen. „Ich habe ihm dann noch mal eine Sprachnotiz nach der Operation gesendet. Ihm geht es den Umständen entsprechend gut“, verriet Neuer und schickte dem Barcelona-Keeper beste Genesungswünsche. „Ich kenne den Weg am besten, nach so einer schweren Verletzung zurückzukommen, und ich glaube, der Marc, der wird das auf jeden Fall packen.“ Neuer schloss ein Comeback im Nationalteam dabei umgehend aus.
Auch aus der alten Heimat erreichten den Ex-Borussen zahlreiche Genesungswünsche, unter anderen von Uwe Kamps und Roland

Virkus, die ihn einst in Gladbach gefördert haben und immer noch ein Vertrauensverhältnis zu ihm haben. „Er darf sich nicht zu sehr unter Druck setzen, muss die Reha in Ruhe angehen und Geduld haben. Aus so einer Verletzung zieht man immer auch Kraft und kommt stärker zurück, so wird es auch bei Marc sein“, sagte Kamps gegenüber der „Rheinischen Post“. Es gab auch eine Botschaft der Gladbach-Fans an den verletzten Torwart und Kapitän des FC Barcelona. Während des Spiels gegen Union Berlin (1:0) zeigten die Fans in der Nordkurve minutenlang ein Plakat, auf dem stand: „Stark bleiben, Marc-André. Borussen stehen immer wieder auf!“ „Natürlich tut es Marc gut, wenn er das liest und weiß, dass die Leute an ihn denken“, sagte Virkus. Dass die Gladbach-Fans die frühere Nummer eins nicht vergessen haben, wundert Virkus indes nicht. „Marc hat sich immer super verhalten, und er hat in Gladbach Spuren hinterlassen. Er hatte bei seinem Abschied 2014 Tränen in den Augen, das war absolut authentisch und kam auch so bei den Fans an“, erinnert Virkus an die Minuten nach dem letzten Gladbach-Heimspiel ter Stegens am 3. Mai 2014 vor der Fankurve. „Er hat damals die Herausforderung FC Barcelona angenommen. Aber es fiel ihm auch schwer zu gehen, das hat jeder im Stadion gespürt. Das haben die Fans nie vergessen“, sagte Virkus.
127 Spiele machte ter Stegen für Gladbach, bevor er zu „Barça“ wechselte. Ter Stegen war im April 2011 von Lucien Favre zur Nummer eins gemacht worden als 18-Jähriger und trug nach seinem bemerkenswerten Debüt beim 5:1 gegen den Erzrivalen 1. FC Köln entscheidend dazu bei, dass die Gladbacher in jener Saison noch die Relegations-Rettung schafften und danach durchstarteten auf Rang vier und in die Play-offs zur Champions-League.
Personelle Probleme bei Barça
Der FC Barcelona hat erwartungsgemäß mit einem externen Neuzugang auf die Verletzung von Kapitän Marc-André ter Stegen reagiert. Wojciech Szczesny hütet ab sofort das Tor der Katalanen – und kommt dafür aus dem Ruhestand. Namen kursierten in den vergangenen Tagen viele rund um Barcelona, nachdem sich Stammtorhüter ter Stegen schwer am Knie verletzt hatte. Weil kaum einer an das „volle Vertrauen“ Hansi Flicks in Ersatzkeeper Inaki Pena glaubte, wurde über eine externe Lösung diskutiert. Unter anderem mit Keylor Navas beschäftigten sich die Katalanen. Den Zuschlag aber erhielt nun mit Szczesny einer, der seine Karriere Ende August hochemotional beendet hatte.
Doch nicht nur beim FC Barcelona hat die Verletzung von ter Stegen einen großen Einfluss, auch bei der deutschen Nationalmannschaft muss deshalb umgeplant werden. „Die Nachricht von Marcs Verletzung war ein großer Schock für uns. Er wird uns in der Nationalmannschaft auf und neben dem Platz sehr fehlen. Wir wünschen Marc alles Gute für die Operation und eine gute und schnelle Genesung. Wir werden auf seinem Weg zurück immer für ihn da sein“, sagte Bundestrainer Julian Nagelsmann nach der Diagnose für ter Stegen. Ähnlich drückte sich auch Rudi Völler aus. „Ich wünsche ihm die schnellstmögliche Genesung, wir alle bei der Nationalmannschaft stehen auf dem ihm bevorstehenden Weg bis zum Comeback fest an seiner Seite. Marc hat im Laufe seiner Karriere schon einige Rückschläge verkraften müssen. Er wird auch dieses Mal gestärkt zurückkommen, davon bin ich überzeugt“, betonte der DFB-Sportdirektor.
Blaswich überzeugt nicht

Auch deshalb wurde die Kadernominierung für die anstehenden Nations-League-Spiele mit Spannung erwartet. Hoffenheims Torwart Oliver Baumann wird auf jeden Fall debütieren, Nagelsmann legte sich in einem begleitenden Video-Interview allerdings klar auf ter Stegen als WM-Torwart fest. „Er ist unsere Nummer eins – und das bleibt er auch“, betonte der Bundestrainer. „Es geht ihm den Umständen entsprechend gut, die OP ist gut verlaufen.“ Ter Stegen sei in einer „extrem bitteren Situation, aber er bekommt alle Zeit von uns, die er braucht. Das ist tragisch, allerdings gehe ich davon aus, dass er im nächsten Sommer topfit zurückkommt.“ Baumann habe es nach langer Wartezeit „verdient, mal ein Länderspiel zu kriegen“, verkündete Nagelsmann. Ob der Hoffenheimer beide Spiele übernehmen darf oder auch der Stuttgarter Alexander Nübel debütieren wird, habe er noch nicht entschieden. Ein wenig überraschend wurde dann als dritter Torwart Janis Blaswich in den Kader berufen. Dabei läuft es für den ehemaligen Leipziger bei seinem neuen Verein in Salzburg nicht so rund – vor der Saison wurde er für ein Jahr vom Schwesterverein ausgeliehen. Im Champions-League-Spiel gegen Brest patzte der Schlussmann. Die Stimmung auf den Rängen kippte. Viele Fans skandierten den Namen von Alexander Schlager, Salzburger Lokalmatador und von Leipzig-Leihgabe Blaswich verdrängter Ex-Stammkeeper. In der Einzelkritik der „Salzburger Nachrichten“ bekam Blaswich das Prädikat „schwach“, dazu hieß es: „Er ließ erneut die erhoffte Klasse vermissen: Sein schwerer Patzer zeigte, dass er meilenweit von einem sicheren Rückhalt entfernt ist.“
Es ist seine zweite Berufung, bereits vergangenen November hatte er bei den beiden Testspielpleiten gegen die Türkei und Österreich auf der Bank gesessen. Es ist davon auszugehen, dass Nagelsmann vor allem aufgrund der menschlichen Qualitäten Blaswich ausgewählt hat – seine Leistungen können es derzeit nicht sein.
Viel wirksamer und ein klareres Zeichen für die Öffentlichkeit war Julian Nagelsmanns Rückendeckung für seine neue Nummer eins. Der große Vertrauensbeweis wird ter Stegen nach den vielen Frust-Jahren als Nummer zwei hinter Deutschlands Rekordtorwart Manuel Neuer guttun. „Wenn Marc ein Jahr vor der WM zurückkommt, wird er immer noch eine Top-WM spielen können und eine gute WM-Quali. Ich gehe davon aus, dass er im nächsten Sommer wieder topfit zurückkommt“, sagte Nagelsmann gelassen. Das hofft ganz Fußball-Deutschland.