Hertha holt ausgerechnet beim Ligaprimus den ersten Saisonsieg. Gerechnet hat damit wohl keiner im leidgeprüften Umfeld. Aber ist das schon der „Durchbruch“?
Wer Geld auf einen Sieg von Hertha BSC – in der laufenden Saison bis dahin noch ohne Dreier – beim Spitzenreiter Hannover 96 (vier Spiele, vier Siege) am vergangenen Samstag gesetzt hatte, dürfte einen stattlichen Gewinn erzielt haben. Viel unterschiedlicher konnte die Ausgangslage beider Mannschaften schon zu diesem frühen Zeitpunkt der Spielzeit kaum sein – doch im Fußball und vor allem in der 2. Liga kommt es eben oft anders, als man denkt.
Dabei mussten die Berliner zunächst den erwarteten Angriffswirbel der Niedersachsen überstehen – nach nicht einmal zehn Minuten war Torwart Tjark Ernst bereits zweimal bei Großchancen gefordert und auf dem Posten. Danach hatten sich die Berliner aber defensiv besser auf den Gegner eingestellt, ließen nur noch einmal Torgefahr bis zur Pause zu. Bei Ghitas Kopfball war Ernst allerdings schon geschlagen, doch Marten Winkler rettete auf der Linie. Hertha BSC kam dagegen im ersten Durchgang nur zu einer Halbchance, als ein Distanzschuss von Fabian Reese am Torwinkel vorbeiflog. Da es nach dem Wechsel zunächst mit den Angriffen der 96er weiter ging, schien es nur eine Frage der Zeit zu sein, wann sie in Führung gehen – oder ob es für sie einer dieser Tage werden sollte, an denen der Ball trotz Überlegenheit einfach nicht ins gegnerische Tor will. Denn auch Chak-roun kam in aussichtsreicher Position zum Abschluss, doch Toni Leistner warf sich erfolgreich in den Schuss.
Im Gegenzug folgte dann die Szene, die die Partie zum Kippen bringen sollte: Nach einem Pass der Berliner in die Tiefe zeigte sich Hannovers Matsuda in der Rückwärtsbewegung desorientiert, Winkler erkannte die Gelegenheit und eroberte den Ball. Nun spielte er nicht nur seine Schnelligkeit aus, sondern verblüffte mit einer nicht oft gesehenen Kaltschnäuzigkeit, als er frei vor 96-Torwart Noll souverän zum 0:1 traf. Auf einmal war es ein anderes Spiel, Hannover wirkte plötzlich verunsichert – die Stille im Stadion wegen eines Notfalleinsatzes im Gästeblock verstärkte diesen Eindruck offenbar.
Bei Hertha BSC aber war der Knoten geplatzt: Reese zirkelte eine Flanke perfekt auf Dawid Kownacki und der bis dahin nicht in Erscheinung getretene Stürmer köpfte zum 0:2 ein. Die Bemühungen der Gastgeber wirkten nun immer kopfloser – nur einmal musste Winkler, so etwas wie der Mann des Abends, nochmal kurz vor der Torlinie klären. Dann waren die Willenskräfte der Gastgeber aufgebraucht und die Berliner konnten sogar noch durch „Joker“ Luca Schuler (zuvor nur ein Treffer 2025) zum 0:3-Endstand erhöhen. Damit hatten die Berliner quasi ihre Feuertaufe bestanden, weil sie Zweitliga-Tugenden – zuerst Widerstandsfähigkeit, dann eiskalte Chancenverwertung – diese Saison erstmals erfolgreich unter Beweis stellen konnten.
Stefan Leitl hatte dabei vor der vermeintlich unlösbaren Aufgabe beim souveränen Spitzenreiter versucht, Zuversicht zu verbreiten. „Mit großen Herausforderungen kann man auch wachsen und vielleicht neue Energie schüren. Wir sollten uns nicht kleiner machen, als wir tatsächlich sind – sondern in das vertrauen, was wir können“, so der 48-Jährige. „Mich ärgert, dass wir bislang einfach nicht so performen, wie wir uns das vorstellen“, räumte der Übungsleiter zwar ein, versuchte aber auch, daraus die nötigen Schlüsse zu ziehen. Es sei essenziell, „dass wir energetisch anders auftreten – wenn wir das schaffen, sind wir eine gute Mannschaft und dann werden wir auch punkten“, lag Leitl mit seiner Voraussage im Nachhinein goldrichtig.
Favorisierte Dreierformation
Dazu nahm er auch drei personelle Umstellungen im Vergleich zum 0:2 gegen Elversberg vor: Kennet Eichhorn, 16-jähriges Toptalent, stand diesmal sogar von Beginn an im Team und ist damit neuer Rekordhalter in der Kategorie „Jüngster Startelfspieler der 2. Liga aller Zeiten“. Dazu kehrten Winkler und Kownacki in die Formation zurück – dafür blieb einerseits Jon Dagur Thorsteinsson auf der Ersatzbank. Auch Maurice Krattenmacher kam nur zu einem Kurzeinsatz als Reservist – für manchen überraschend, gehörte die Bayern-Leihgabe doch zuvor noch zu den besseren Hertha-Spielern und sorgte auch zuletzt bei der U20 des DFB durchaus für Furore.
Zwangsläufig musste Leitl in Hannover dazu auf Linus Gechter verzichten, der wegen seiner späten Gelb-Roten Karte aus dem Elversberg-Spiel aussetzen musste. Aufgrund des „Notstands“ an Personal im Abwehrbereich entschied sich der Trainer so auch gleich zu einem Systemwechsel und ließ eine Viererkette beim Tabellenführer antreten. Die Abkehr von seiner favorisierten Dreierformation auf letzter Linie sollte dabei für diese Partie die entscheidende Verbesserung mit sich bringen – wenn Hertha BSC auch im ersten Durchgang im Wirbel der Hannoveraner wie erwähnt auch Glück brauchte, um diesen schadlos zu überstehen.
Die neue Konstellation brachte jedenfalls auch dem bisherigen Wackelkandidaten Marton Dardai offenbar die nötige Sicherheit, um hinten die Null stehenzulassen. Nun wird sich der Trainer natürlich die Frage stellen müssen, ob er die – gerade gegen ein Topteam der 2. Liga – erfolgreich erprobte Taktikänderung wieder zurücknimmt. Aktuell dürfte er trotz Gechters Rückkehr im Heimspiel gegen den SC Paderborn am Sonnabend (13 Uhr, Olympiastadion) jedoch an ihr festhalten – denn alles, was in der ja immer noch fragilen Gefühlslage Sicherheit und Erfolg verspricht, sollte zunächst Bestand haben.
Schwierig dürfte es trotzdem werden, diesen in Hannover offenbarten Fokus konstant zu bewahren, denn schon war nach dem ersten Saisonsieg allerorten von „Durchbruch“ oder „Befreiungsschlag“ die Rede. Begriffe, die suggerieren könnten, dass es nur dieses einen Aha-Erlebnisses bedurfte und alles nun automatisch besser läuft. Doch der nächste Gegner stellt bereits die perfekte Probe auf das Exempel dar: Auch wenn die Bilanz der Berliner gegen den SCP bislang generell positiv ist, musste man etwa zum Auftakt der vergangenen Saison gegen ihn gleich eine bittere 1:2-Niederlage hinnehmen.
Die „Basics“ der 2. Liga beherrschen die Ostwestfalen dabei und sind auch meist in der Lage, diese auf den Platz zu bringen. Und: Anders als in Hannover steht Hertha BSC zu Hause gegen die Paderborner gleich die nächste Bewährungsstufe bevor, nämlich das Spiel zu machen und dabei erfolgreich zu sein.