„Les Fleurs du Mal“ (Die Blumen des Bösen) von Charles Baudelaire gehört zu den Meilensteinen der Weltliteratur. Die Sammlung Scharf-Gerstenberg zeigt in Charlottenburg von Baudelaire inspirierte Kunst.

Die öffentliche Moral ist ein verletzliches Wesen, sie wähnt sich auf der Seite des Guten und kann deshalb sehr böse werden, wenn ihr etwas nicht gefällt. Im Frankreich des Jahres 1857 fühlte sie sich von Poesie verletzt. Charles Baudelaires Melancholie, sein Weltschmerz und sein Abschied von der Vorstellung, dass Schönheit nur im Guten wohnt, erzürnte die öffentliche Meinung. Sechs von rund 100 Gedichten, die der Schriftsteller in seinem Band „Les Fleurs du Mal“ veröffentlicht hatte, wurden gerichtlich verboten. Was zeigt: Die öffentliche Moral hat einem schlechten Geschmack.
Aber wie Wolf Biermann gut 100 Jahre später sang: „Keiner tut gern tun, was er tun darf – was verboten ist, das macht uns gerade scharf!“ Und so sind die „Blumen des Bösen“, wie Baudelaires „Les Fleurs du Mal“ ins Deutsche übersetzt wurden, nicht nur ein Stück Weltliteratur geworden, sondern auch Inspirationsquelle für andere. Werke von einigen dieser Künstlerinnen und Künstler hat die Sammlung Scharf-Gerstenberg für ihre Ausstellung „Böse Blumen“ zusammengestellt.
Poesie sorgte für einen Skandal
Die Ausstellung selbst sei eine „Gratwanderung“, sagt die Kuratorin und Leiterin der Sammlung Scharf-Gerstenberg, Kyllikki Zacharias. Es wirkt, als wolle die für die Auswahl der Werke Verantwortliche der öffentlichen Moral einen Warnhinweis geben, indem sie auf die Tafel gleich am Eingang schreiben ließ: „Sie wirft einen Blick in menschliche Abgründe und gerät an die Grenzen des guten Geschmacks. Keinesfalls will sie die Dichtung Baudelaires illustrieren. Sie ist nicht systematisch und hält keine Lehren bereit. Sie ist selbst ein Strauß wilder Blüten, verheißungsvoll und giftig zugleich.“
Ausgehend von Odilon Redons um 1890 entstandener Kohlezeichnung „Fleur du Mal“ aus der eigenen Sammlung unternimmt die Ausstellung einen Streifzug durch die Kunst der beginnenden Moderne bis hin zu zeitgenössischen Werken, um die Ästhetik Baudelaires in ihren verschiedenen Aspekten, ihren Nach- und Nebenwirkungen zu beleuchten. „Neben einer Auswahl von Werken, die in direktem Zusammenhang mit den Gedichten entstanden sind, geht es hierbei vornehmlich um einzelne in den ‚Blumen des Bösen‘ angelegte Themen“, wird erklärt.
Hierzu gehören der „Spleen“ beziehungsweise die Depression, also ein Thema, dem Baudelaire einen Großteil seiner Dichtung widmete, die Tröstungen von Erotik und Rausch, aber auch die Verheißungen süßlicher Surrogate oder des Kitsches und die Ästhetisierung von Krankheit und Verfall. „Die Idee des Übermäßigen, des Wuchernden und wild Ausblühenden spielt dabei eine wichtige Rolle. Denn oftmals beginnt das Gute erst durch seine Übertreibung ins Böse zu kippen“, erklärt das Museum.
Dass die Ausstellung nichts mit der Illustration von Charles Baudelaires Werk zu tun hat, stimmt nicht ganz. Gleich zu Beginn wird auf eine Zeichnung von Félicien Rops verwiesen: ein Skelett, das wirkt wie ein Baum, umgeben von Pflanzen, die die sieben Todsünden symbolisieren: Neid, Faulheit, Wollust, Stolz, Zorn, Geiz und Völlerei. Mit dieser Grafik, die Baudelaire gefiel, wurde die belgische Ausgabe der Dichtung illustriert.
„Das Schöne ist immer bizarr“

Dass Baudelaire der Illustration zustimmte, galt als ungewöhnlich. Er war sehr wählerisch, was die Ergänzung seiner Dichtung durch Grafiken anging. Die Erstausgabe von „Les Fleurs du Mal“ kam ohne Bebilderung aus. Die Macht der Worte reichte Baudelaire vollkommen aus. Im Kontrast dazu zeigt die Ausstellung unter anderem Film-Schnipsel aus „Triumph des Willens“ von Leni Riefenstahl, die wie kaum eine andere für die Macht der Bilder steht.
Mittendrin dann ganz andere „Blumen des Bösen“, schön anzusehen, aber zerstörerisch, vernichtend: die Staubwolken über New York City während des Anschlags vom 11. September, die Atompilze über Japan 1945 nach den US-amerikanischen Angriffen auf Hiroshima und Nagasaki, bunte Coronaviren-Abbildungen. Zu den 120 Exponaten gehört auch die raumfüllende Installation „Großes Migo-Labyrinth“ von Bernard Schultze – eine bizarre Ansammlung von Gegenständen, Puppen und Bildern, die trotz der bunten Farben gruselig wirkt.
„Das Schöne ist immer bizarr“, hat Charles Baudelaire in sein Tagebuch geschrieben. „Ich habe die Definition des Schönen gefunden“, heißt es da. Und: „Etwas zugleich voller Trauer und voll verhaltener Glut, etwas schwebend Ungenaues, das der Vermutung Spielraum lässt.“