Jubel bei der SPD. Aufatmen bei Linken und der FDP. Entsetzen bei den Grünen und Frust bei der CDU. Das Ergebnis aus Bremen wird seinen Nachhall in der Bundespolitik haben.
Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte ist mit seinen Sozialdemokraten nach der gewonnenen Wahl in einer selten guten Lage. Bei der Frage nach den zukünftigen Koalitionspartner haben sie ziemlich freie Auswahl. Die SPD könnte mit den Grünen und der Linken weiterregieren. Doch Bovenschulte will nun erstmal auch mit der CDU und der FDP die Lage sondieren. Die komfortable Lage der Sozialdemokraten hängt vor allem mit dem schlechten Abschneiden der Grünen bei der Bürgerschaftswahl zusammen. Dadurch hat das alte rot-grün-rote Bündnis an Zustimmung verloren, und damit stellt sich in Bremen die gleiche Frage wie nach der Wiederholungswahl Mitte Februar in Berlin: Trotz Verlusten von Rot-Grün-Rot einfach weitermachen oder die Abstimmung der Wähler überdenken und die entsprechenden Konsequenzen ziehen? Allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass in Bremen die SPD als klarer Wahlsieger über die Optionen entscheiden kann.
Denkbar wäre in Bremen eine SPD-CDU-Konstellation. Die Vorteile einer Großen Koalition liegen für die siegreiche SPD auf der Hand. In einem Zweierbündnis ist es immer leichter zu regieren als ein Dreierbündnis auf Linie zu halten. Aber bei einer Fortsetzung von Rot-Grün-Rot würde die SPD klar von der Schwäche der Grünen profitieren.
Komfortable Lage für Bremer SPD
Hinter den Vordergründigkeiten steht aber auch eine inhaltliche Entwicklung, nicht nur in Bremen, und damit ist die Situation dann wieder mit der in der Bundeshauptstadt durchaus vergleichbar: Zwischen Rot und Grün fremdelt es zusehends, nachdem dieses Bündnis beinahe schon naturgegeben schien in der Aufteilung der politischen Lager. Die Grünen haben in Bremen über fünf Prozent verloren. In den eigenen Reihen ist man sich einig, dass die Berliner Politik daran die Hauptschuld trägt. Der Grünen-Wahlkampf wurde in den letzten beiden Wochen vor dem Urnengang vor allem von den Personaldebatten im Bundeswirtschaftsministerium unter Wirtschaftsminister Habeck und seinem Staatssekretär Graichen überlagert. Dazu die andauernden Verbotsdebatten, Stichwort Gebäudeenergiegesetz mit einem möglichen Verbot von Gas- und Ölheizungen in Neubauten.
Vom GEG, wie das Gesetz kurz genannt wird, haben sich nun selbst die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten in einer Bundesratsinitiative distanziert. Demnach muss das Gesetz in fast allen Punkten nachgebessert werden, was wahrscheinlich dazu führen könnte, dass es nicht wie von Habeck geplant zum Januar 2024, sondern erst später in Kraft treten dürfte. Es war nicht nur aus der Opposition, sondern auch von den eigenen Koalitionspartnern eine Breitseite für die Grünen auf Bundesebene für ein in Teilen widersprüchlich gemachtes Gesetz – und das mitten in der Endphase des Wahlkampfes in Bremen. Das hat reichlich Stimmen gekostet, behaupten die Grünen vor Ort.
Wobei das vermutlich nur die halbe Wahrheit ist. Denn Spitzenkandidatin und noch Verkehrs- und Umweltsenatorin Maike Schaefer hat sich mit ihrer Mobilitätswende gerade bei Autofahrern in Bremen und Bremerhaven nicht unbedingt beliebt gemacht, ähnlich wie ihre Grünen-Amtskollegin in Berlin. Erkenntnis: Wahlkampf gegen Autofahrer zahlt sich politisch nicht wirklich aus.
Umgekehrt hat es zumindest der CDU an der Weser auch nicht geholfen, sie sind nur auf Platz zwei gelandet, vor vier Jahren waren die Christdemokraten an der Weser noch als Sieger durchs Ziel gegangen. In der Bundes-CDU verweist man auf die Beliebtheit von SPD-Bürgermeister Bovenschulte. Es sei auch eine Personalwahl gewesen, abgekoppelt von der Bundespolitik, erklärt CDU-Generalsekretär Mario Czaja das Abschneiden im Norden. Natürlich muss er das sagen. Erstens, weil es sich in der Tat um eine regionale Wahl mit ihren Besonderheiten gehandelt hat. Zum anderen aber auch, weil es in der Bundes-CDU parteiintern um die Position des Parteivorsitzenden Friedrich Merz geht. Längst wabert bei den Christdemokraten in Berlin im Hintergrund die Frage nach der Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl in gut zwei Jahren, und da laufen sich bereits noch zwei weitere Kandidaten warm: Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, und sein Amtskollege Markus Söder aus Bayern. Ersterer äußerst sich nicht öffentlich, der zweite dementiert lautstark, steht er doch erst einmal im eigenen Landtagswahlkampf.
Die Bremen-Wahl war aber nicht nur für CDU-Chef Merz eine wichtige Wasserstandsmeldung, sondern auch für FDP-Chef Christian Lindner. Der war gerade erst auf dem Bundesparteitag drei Wochen vor dem Urnengang in Bremen in seinem Amt fulminant wiedergewählt worden. Jetzt ein weiteres Aufatmen in den Reihen der Freien Demokraten: Mit Ach und Krach hat man den Verbleib in der Bremer Bürgerschaft hinbekommen, mit 5,2 Prozent. Nach den Desastern bei den letzten Landtagswahlen ist das ein liberaler Erfolg. Doch auch dieses knappe Ergebnis wird für die Ampel-Regierung in Berlin in den kommenden Monaten weiter für viel Aufregung sorgen.
Abgrenzungen bei FDP und Grünen
Die FDP sieht sich durch Bremen nun in ihrer klaren Ansage zum eigenen Kurs bestätigt. „Wir müssen wieder unser liberales Profil schärfen“, hat es FDP-Chef Christian Lindner auf den Punkt gebracht. Entsprechendes haben sich auch die Grünen auf die Fahne geschrieben. „Man muss sich darüber im Klaren sein, dass das Kanzleramt den Grünen ungern Erfolge gönnt, und deshalb braucht es eine noch klarere und härtere Verhandlungsstrategie“, kündigt vielsagend Anton Hofreiter an. Damit sitzt Bundeskanzler Olaf Scholz dann in den kommenden Monaten wirklich zwischen allen Stühlen. Das fängt an mit dem umstrittenen Gebäudeenergiegesetz. Wie erwähnt, fordern selbst die SPD-Ministerpräsidenten von ihrem Kanzler massive Nachbesserungen und eine Verschiebung. Auch der FDP-Koalitionspartner in der Ampel schließt sich dieser Forderung an und spricht von einem „Gebäudeenteignungsgesetz“. Die Grünen werden vielleicht beim Gesetz selbst noch weitere Abstriche machen, werden aber auf dem vorgegebenen Zeitplan beharren, wollen sie bei ihrer Klientel glaubhaft bleiben.
Doch dieser Streitpunkt dürfte nur eine Fingerübung sein gegenüber der anderen anstehenden Debatte um den Bundeshaushalt 2024. Hier will die FDP hart bei ihrer Forderung nach Einhaltung der Schuldenbremse bleiben. Das heißt: Sparen. Laut Steuerschätzung vom Mai werden Bund, Länder und Kommunen im kommenden Jahr gut 30 Milliarden Euro weniger einnehmen als noch im letzten Herbst prognostiziert, und das trotz der anhaltend hohen Inflation. Steigen die Preise für Konsumartikel an, steigen automatisch die Einnahmen des Staates bei der Umsatzsteuer. Trotzdem wird im kommenden Jahr mit weniger Steuereinahmen gerechnet, aus Sicht der FDP also kein Spielraum für eine weitere „Wünsch-dir-was-Politik“, so Bundesfinanzminister Lindner. Der Bundeshaushalt ist bereits jetzt bei den Forderungen der einzelnen Ministerien mit Milliardenbeträgen überzeichnet. Mehr Ausgaben als Einnahmen führen automatisch zu Verteilungskämpfen der einzelnen Ressorts mit Bundesfinanzminister Christian Lindner, für den es auch um politische Glaubwürdigkeit geht.
Der Bundeshaushalt 2024 muss im September auf die Zielgerade gebracht werden, zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt. Am 8. Oktober sind die beiden letzten Landtagswahlen in diesem Jahr, in Hessen und Bayern. Politisch im Vergleich zu Bremen zwei echte Schwergewichte. Der Ton innerhalb der Ampel wird also noch ruppiger werden. SPD, Grüne und FDP werden sich im unmittelbaren Vorfeld der Urnengänge in Hessen und Bayern, also mitten in der Haushaltsdebatte im Bundestag, gegenseitig garantiert nichts schenken.