Sportlich geht es für Union Berlin beim Spiel in Bochum nach dem vorzeitigen Klassenerhalt um nichts mehr. Doch aufgrund der Vorkommnisse aus dem Hinspiel ist die Stimmung aufgeheizt.
Zumindest die sportliche Brisanz beim Bundesliga-Duell des VfL Bochum gegen den 1. FC Union ist nicht mehr ganz so groß. Weil die Eisernen durch das spektakuläre 4:4 gegen den VfB Stuttgart den Klassenerhalt auch rechnerisch klargemacht haben, geht es im Spiel an diesem Sonntag (15.30 Uhr) nur noch für den VfL um wichtige Punkte für den Ligaverbleib. Doch brisant ist die Partie aus einem anderen Grund, der vier Monate zurückliegt und für große Dissonanzen gesorgt hatte – auch zwischen beiden Clubs. Der Feuerzeugwurf-Skandal aus dem Hinspiel und die Folgen daraus werden die Stimmung im Ruhrstadion beim Rückspiel zusätzlich aufheizen. Um das Spiel herum werde es jede Menge Zündstoff geben, weiß der erfahrene Bochumer Trainer Dieter Hecking.
Das war passiert: Im Hinspiel in der Alten Försterei wurde VfL-Torwart Patrick Drewes von einem Feuerzeug am Kopf getroffen, das aus dem Union-Block geworfen worden war. Das Spiel wurde für mehr als 25 Minuten unterbrochen, wieder angepfiffen und mit einer Art Nicht-Angriffspakt der Spieler mit dem Ergebnis 1:1 beendet. Bochum legte gegen die Wertung Protest ein und bekam sowohl vom Sport- als auch vom Bundesgericht des Deutschen Fußball-Bundes Recht zugesprochen. Das Spiel wurde mit 2:0 für den VfL gewertet. Union zog vor das Ständige Schiedsgericht, das sein Urteil erst nach dem direkten Duell der beiden involvierten Vereine verkünden will. Sinnvoller wäre es gewesen, das schon vor drei Wochen zu entscheiden, meinte Hecking: „Dass man es jetzt nicht unmittelbar vor dem Spiel macht, finde ich aber richtig.“ Denn die Stimmung wird auch so höchst angespannt sein, dafür haben die Ereignisse aus dem Hinspiel und manche Aussagen danach gesorgt.
Vor allem Union-Präsident Dirk Zingler dürfe sich auf einen unangenehmen Empfang gefasst machen. Er hatte nicht nur den DFB, sondern auch die VfL-Verantwortlichen im Nachgang scharf kritisiert. „Dass Bochum den Vorgang nutzt, um sich sportlich einen Vorteil zu verschaffen, das finde ich einen unfairen Skandal“, hatte Zingler gewettert: „Da soll sich Bochum an die Nase fassen. Da haben sie nicht fair gespielt.“ Diese Aussagen wollte der VfL nicht unkommentiert lassen und verfasste eigens eine Pressemitteilung, in der man sich gegen die Anschuldigungen wehrte. Es habe „vielerorts eine völlige Umkehr der Täter-Opfer-Rolle stattgefunden“, ließ der Ruhrpott-Club verlauten. Man wundere sich vor allem über „anhaltende, teils inhaltlich, teils rechtlich unzutreffende Äußerungen und Vorwürfe des 1. FC Union Berlin“.
Gedanken an das brisante Spiel in Bochum waren bei Zingler in den vergangenen Tagen aber kaum präsent. Zu sehr überstrahlte das Jubiläumsspiel und der vorzeitige Klassenerhalt alles andere. Im 200. Bundesligaspiel und 100. Heimspiel im Fußball-Oberhaus machte das Team die siebte Bundesliga-Saison in Folge perfekt. „Wir dürfen das, was wir hier haben, nicht als selbstverständlich ansehen“, sagte Zingler. Union Berlin in der Beletage sei nach wie vor kein Selbstläufer. Dass sich der Club schon vier Spieltage vor Saisonende retten würde, war vor ein paar Wochen auch überhaupt nicht absehbar. Doch das Team von Trainer Steffen Baumgart startete eine unerwartete Erfolgsserie, die auch beim wilden Spiel gegen Stuttgart nicht riss. Alle acht Treffer fielen in der ersten Halbzeit – Bundesligarekord! „War schon ein geiles Fußballspiel“, sagte Baumgart, der in seiner Funktion aber auch gehörig zu leiden hatte: „Als Trainer ist es eher schwer, damit umzugehen.“ Genauso erging es VfB-Coach Sebastian Hoeneß, der „gemischte Gefühle“ hatte und „ein bisschen hin- und hergerissen“ war.

„Trimmi gehört zum Club“
Nicht mehr aus dem Grinsen heraus kam dagegen Christopher Trimmel, auch wenn der Abwehrspieler angesichts von vier Gegentoren auch nicht komplett glücklich sein konnte. Doch der Klassenerhalt und seine eigenen Top-Leistung sorgten für einen gelungenen Nachmittag, den der Österreicher noch lange in Erinnerung behalten wird. Er hatte das gefährliche Stuttgarter Duo Maximilian Mittelstädt/Chris Führich auf seiner Seite größtenteils im Griff, außerdem war er selbst an drei Union-Treffern maßgeblich beteiligt. Seine Flanken fanden fast immer einen Abnehmer – so wie in besten Zeiten. Und das im ersten Spiel nach seiner erneuten Vertragsverlängerung. „Mehr Kitsch geht nicht“, schrieb die „Berliner Morgenpost“.
Vor und nach dem Spiel wurde der 38-Jährige von den Fans besonders lautstark gefeiert. Dass der Kapitän mindestens ein weiteres Jahr an Bord bleibt, freut vor allem die Anhänger. Vom Standing im Verein her habe Trimmel „die gleiche Bedeutung wie Müller bei den Bayern“, sagte Zingler mit Bezug auf den Münchener Profi Thomas Müller, der den Rekordmeister jedoch nach Saisonende verlassen wird. Trimmel dagegen bleibt ein Unioner – und das war laut Zingler schon vor „einigen Wochen“ klar. Auf die Klausel, nach der sich sein Vertrag nach einer gewissen Anzahl an Spielen ohnehin verlängert hätte, habe man nicht warten wollen, so Zingler: „Trimmi gehört zum Club.“ Das finden auch andere bei Union.
„Seine Bedeutung für den Verein geht weit über das Sportliche hinaus, denn eine solch enge Bindung zwischen Spieler und Club gibt es im heutigen Profifußball nur noch sehr selten“, sagte Geschäftsführer Horst Heldt: „Wir sind sehr glücklich, auch weiterhin auf ihn zählen zu können.“ Trimmel, der nach Ablauf der Vertragslaufzeit 39 Jahre alt sein wird, gehörte zuletzt auf der rechten Abwehrseite wieder zur Startformation und kommt in dieser Saison auf immerhin 22 Liga-Einsätze. Eine Anzahl, die ihm nicht mehr viele zugetraut hatten. Doch der mit über 350 Spielen längst zum Rekordspieler aufgestiegene Trimmel fühlt sich noch fit und wird auf dem Rasen und vor allem in der Kabine gebraucht. „Christopher verkörpert Union wie kaum ein anderer Spieler“, sagte Heldt: „Er ist auf und neben dem Platz ein Vorbild, gibt dem Team Stabilität und bringt seine Erfahrung ein.“
Als Union den Rechtsverteidiger 2014 von Rapid Wien verpflichtete, setzte dessen Ex-Club bei Twitter (heute X) folgenden Post ab: „Die Kollegen vom 1. FC Union aus Berlin geben die Verpflichtung von Christopher Trimmel ab Sommer 2014 bekannt. Alles Gute dort, Trimbo!“ Zum Anlass der Verlängerung repostete die Social-Media-Abteilung der Eisernen nun diese alte Rapid-Nachricht und schrieb selbst: „Die Kollegen von Union geben hiermit eine Verlängerung von Christopher Trimmel bekannt. Weiterhin alles Gute, Trimbo!“ Union und Trimmel – das ist längst mehr als eine normale Club-Spieler-Beziehung. Der Kapitän durchlebte im Verein Höhen wie den Bundesliga-Aufstieg 2019 und die Champions-League-Spiele 2024, aber auch Tiefen wie die Abstiegsängste in dieser und der vergangenen Saison. „Für mich ist Union längst mehr als nur ein Club, Union ist eine zweite Heimat geworden“, betonte Trimmel: „Deshalb freue ich mich sehr, weiterhin Teil dieser Geschichte zu sein und mit der Mannschaft jeden Tag hart zu arbeiten, um Union bestmöglich zu präsentieren.“