Selten hat ein Lokal so viel Geschichte geschrieben wie das Romanische Café im Berlin der 1920er-Jahre. Es war Treffpunkt von Künstlern, Lebenskünstlern, Nachtschwärmern aller Couleur. Schriftsteller, Reporter, Maler, Filmemacher, von Bertolt Brecht, Erich Kästner, Else Lasker-Schüler bis zu Billy Wilder, Jeanne Mammen und George Grosz gingen ein und aus. Es wurde Zeitung gelesen, geplaudert, debattiert, kokettiert, geflirtet, geschrieben, gezeichnet – und Kaffee getrunken. Das Café selbst, das sich in einem neoromanischen Gebäudekomplex gegenüber der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche befand, ist dem Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs zum Opfer gefallen. Sein Mythos hat ein Jahrhundert überdauert.
Ein Team von Kuratoren, Grafikern und Berlin-Spezialisten um die Kulturwissenschaftlerin Katja Baumeister-Frenzel hat vor Kurzem versucht, den Mythos zum Leben zu erwecken. Mit einer ansprechenden Ausstellung am Originalschauplatz, dem heutigen Europa Center, machen sie das Café und seine Geschichte erlebbar. Inzwischen haben sie ein Buch zu dem Thema herausgegeben. Von Berlins Neuem Westen mit Nachtlokalen, Kinos und Theatern rund um den Kurfürstendamm ist zu lesen. Auch die Baugeschichte des Romanischen Hauses wird beleuchtet. Ein großes Kapitel widmet sich der Einrichtung des Cafés mit Deckenmalereien und großen Wandspiegeln, in dem sich hier der Tisch des Schachweltmeisters Emanuel Lasker, dort der Malerstammtisch der „Pinsel-Professoren“ befand. Wie die sieben Autoren darlegen, verlor das Lokal noch vor dem Zweiten Weltkrieg als früher Coworking Space an Bedeutung. In den 1930er-Jahren verließen viele Intellektuelle und Künstler Deutschland. Zudem hetzte NS-Propagandaminister Goebbels gegen die „Fäulnis“ rund um die Gedächtniskirche. Im Buch ist eine „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ der Reichsschrifttumskammer von 1935 mit Stammgästen des Cafés abgebildet. Da war das Romanische Café bereits ein Mythos. Im Buch wird er umfassend beschrieben und bebildert, ergänzt durch eine Zeittafel, Gästeliste und Literaturauszüge. Eine gut dokumentierte, anschauliche, bisweilen vergnügliche Lektüre!