Es gibt Stereotypen, die sich hartnäckig in der Gesellschaft etabliert haben: Mütter müssen selbstlos sein, Journalisten gnadenlos, Lehrer dominant – und Mediziner gesund. Was aber passiert, wenn das eigene Weltbild, das auch noch mit allgemeinen gesellschaftlichen Konventionen im Einklang steht, plötzlich ins Wanken gerät? Was soll man als Ehefrau tun, wenn der eigene Ehemann zwar noch seine medizinischen Fachbegriffe, aber die eigene Familie nicht mehr (er)kennt?
Die Journalistin Katrin Seyfert hat ein Pseudonym gewählt, um schonungslos ehrlich die Probleme zu reflektieren, die eine Alzheimererkrankung nicht nur für den Erkrankten selbst, sondern auch für die Angehörigen mit sich bringt. Sehr ehrlich schildert sie im Buch „Lückenleben“ ihre eigene Egozentrik und ihre Wut, die aus der Überforderung mit der neuen Situation entstanden ist.
Denn wer wäre nicht wütend, wenn man den Halt in seinem Leben langsam, aber kontinuierlich verliert – und sich dann noch mit sinnloser Bürokratie herumärgern muss.
Was also tun? Richtig: Arbeiten. Klingt einleuchtend. Aber Katrin Seyfert und ihr kranker Ehemann haben drei Kinder. Dennoch soll sie plötzlich alles in einem sein: Mutter, Ehefrau, Vollzeitjournalistin und gütige Pflegekraft ohne finanzielle oder emotionale Ansprüche. Ein Tabu. Darüber redet frau nicht. Stattdessen wird ihr ihre narzisstische Mitteilungssucht vorgehalten.
Als sie schließlich selbst krank wird, erhält sie allerdings plötzlich Hilfe – in geballter Form. Alle wollen ihr zur Seite stehen – darunter auch viele, mit denen sie nicht gerechnet hätte.
Als er irgendwann trotzdem in eine Seniorenresidenz eingewiesen wird – kurz vor seinem Tod, scheint er darüber jedoch nicht sehr traurig zu sein. Das irritiert sie. Aber sie spürt auch eine gewisse Erleichterung. Und nach dem Tod ihres Mannes bleiben die Kinder und viele andere Menschen in ihrem Leben, die sie auffangen. Auch wenn ihr das nicht immer bewusst ist. Denn ein Klischee scheinen Künstler(innen) wirklich zu bestätigen: passioniertes Selbstmitleid.