Die Deutschen werden immer älter und damit auch pflegebedürftiger. Der Mangel an Pflegekräften bleibt allerdings weiterhin bestehen. Auch die angedachten Programme bringen nicht den gewünschten Erfolg.
Der Plan der letzten Großen Koalition unter Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), „Konzertierte Aktion Pflege“, klang vielversprechend. Doch im Ergebnis passierte bei der Anwerbung von Pflegekräften nicht viel. Natürlich wird im Bundesgesundheitsministerium immer auf die nicht absehbaren Folgen der Corona-Krise verwiesen. Alle gesetzgeberischen Kräfte seien gebunden gewesen, um die Aufgaben der Pandemie zu bewältigen. Dass die Pflege in den vergangenen drei Jahren tatsächlich wieder attraktiver geworden ist, liegt vor allem an der zunehmend besseren Bezahlung. Was allerdings weniger auf die Politik, als vielmehr auf die Arbeitgeberseite zurückzuführen ist. So gibt es zum Beispiel bis heute keinen einheitlichen Tarifvertrag für Pflegeberufe, was auch eine politische Aufgabe gewesen wäre. Dazu kommt, dass die Pflegebranche noch immer keine eigene Lobby im Bundestag hat, die mit am politischen Tisch sitzen könne, moniert Christine Vogler. „Wir haben keine Selbstverwaltungsstrukturen, wir haben keine Ressourcen, keinen Stab von Referentinnen. Die Bundesärztekammer, hat die entsprechenden Fachleute in Referaten und die können entsprechende Positionspapiere erarbeiten, um dann im Bundestag in den Ausschüssen vorstellig werden. So was hat die Pflege nicht“, sagt die Präsidentin des Deutschen Pflegerats auf FORUM-Nachfrage.
„Allein die Anerkennung durch politische Entscheider wäre schon hilfreich“
In der politischen Debatte geht damit das Anliegen der Pflegenden im professionellen Bereich völlig unter. Bitter stößt Christine Vogler gerade in diesem Streikfrühling die politische Kampfkraft von Verdi, Deutschem Beamtenbund oder der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG auf. Nun will Vogler nicht einen Arbeitskampf in dieser Form vom Zaun brechen. „Pflegekräfte tragen eine sehr hohe gesellschaftliche Verantwortung, ein flächendeckender Streik wäre undenkbar, aber allein die Anerkennung durch die politischen Entscheider wäre schon hilfreich. Klatschen auf dem Balkon hilft nicht weiter den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten. Doch der Weg zu einer Pflegegewerkschaft ist hart und steinig, da es wie gesagt, nicht mal ein einheitliches Tarifsystem für diesen Berufszweig gibt, sondern lediglich einen Rat, der die Bedingungen der Pflege vertritt.“ Es gibt zwar den Deutschen Pflegerat, dieser beschränkt sich allerdings auf sieben ehrenamtliche Präsidiumsmitglieder und drei Festangestellte in einem kleinen Büro. Das war es auch. „Wenn man die Pflege also endlich in einer Selbstverwaltung zusammenfassen würde, könnten wir auch eine schlagkräftige Lobbyarbeit im Sinne der Pflegebedürftigen und der Berufsgruppe organisieren. Aber so sind wir als Pflegende immer ein Anhängsel“, sagt Vogler. Auffällig ist bei der ganzen Debatte, dass sich sowohl die Vertreter von Arbeitnehmern, als auch die Arbeitgeberseite sind sich einig, bei der Pflege muss schnell gehandelt werden, sonst ist der Pflegenotstand nicht mehr abzuwenden.
Vertreter der Arbeitgeber oder besser Vermittler von Pflegekräften für die Einrichtungen ist Christoph Lang. Er ist Geschäftsführer der deutschen Fachkräfteagentur für Gesundheits- und Pflegeberufe (DeFa) und hat den Auftrag, weltweit nach Personal für die Betreuung der kranken und betagten Menschen in Deutschland zu suchen. Für Lang ist klar: Der Personalnotstand in der Pflege ist nicht nur über heimische Kräfte zu stemmen, aber dringend notwendige Kräfte aus dem Ausland zu kriegen, ist gar nicht so einfach. Zwar hat sich das Lohnniveau in der Pflege erheblich verbessert, wobei andere EU-Staaten, oder Japan wesentlich besser zahlen, um ihre Senioren zu versorgen, aber der Teufel steckt gerade in Deutschland weiterhin im bürokratischen Detail, so Christoph Lang auf FORUM-Nachfrage. „Man muss dazu wissen: Die Prozesse bei der Personalgewinnung internationaler Pflegefachkräfte sind nach wie vor äußerst komplex. Das ist einmal den zahlreichen Verwaltungserfordernissen und dem typisch deutschen Anerkennungsföderalismus geschuldet. Auf der anderen Seite braucht es eben seine Zeit, bis bei den Angeworbenen ein ausreichendes Fundament an Sprachkenntnissen vorliegt und bis auch die fachlichen und formalen Vorgaben erfüllt sind, die in Deutschland nun mal an examinierte Pflegefachkräfte gestellt werden. Aber es könnte schneller gehen, denn politisch ist das ja von fast allen Parteien im Bundestag gewollt“. In der Praxis sind das fast unüberwindbare Hürden, die ein Bewerber, oder zu einem großen Teil Bewerberinnen überwinden müssen, um in Deutschland einen Job als Pflegekraft oder Pflegeassistentin zu bekommen, sagt Lang. „Konkret heißt das: Es gibt eine klare Reihenfolge formaler Vorgaben, die abzuarbeiten sind. Das beginnt mit der Teil-Anerkennung bereits vorhandener Qualifikationen und der Arbeitsmarktzulassung. Hinzu kommen Visum beziehungsweise Einreiserlaubnis. Und dann sind auch noch die erfolgreiche B2-Sprachprüfung und schließlich die Vollanerkennung mit Berufszulassung notwendig. Das ist aufs Ganze gesehen schon ein echter bürokratischer Hürdenlauf. Also nicht ganz einfach für diese Menschen, die sich ja dafür entschieden haben, zu uns nach Deutschland zu kommen und hier in der Pflege zu arbeiten. Andere Länder wie zum Beispiel Australien oder die USA haben es da um einiges leichter.“
Während Berlin eine zweijährige Pflegeausbildung anerkennt, lehnt Hessen diese ab
Doch die bürokratischen Zuwanderungsmühlen arbeiten in Deutschland langsam. Ein Beispiel dafür ist der deutsche Föderalismus. Zwar ist das deutsche Aufenthaltsrecht bundeseinheitlich geregelt, aber die Anerkennung der beruflichen Qualifikation nicht nur in der Pflege ist von Bundesland zu Bundesland sehr unterschiedlich. Damit richtet sich die Aufenthaltserlaubnis immer auch nach der Anerkennung der beruflichen Abschlüsse der Menschen, die in Deutschland arbeiten möchten. Während Berlin eine zweijährige Ausbildung als Pfleger anerkennt, lehnt Hessen diese ab. Andere Bundesländer wollen dann noch eine Zusatzausbildung nach ihrem jeweiligen Standard. Bei der Gewinnung von Fachkräften verfängt sich Deutschland in der Föderalismus-Falle. Jedes Bundesland entscheidet nach Gusto, was auf ausländische Pflegefachkräfte völlig verstörend wirkt.
Doch Pflegefachkräfte-Manager Christoph Lang ist zuversichtlich, was die Zukunft angeht, denn diese unhaltbaren Verwaltungszustände sind selbst in der Politik angekommen. „Ja, da hat sich schon eine Menge getan, zum Beispiel durch das beschleunigte Fachkräfteeinwanderungsverfahren. Da ist auf alle Fälle viel Bemühen erkennbar, die Verfahren zu verbessern. Wir müssen in Deutschland aber auch erkennen, dass die besten Gesetze nichts nutzen, wenn am Ende hinten und vorne das Personal zur Umsetzung fehlt. Trotzdem: Es gibt offensichtlich einen Bewusstseinswandel in Deutschland. Allen ist inzwischen klar: Wir sind händeringend auf die Zuwanderung durch ausländische Fachkräfte angewiesen. Deutschland muss jetzt ganz schnell lernen, ein attraktives Einwanderungsland zu werden. Nicht nur, aber ganz besonders in der Pflege- und Gesundheitswirtschaft.“ Im Bundesgesundheitsministerium gibt sich Ministerialdirigent für Pflege, Dr. Martin Schölkopf, gegenüber FORUM zuversichtlich, der Gesetzgeber habe verstanden, entsprechende Änderungen seien bereits beschlossen oder stehen kurz davor.