Höhere Arbeitslosenzahlen, Kurzarbeitergeld und neue finanzielle Verpflichtungen: Die Arbeitslosenversicherung ist unter Druck. Reformen sind nicht in Sicht, vieles hängt von einer wiederanspringenden Konjunktur ab.
Der Steuerzahlerbund schlägt Alarm: Der Haushalt der Bundesagentur für Arbeit ist im Minus, die Arbeitslosenversicherung stehe massiv unter Druck. Laut dem Verband müsste die Politik nun echte Sozialreformen auf den Weg bringen.
Klar ist: Die Corona-Pandemie hat die Rücklagen der BA aufgezehrt, die mit Kurzarbeitergeld in Zeiten des Lockdowns zahlreiche Unternehmen und Arbeitnehmer stützte. Schon 2024 schloss die Agentur mit einem Defizit ab, das in diesem Jahr zirka 2,7 Milliarden Euro umfasst. Auch die Arbeitslosenversicherung verspürt Druck von mehreren Seiten. Zum einen muss sie fast drei Millionen Arbeitslose finanzieren. Die Ausgaben dafür haben laut Steuerzahlerbund von 7,8 Milliarden auf 9,3 Milliarden Euro zugelegt. Zum anderen hatte noch die Ampel beschlossen, dass die Arbeitslosenversicherung auch Rehabilitierungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für Bürgergeldempfänger finanzieren muss.
BA braucht Milliardenhilfe
Für das Jahr 2025 sah der damals noch unter dem Eindruck der Schuldenbremse aufgestellte Haushalt für Eingliederungsleistungen von Jobcentern 3,7 Milliarden Euro vor. Das waren elf Prozent weniger als 2024. Um mit weniger Geld für Eingliederungsleistungen trotzdem mehr Chancen für Bürgergeld-Berechtigte auch durch Weiterbildung und berufliche Rehabilitation zu initiieren, hat das Arbeitsministerium des damaligen Ministers Hubertus Heil diese Maßnahmen weg von den steuerfinanzierten Jobcentern hin zur beitragsfinanzierten Arbeitslosenversicherung verschoben: „Die Jobcenter übernehmen künftig nicht nur die Finanzierung, sondern beispielsweise auch die Weiterbildungsberatung und die Ermessensentscheidung, wer überhaupt eine geförderte berufliche Weiterbildung bekommt“, so das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB).
Aufgrund der nun gestiegenen Ausgaben, unter anderem für das Arbeitslosengeld, braucht die Bundesagentur für Arbeit daher in diesem Jahr voraussichtlich ein milliardenschweres Darlehen vom Staat. Dieses könnte sich auf bis zu 2,35 Milliarden Euro belaufen, so das Nachrichtenmagazin „Politico“.
Das Defizit der BA könnte bis auf fünf Milliarden Euro in diesem Jahr wachsen, dem gegenüber stehen jedoch noch Rücklagen in Höhe von 3,2 Milliarden Euro. Die Behörde rechnet damit, bis 2029 in den roten Zahlen zu bleiben und bis dahin Liquiditätshilfen von fast zwölf Milliarden Euro zu benötigen. Diese Einschätzung unterliege aber großen Unsicherheiten, heißt es von der Bundesagentur. Man erwarte, dass die Programme der Bundesregierung zur Stützung der Konjunktur Wirkung zeigten und sich die Lage verbessere. Eine Beitragserhöhung in der Arbeitslosenversicherung zur Gegenfinanzierung des Defizits hatte BA-Chefin Andrea Nahles für die Jahre 2025 und 2026 jedenfalls ausgeschlossen.
Die Wette auf die Zukunft, die die Arbeitslosenversicherung und die BA damit eingehen, ist jedoch riskant. Denn eine schnelle Erholung sei nicht in Sicht, so Nahles. Seit drei Jahren bewegt sich der deutsche Arbeitsmarkt nicht mehr in die „richtige“ Richtung: Die Arbeitslosigkeit steigt, abgesehen von saisonalen Schwankungen, die Zahl der offenen Stellen aber sinkt. Selbst wenn ein Wirtschaftsaufschwung früher komme, würden Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt erst mit einiger Verzögerung spürbar werden, hieß es. Dass es zu einer Verbesserung kommt, das glaubt die frühere Bundesarbeitsministerin allerdings schon – aber nicht rasch. „Ich rechne nicht vor Sommer nächsten Jahres, eher Herbst, damit“, dass sich die Wirtschaft erhole, sagte Andrea Nahles in Nürnberg bei der Vorstellung der ernüchternden Juni-Statistik für den deutschen Arbeitsmarkt. Im Juni zeigte sich der Arbeitsmarkt dementsprechend noch nicht in guter Verfassung. Die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland ist nur leicht um 5.000 auf 2,914 Millionen Menschen gesunken. Das sind 188.000 mehr als im Juni 2024, wie die Bundesagentur mitteilte.
Dies bedeutet: Der finanzielle Druck auf die Arbeitslosenversicherung bleibt bestehen. Zuschüsse seitens des Bundes bleiben notwendig. Arbeitsmarktforscher gehen davon aus, dass in diesem Sommer die Marke von drei Millionen Arbeitslosen überschritten wird. Normalerweise sinkt die Zahl im Juni saisonbedingt deutlich, bevor es in der Sommerpause zu steigenden Arbeitslosenzahlen kommt.
Arbeitslosenzahl könnte steigen
Die Bundesagentur müsse sich nun auf ihre Kernaufgabe konzentrieren, forderte angesichts des Geldbedarfs der BA Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger: „Vermitteln, vermitteln, vermitteln.“ Dies würde zu weniger Arbeitslosengeld und so auch zu stabilen Beiträgen für die Arbeitslosenversicherung beitragen. Schon jetzt sei sie faktisch keine reine Sozialversicherung mehr, sondern administriere immer mehr steuerfinanzierte Aufgaben. „Zu den Kernaufgaben gehören: Geldleistungen der Arbeitslosenversicherung auszahlen, in Arbeit und Ausbildung vermitteln, Arbeitslosigkeit durch Orientierung und wenn nötig Qualifizierung vermeiden sowie Beschäftigte und Unternehmen im Strukturwandel unterstützen“, so der Arbeitgeberverband in einem Positionspapier im Mai.
Von der Konjunktur hängt aber auch ab, ob die schwarz-rote Koalition beim Bürgergeld sparen kann. Laut Forschenden des IAB müssten die Arbeitslosenzahl um 100.000 sinken, damit die öffentliche Hand drei Milliarden Euro einsparen kann. Die Koalition will laut Koalitionsausschuss im kommenden Jahr mindestens 1,5 Milliarden Euro einsparen. Das Mittel dazu: Es soll schärfere Sanktionen bei Verfehlungen und mangelnder Kooperation geben, sprich gekürzte Leistungen. Auch Arbeitsministerin Bärbel Bas ist dafür, erwartet dadurch jedoch keine allzu hohen Einsparpotenziale. Ob die Konjunktur inzwischen anspringt, hängt an vielen Faktoren.
IAB-Forschungsbereichsleiter Enzo Weber beschreibt, wie eine Trendwende aus seiner Sicht gelingen könnte: „Dafür müssen alle Register gezogen werden: verbindliche Regeln und Pflichten, intensive individuelle Unterstützung, stärkere Qualifizierung, bessere finanzielle Anreize, Arbeit ausweiten und eine wirtschaftliche Erneuerungspolitik für mehr neue Jobchancen.“ Das IAB-Arbeitsmarktbarometer zeigte sich zuletzt weiter negativ, jedoch weniger pessimistisch. Wenigstens ein kleiner Lichtblick.