Friedrich Merz’ Kabinett steht – und es ist eine Mischung aus Altbekannten, Überraschungen und vor allem: Quereinsteigern. Mit dieser Auswahl sendet der neue Kanzler ein deutliches Signal: Frischer Wind soll durch die Regierungsflure wehen, auch wenn das einigen nicht schmeckt.
Nach dem historischen Fehlstart im ersten Wahlgang ist das Kabinett Merz nun komplett. Die Ministerriege um den neu gewählten Kanzler Friedrich Merz – bestehend aus 17 Ministerien – kann ihre Arbeit aufnehmen. Doch bereits vor dem ersten Arbeitstag sorgte der eine oder andere für Gespräche – denn die neue Regierung hat insbesondere eines zu bieten: Quereinsteiger.
Insbesondere die Berufung von Karsten Wildberger sorgte für hitzige Diskussionen im Vorfeld. Der ehemalige CEO von Ceconomy und Geschäftsführer der Saturn-Media-Markt-Gruppe wurde zum Minister für das neue Ministerium Digitalisierung und Staatsmodernisierung ernannt. Wildberger hat keine politische Erfahrung, dafür aber ein tiefes Verständnis von Unternehmensstrukturen und der Digitalisierung. Diese Berufung weckt die Hoffnung auf frischen Wind in der Bürokratie – und viel Skepsis, ob jemand mit seiner Wirtschaftserfahrung die politische Komplexität der Verwaltung und die teilweise stagnierenden Strukturen des Staates schnell durchdringen kann. Die Frage ist, ob ein Mann wie Wildberger, der den schnellen Erfolg aus der Unternehmenswelt gewohnt ist, genug Geduld für den langsamen, oft zähen politischen Prozess mitbringt.
Ähnlich umstritten ist die Ernennung von Wolfram Weimer zum Kulturstaatsminister. Der ehemalige Chefredakteur und Publizist, unter anderem bei der „Welt“ und „Cicero“, ist ein absoluter Neuling in der Kulturpolitik. Weder hat er Erfahrung in der Politik noch sind Kontakte in die Kulturwelt bekannt. Damit geht die Frage einher, ob er über das notwendige Fingerspitzengefühl für diesen Bereich verfügt. Die Herausforderung wird sein, wie Weimer mit den vielfältigen Erwartungen von Kulturschaffenden und der breiten Bevölkerung umgehen wird. Ob seine pragmatische Sichtweise zu einer erfrischenden Veränderung oder zu einem Missverständnis in der Kulturförderung führt, bleibt abzuwarten.
Katherina Reiche, die als Ministerin für Wirtschaft und Energie ins Kabinett stößt, war zuletzt ebenfalls in der freien Wirtschaft zu Hause. Sie war jahrelang Vorstandsvorsitzende von Westenergie und ist somit mit der Wirtschaft und den Herausforderungen im Energiesektor vertraut. Ihre Ernennung könnte ein Signal dafür sein, dass Merz in einer Zeit, in der die Energiewende und wirtschaftliche Erneuerung dringend auf der Agenda stehen, auf Fachkompetenz setzt. Reiche wird jedoch auch unter die Lupe genommen. Denn die 51-Jährige war ab 2009 bereits als Umwelt- und Verkehrsstaatssekretärin tätig. Ihr Wechsel in die Energiebranche sorgte für Aufsehen und als Negativ-Beispiel dafür, dass der Bundestag im Juli 2015 Karenzzeiten für den Wechsel von Amtsträgern in neue Beschäftigungen einführte. So wäre Reiches Jobwechsel nach der heutigen Rechtslage nicht mehr ohne Weiteres möglich: Zwischen dem Ausscheiden aus einem Minister- oder Staatssekretärsamt und einer neuen Tätigkeit in der freien Wirtschaft müssen nach dieser Entscheidung mindestens zwölf Monate liegen.
Spannend, wer nicht dabei ist
Auch Nina Warken als neue Gesundheitsministerin ist ein interessantes Beispiel für Merz’ personalpolitische Strategie. Die Juristin und langjährige Politikerin hat in der Vergangenheit zwar immer wieder gesundheitspolitische Themen in den Fokus genommen, doch lag ihr Kerngeschäft eher im Bereich der Innen- und Rechtspolitik. Ihre Ernennung somit durchaus eine Überraschung, doch könnte sie auch für neue Impulse sorgen. Ein wenig ist Warken wie der Gegenentwurf zu Amtsvorgänger Karl Lauterbach (SPD). Doch unbestritten ist: Warken muss sich in einem System, das stark auf Erfahrungen und Fachkenntnisse angewiesen ist, erst noch beweisen.
Doch spannend ist nicht nur, wer im Kabinett Merz dabei ist – sondern auch, wer es nicht sein wird. Saskia Esken, bis dato Co-Vorsitzende der SPD, geht überraschend leer aus. Kritiker sprechen von einem „würdelosen Umgang“ mit ihrer Person. Ihr Ausschluss aus dem Kabinett stellt nicht nur eine persönliche Niederlage dar, sondern auch eine politische. Esken hatte in den letzten Jahren als Parteichefin der SPD eine enorme Verantwortung getragen und trug maßgeblich dazu bei, dass Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten der SPD gemacht wurde. Klar ist auch: Saskia Esken gilt als umstritten – außerhalb, aber auch innerhalb ihrer Partei. Dennoch wird mit Recht von vielen angemerkt, dass der jetzige Umgang mit ihr nicht gerecht sei. Nach dem enttäuschenden Ergebnis der SPD bei der Bundestagswahl im Februar, bei der die Partei mit 16,4 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit über 100 Jahren erzielte, wurde die Schuld fast ausschließlich ihr zugeschoben. Der Frust der Basis und der Funktionäre richtete sich vor allem gegen Esken, nicht jedoch gegen Lars Klingbeil, ihren Co-Vorsitzenden. Im Gegenteil– Klingbeil ist mit dem Finanzministerium und als Vizekanzler mehr als gut aus der Situation herausgekommen.
Wie soll nun aber Esken nach diesem Schlag weiterhin als Parteichefin bestehen? Gar nicht, wie sie vor wenigen Tagen selbst bekannt gab. Bei der kommenden Neuwahl des Vorstandes wird sie nicht mehr als Parteichefin der SPD Deutschlands kandidieren. So war die Entscheidung über ihre Kabinettszugehörigkeit am Ende auch eine, die die Dynamik der Sozialdemokraten nachhaltig verändern wird.
Insgesamt zeigt sich das Kabinett von Friedrich Merz als ein spannendes Experiment aus frischen Ideen und neuen Perspektiven, aber auch als ein Akt politischer Machtspiele und Kalkulationen. Die Berufung von Quereinsteigern bringt eine erfrischende Dynamik in die Regierung, doch sie birgt auch Risiken. Besonders in Zeiten, in denen die politische Landschaft von vielen als festgefahren wahrgenommen wird, stellt sich die Frage, ob Merz’ Team die politischen Herausforderungen meistern und das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen kann. Das Kabinett Merz ist ein durchaus mutiger Schritt in eine neue politische Ära, der sowohl Chancen als auch Herausforderungen für die Regierung bereithält. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Minister im politischen Alltag behaupten werden und ob sie in der Lage sind, die drängenden Aufgaben erfolgreich zu bewältigen.