Vor 300 Jahren wurde Giacomo Casanova geboren. Ein neues Buch erzählt auch von seinem Aufenthalt in Berlin und Potsdam.

Sonntagvormittag, Sonnenstrahlen fallen in die Orangerie des Schlosses Charlottenburg. Es werden eilig noch ein paar Stühle in den eh schon gut bestuhlten Saal gebracht. Das Interesse an dem Mann, um den es an diesem Morgen geht, ist größer, als der Wagenbach-Verlag vermutet hat: Giacomo Casanova. 300 Jahre würde er in diesen Tagen alt. Der Kultur- und Literaturwissenschaftler Lothar Müller, der lange in Berlin als Redakteur für die Süddeutsche Zeitung tätig war, hat das zum Anlass genommen, ein Buch über den Mann aus Venedig zu schreiben: „Die Feuerschrift – Giacomo Casanova und das Ende des alten Europa“. Die Orangerie des Schlosses Charlottenburg sei ein guter Ort, das Buch – übrigens nicht sein erstes über Casanova – vorzustellen, sagt der Autor.
Am 19. Juli 1764 gab es hier eine Ballettaufführung mit einer Tänzerin, die Casanova aus Venedig kannte: Giovanna Denis. Sie war das Patenkind seiner Mutter. In den drei Monaten, die der Venezianer in Berlin verbrachte, war sie seine Geliebte. Und über sie kam er in Kontakt mit Künstlern und Intellektuellen, die sich im Salon der Tänzerin trafen. Da viele von ihnen Reisende wie Casanova selbst waren, kamen bei diesen Treffen viele Nachrichten und Tratsch aus ganz Europa zusammen.
Informiert zu sein, gehörte für Casanova zum Geschäft – es erleichterte es, Netzwerke zu pflegen und zu schreiben. Casanova war zwar viel auf Reisen und schrieb viel, aber er war kein Reiseschriftsteller, erklärt Lothar Müller seinem Publikum. Denn: „Er fährt durch die schönsten Landschaften Europas, sieht sie aber nicht – zumindest nicht als Autor. Er schreibt über sich selbst in Gesellschaft.“
In Berlin, auf der Reise in Richtung Polen und Russland, suchte er nicht nur die Gesellschaft der attraktiven Tänzerin, sondern den Kontakt nach ganz oben. „Der Abenteurer war auf der Suche nach einem Amt. Vom Lordmarshall nach seinen Plänen gefragt, machte er keinen Hehl daraus, dass er sich gern dauerhaft in Berlin niederlassen würde, ‚wenn der König mir eine angemessene Anstellung gäbe‘“, schreibt Lothar Müller. Der Lordmarschall, den Casanova kannte, konnte oder wollte ihm da offenbar nicht helfen und riet dazu, sich direkt an den König zu wenden. Es gab dann tatsächlich Antwort auf Casanovas Bitte um eine Audienz. Ein mit „Frédéric“ unterzeichnetes Schreiben traf in Casanovas Berliner Unterkunft, dem Gasthof „Zu den drei Lilien“, ein. „Mit ,Frédéric‘ pflegte der König Privatbriefe zu unterzeichnen“, weiß Lothar Müller.
Da es sich also nicht um ein offizielles Treffen handelte, wurde der Reisende auch nicht ins Schloss, sondern in den Park von Sanssouci gebeten. Dort überraschte Casanova der Unterschied zwischen Preußen und Frankreich: „Keine Schildwache, keine Pförtner, keine Lakaien. Der Blick, der diese Kargheit registriert, wie die Verwunderung über den leichten Zugang zum Ohr des Herrschers entspringen der Erfahrung des höfischen Zeremoniells in Versailles“, schreibt Müller. Immerhin, in der Gemäldegalerie teilte jemand dem Besucher mit, dass der König noch Flöte spiele, aber sicher pünktlich sei. Casanova hält in seinen Memoiren die Antwort des Kustos der Gemäldegalerie so fest: „Der König vergisst niemals etwas; er wird um vier Uhr in den Garten hinuntergehen, und Sie werden gut daran tun, ihn dort zu erwarten.“
Die Begegnung zwischen Preußens König und Casanova beschreibt der Autor so: Friedrich II. kommt mit seinem Vorleser und einem Spaniel in den Park. Er habe Casanova recht barsch mit seinem Namen angesprochen und seinen Hut gelüftet – einen alten Hut, wie Casanova feststellte, und Lothar Müller schreibt, „eine dezidiert lässige Kopfbedeckung fern allem Repräsentativen oder gar Militärischem“.
Preußen enttäuschte den Reisenden aus Venedig
„Der Auftritt verschlägt dem Besucher die Sprache“, schreibt Müller in seinem Buch. Der König und der Venezianer bewegen sich – so scheint es – in verschiedenen Welten. Casanova schwärmt von den viel schöneren, prächtigeren Gärten des französischen Königs. Friedrich stellt Fragen zur Stärke der Republik Venedig und sieht, wie es Müller beschreibt, seinen Gast „durch seine Antworten als Militärexperte disqualifiziert“. Das war es dann auch schon mit der Anstellung Casanovas in Preußens Dienste.

Aber man blieb im Gespräch – auch weil es Casanova gelang, „die Miene eines Finanzexperten aufzusetzen“, wie Lothar Müller erzählt. Vor allem wollte er dem König „eine gemeinnützige Steuer“ schmackhaft machen. Wobei Friedrich II. klar gewesen sei, dass sein Besucher damit eine Lotterie meint. „Der Stehgreifkomödiant“, wie Müller schreibt, „erreichte damit ein Terrain, auf dem er sich auskannte und das am preußischen Hof aktuell war.“ Schon bevor er sich mit Friedrich traf, hatte sich Casanova mit Giovanni Antonio Calzabigi besprochen. Mit ihm und seinem Bruder hatte er bereits eine Lotterie zugunsten der Militärschule in Paris organisiert.
Aber wieder musste Casanova feststellen, dass Preußen nicht Frankreich ist. Der König erteilte der Lotterie beim Spaziergang im Park von Sanssouci eine Abfuhr. „Ihr genuesisches Lotto gefällt mir nicht. Ich betrachte es als Gaunerei und will damit nichts zu tun haben, selbst wenn ich die mathematische Gewissheit hätte, dass ich dabei nicht verlieren kann“, wird Friedrich II. zitiert.
Dass Casanova der Lotterie und der Episode in seiner Biografie viel Platz einräumt, führt Lothar Müller darauf zurück, dass sie „eins seiner Lebensprojekte“ war, „das er gegen Diskreditierung schützen musste“. Dass sein ehemaliger Partner das Ganze nun ohne die Zustimmung des Königs, also als nicht staatlich abgesicherte Berliner Lotterie organisieren wollte, kritisierte Casanova scharf.
Der Mann, von dem Lothar Müller in der Orangerie des Schlosses Charlottenburg erzählt, hat kaum etwas zu tun mit dem, an den die meisten Menschen denken, wenn der Name Casanova fällt. Er beschreibt einen Reisenden, der bekannt wurde durch seinen spektakulären Ausbruch aus der Bleikammer, dem berüchtigten Gefängnis Venedigs, und dann wie ein Glücksritter durch die Welt zog.
„Aber kann es sein, dieses schwerelose Gleiten?“, fragt Müller. Ganz so schwerelos sei das Reisen auch für Casanova nicht gewesen. „Er konnte nicht ohne Wechsel, Pässe und Empfehlungsbriefe reisen. Und er hatte ständig Empfehlungsbriefe, war ein Meister im Akquirieren von Empfehlungsbriefen“, berichtet der Autor. Auch dafür waren die Treffen im Salon der Tänzerin gut. Dass der König zu deren Ballett-Aufführung in der Orangerie des Schlosses Charlottenburg aus Sicht Casanovas wieder mal äußerst schlecht gekleidet erschien, habe ihm den Abschied aus Berlin leicht gemacht, sagt Müller.