Countrymusik hat sehr viele Gesichter. Etliche Sub-Genres werden reichhaltig, leidenschaftlich und häufig auch beglückend bespielt. Auch für US-Musiker und -Musikerinnen, die eigentlich andere Genres bedienen, scheint es zudem die leichteste Übung zu sein, lässige Ausflüge in die Traditionssparte zu unternehmen – wie zuletzt Beyoncé bewies.
Nun haben sich auch Julien Baker & Torres Cowboyhüte aufgesetzt und sich in Texas verabredet. Beide sind ja erfolgreich solo unterwegs – und Baker gibt es zusätzlich im Verbund mit Lucy Dacus und Phoebe Bridgers als Boygenius. 2016 spielten Julien Baker & Torres eine einzige gemeinsame Show in Chicago. Das genügte für ein sofortiges Entfachen kreativer Funken. Alsbald wurden Pläne geschmiedet, die der Lockdown zunächst ausbremste. Das Hin- und Herschicken von Songs musste vorerst genügen. 2022 machten sich beide dann mit ausgewählten Session-Musikern und -Musikerinnen auf den Weg nach San Antonio, Texas.
Viel Zeit brauchten die Aufnahmen nicht, soviel Energie und Inspiration waren vorhanden … Eine ausgiebige Boygenius-Tour verdonnerte das Projekt schon wieder in die Warteschleife. Schließlich konnte dann 2024 in einem Brooklyner Studio der letzte Schliff erfolgen. Das Ergebnis ist berauschend, ein Genre-Juwel voller Hingabe und Finesse, Aufrichtigkeit und Trost.
Ein entscheidender Punkt dabei ist wohl, dass beide sich eine unbeschwerte Freude an klassischer Countrymusik regelrecht erarbeiten mussten. Denn als offen queere Jugendliche in den Südstaaten war dies quasi der musikalische Background mobbender Altersgenossen gewesen. Man ahnt den harten Weg, derartige Erfahrungen hinter sich zu lassen. Umso befreiter und genüsslicher, zugleich widerständiger, gelassener und auch humorvoller als vieles, was sonst im selben Genre kursiert, ist nun dieses Songdutzend geraten …
Mit klassischem Country-Instrumentarium und zwei wirklich fabelhaften Stimmen wird ein melodisch funkelndes, kraftvoll rollendes, opulent schwelgendes, durchweg mitreißendes Repertoire erzeugt. „Send A Prayer My Way“ wird Jahresendlisten zieren.