Muse hatten schon immer ein Händchen für Spannung. Und so herrschen auch auf „Will of the People", ihrem neunten Studioalbum, sowohl produktionstechnischer Bombast als auch soundtechnische Gegensätze vor. Den musikalisch sehr eingängigen Stücken stehen die nicht gerade Mut machenden Texte gegenüber. Etwas mehr als dreieinhalb Minuten rockt das Trio im Schlusstrack „We Are Fucking Fucked", zu Deutsch etwa „Scheiße, sind wir am Arsch", gnadenlos ab und Matthew Bellamy singt: „Glaubt ihr wirklich, wir können das alles überleben?" Zur Zeit der Aufnahmen wohnte er in Los Angeles, bekam Dürre und Waldbrände hautnah mit und baute dies, Corona und Kriege in seine Texte ein. Umwelt- und sonstige Katastrophen lassen auch Rockstars nicht kalt. Man bleibt sich thematisch auch weiter treu: Selbstbestimmung, Emanzipierung von staatlicher Bevormundung, Dystopie, religiöse Fügsamkeit und die Apokalypse. Mit dem Titeltrack, einem Glamrock-Boogie, beginnt das Album recht entspannt. Zu „Compliance" (hier: Folgsamkeit) mit dem fluffigen Retro-Synthie-80er-Sound erklärt die Band: „Sie wollen, dass wir ihrer engen Weltsicht folgen und sollen gehorsam sein." Es könnte also ein Fest für Querdenker sein, wenn die Briten nicht auch immer wieder Emotionen auffahren würden. „Ghosts" ist eine fast nur von Bellamys Pianospiel getragene Ballade über die Verluste von so vielen Menschen während der Pandemie. Und dann ist da ja noch die englische Verschrobenheit, die mit finsterem Humor Doppeldeutigkeit zelebriert. „You Make Me Feel Like It’s Halloween" klingt mit seiner Kirchenorgel wie eine Muse’sche Version eines Musical-Welterfolges. Der Text erzählt vordergründig eine typische Slasher-Geschichte, in der ein Opfer von einem irren Täter verfolgt wird – es könnte sich aber auch um die Schilderung von häuslicher Gewalt handeln. Einer der Höhepunkte dürfte „Verona" sein, das wie ein klassisches Muse-Stück für die Stadiontour aufgebaut ist. Bellamy windet sich mit seinen fast vier Oktaven in höchste Gefilde und erzählt eine „Romeo und Julia"-Geschichte über Liebende, die sich nicht lieben dürfen – erneut eine Corona-Parallele.
KULT[UR]

Foto:Warner Music International
CD-Tipp: Orakel der Apokalypse
Muse: Will of the People. Warner/Helium 3. Laufzeit: 38 Minuten
Kult[ur] - CD-Tipp
MEHR AUS DIESEM RESSORT
CD-Tipp: Enthusiasmus mal 23
„Wir stehen hier für die Kunst, wir stehen hier für die Härte und das ...
03.02.2023
CD-Tipp: Auf den Wellen kreiseln
Schon der Vorgänger mit dem herrlich assoziativen luftigen Titel „Clou ...
27.01.2023
CD-Tipp: Einzigartiges Debüt
Wer sich mit isländischer Musik beschäftigt, dem fällt am ehesten Björ ...
20.01.2023
CD-Tipp: Staubiger Wüstenrock
Natürlich ist der Titel „Exiled On Mabel St.“ eine Anspielung, die dir ...
13.01.2023
CD-Tipp: Dunkle Intensität
„Nadine Khouris tiefe, klare Stimme scheint aus einer anderen Welt her ...
06.01.2023
CD-Tipp: Momente aus Porzellan
Nach mehreren erfolgreichen Alben und zahlreichen Jahren im Showgeschä ...
23.12.2022
CD-Tipp: Sympathen am Werk
„Palomar Parade“ ist das erste komplette Studioalbum von Sons of the E ...
16.12.2022
CD-Tipp: Von Münster nach Athen
Mittlerweile ist der im Münsterland aufgewachsene und seit einigen Jah ...
09.12.2022