Molekularbiologe Christian Regenbrecht gelang es in Berlin-Buch, ein neues Verfahren zu entwickeln. „Reverse Clinical Engineering“ zeigt Krebskranken die erfolgversprechendste Therapie an.
Lungenkrebs, Hautkrebs, Metastasen, Karzinome: Trotz allen medizinischen Fortschritts kommen Ärzte und Wissenschaftler beim Thema Krebs nur langsam voran. Ein Todesurteil bedeutet die Diagnose Krebs heute nicht mehr zwangsläufig, doch Heilungschancen sind nach wie vor vage. Einem Forscherteam um Diplom-Biologe Dr. Christian Regenbrecht gelang es jetzt jedoch; einen Test zu entwickeln, der individuell anzeigt, welche Therapie bei Patienten am besten anschlägt.
Regenbrechts Biotech-Firma ASC Oncology in Berlin-Buch forschte jahrelang an einer Technik, die „Reverse Clinical Engineering“ heißt und als Präzisionsmedizin beschrieben wird. „Anhand von Tumorproben können wir sicher vorhersagen, wie gut welche medikamentöse Therapie bei Krebskranken hilft. Was bei einem Patienten funktioniert, muss bei einem anderen längst nicht anschlagen“, erklärt Regenbrecht.
ASC Oncology auf dem Campus des Max-Delbrück-Centers Buch ist Firmenangaben nach das erste Unternehmen weltweit, das dieses Verfahren anwendet. Bislang konnte schon mehreren Hundert Patientinnen und Patienten geholfen werden, unter anderem in Saudi Arabien, Australien und den USA. Das Testprozedere dauert durchschnittlich 27 Tage. Bei einer jungen Magdeburgerin, bei der es um Leben und Tod ging, reichten neun Tage. „Bei dieser jungen Frau wuchs der Tumor ums Herz und beeinträchtigte dessen Schlagen. Die Ärzte hatten nur einen einzigen Behandlungsversuch. Mit unserem Test konnten wir vorher sagen, welches Medikament hilft. Die Sachsen-Anhalterin überlebte.“
Bei der Therapieprognose liegt ASC Oncology eigenen Angaben nach bei bis zu 80 Prozent der Fälle richtig. Das Verfahren funktioniert bislang bei tumorbildendem Krebs, unter anderem bei Lungen-, Darm- und Brustkrebs, nicht aber bei Leukämie. „Um Betroffenen zu helfen, wird ihnen im Krankenhaus Tumorgewebe entnommen, dieses in unseren Laboren vervielfältigt und mit infrage kommenden Medikamenten behandelt“, erklärt der Molekularbiologe, der schon mit acht Jahren erstmals in ein Mikroskop schaute. „Andersherum können wir auch nicht wirkende Therapien benennen. Hier liegen wir bei einer Trefferquote von fast 100 Prozent.“
Bei tumorbildendem Krebs anwendbar
Ein heikler Punkt sind die Kosten, die bei jedem ASC-Test bei rund 5.700 Euro liegen. Private Krankenkassen übernehmen die Auslagen laut Regenbrecht in der Regel zu 100 Prozent, gesetzliche Kassen würden bislang von Fall zu Fall entscheiden. Doch am Geld soll die Hilfe für Betroffene nicht scheitern: „Dazu haben wir den Verein ‚Cancer Rebels‘ (deutsch: „Krebsrebellen“) gegründet, der unter anderem Betroffene finanziell unterstützt. Es gibt auch Möglichkeiten, Erkrankte in Forschungsprojekte aufzunehmen.“
Perspektivisch soll das bahnbrechende Testverfahren von allen Kassen voll finanziert werden. Doch die Mühlen im deutschen, sehr hierarchisch aufgebauten Gesundheitssystem mahlen langsam, seufzt Christian Regenbrecht. „Das Zusammenspiel ist sehr komplex. Das versuchen wir aufzubrechen und Überzeugungsarbeit zu leisten. Im Gesundheitsbereich ist es wie in unserer Gesellschaft: Viele scheuen sich, persönliche Verantwortung zu übernehmen“, so der Wissenschaftler, der im Interview auch die Kommerzialisierung im Medizinsektor kritisiert.
Auslöser für Regenbrechts Interesse an Zellbiologie waren auch Krebsfälle in der Familie. „Ich kenne keinen in meiner näheren Verwandtschaft, der nicht an Krebs gestorben ist“, sagt der Biologe, der 1975 in Oberhausen in Nordrhein-Westfalen geboren wurde. „Ich bin ein klassisches Arbeiterkind aus dem Ruhrpott. Mein Vater war der Erste der Familie, der nicht unter Tage malochte“, so der Wahl-Brandenburger, der in Rostock ein Medizin-Studium begann, dann nach Mainz und später nach Bonn wechselte, um Biologie zu studieren.
2005 ging er ans Max-Planck-Institut Berlin-Dahlem, später an die Charité. 2014 folgte die erste Firmengründung, 2019 die Gründung der ASC Oncology GmbH. „Zu Hause bin ich seit 2016 in Panketal nördlich von Berlin. Ich muss sagen: Das Ländliche liegt mir. Mit meinem zweijährigen Sohn bin ich beispielsweise oft an unserem Okkenpfuhl. Gerade beobachteten wir den Moorfrosch“, lächelt der leidenschaftliche Segler, der die Ostsee liebt und gern zu einem Törn nach Schweden startet. Wie er sonst entspannt? „Bei Jazz, am liebsten auf Schallplatte.“