Diese Robbe steht unter Strom: Der BYD Seal ist eine Elektro-Limousine, die durch den günstigen Preis und innovative Akkus besticht. Wie gut schlägt sie sich im Vergleich zur Konkurrenz?

Elektroautos als Limousine sind eine Rarität. Sicher, im Hochpreis-Segment tummeln sich diverse Mercedes- und BMW-Modelle, und sogar Rolls-Royce hat eine elektrische Nobelkarosse im Angebot. Wer sich aber die Mittelklasse anschaut, wird sehen, dass sich das Feld lichtet. Da ist zum Beispiel der sportliche Polestar 2 oder der torpedoförmige Hyundai Ioniq 6. Und natürlich der Klassiker, an dem sich alle anderen messen: das Tesla Model 3.
Autobatterie ohne Nickel und Kobalt
Mit dem BYD Seal wird die Auswahl jetzt etwas größer. Der chinesische „Seehund“ überrascht schon beim Namen. Warum wird ein schlanker Elektroflitzer nach einer pummeligen Robbe benannt? Im Wasser dürfte sich der Seal vermutlich nicht besonders wohlfühlen, und die „raupenartige Fortbewegung an Land“, die der WWF dem Tier attestiert, hat sich der Hersteller hoffentlich nicht zum Vorbild genommen. Am Ende bleibt wohl nur die Farbe. Mein Testfahrzeug, das Allrad-Modell, schimmert in Blau-Metallic. Ein Seehund sieht natürlich so nicht aus, aber immerhin hat es was Maritimes. Auto-Namen – eine Wissenschaft für sich.
Und wie schlägt er sich auf der Straße? Kurz den Schlüssel drücken, schon fahren die Türgriffe aus. Die Buchstaben BYD („Build Your Dreams“) sind darauf zu lesen, genau wie auf der Motorhaube, am Heck, am Lenkrad und auf den Kopfstützen. Vielleicht ist es ein subtiler Versuch, die Marke bekannter zu machen, denn trotz Millionen-Investitionen und EM-Sponsoring scheint die Werbung in Deutschland nicht so recht zu verfangen. 2024 verkaufte BYD laut Kraftfahrtbundesamt in Deutschland genau 2.891 Fahrzeuge. Womöglich liegt es schlicht an fehlender Präsenz: So gibt es laut BYD-Homepage aktuell gerade einmal 29 Händler in Deutschland (Stand: Januar 2025).
Dabei startet die Firma, die auch elektrische Kleinwagen wie den „Dolphin“ und SUV wie den „Atto 3“ verkauft, von einer guten Ausgangsposition. BYD ist nämlich in erster Linie ein Batteriehersteller. Das Unternehmen kontrolliert die gesamte Lieferkette und kann Akkus bauen, an die sich viele Konkurrenten noch nicht herantrauen. So kommt die im Seal verbaute Lithium-Eisen-Phosphat-Batterie ohne die Konflikt-Rohstoffe Nickel und Kobalt aus.
Das Motto „Weniger ist mehr“ gilt auch für den Verkauf. Während es bei vielen Herstellern möglich ist, jedes noch so kleine Detail im Bestellprozess auszuwählen, beschränkt sich BYD auf genau zwei Varianten: „Design“ (Hinterradantrieb) und „Excellence“ (Allrad). Die unterscheiden sich, bis auf Details, hauptsächlich in der Antriebsform. Weiterer Unterschied: In der günstigeren Version fehlt das Head-up-Display. Ansonsten ist vom Akku bis zum Assistenzsystem alles gleich.

Das Interieur wirkt minimalistisch: viel Kunstleder, wenig Plastik, keine Knöpfe. Der Tacho über dem Lenkrad zeigt die wichtigsten Informationen an; zusätzlich gibt es in der Mitte des Armaturenbretts einen 15,6-Zoll-Hauptbildschirm. Dieser dreht sich auf Wunsch von der Horizontalen in der Vertikale – eine lustige Spielerei.
Auch das Glasdach macht was her. Bei meiner winterlichen Testfahrt sind wahlweise Schneeflocken und große Regentropfen zu sehen. Als Fahrer habe ich nichts davon, doch meine Insassen sind beeindruckt. Nur im Sommer könnte es heiß werden wie auf einem Grill, denn die Glasfläche lässt sich nicht abdecken. Das Problem kennt auch Tesla, genau wie die Lösung: Für beide Marken sind separate Sonnenblenden erhältlich.
Innenraum ganz im Zeichen der Moderne
Beim Einlegen des Ganges muss ich grinsen: Hier hat sich der Autobauer offenbar in Bayern inspirieren lassen, denn genau wie bei dem Luxus-Cruiser BMW i7 besteht der Gangwahlhebel aus Kristall-Imitaten. Doch nicht alles ist Show. Beim Ausparken erscheint – zusätzlich zur Rückfahrkamera – ein 3D-Bild, das das Auto aus der Vogelperspektive zeigt. Sehr nützlich! Ebenfalls positiv: Dauernde Warngeräusche, wie Autos anderer asiatischer Hersteller sie von sich geben, bleiben beim Seal größtenteils aus. Zudem liegt er sehr ruhig auf der Straße. An der raupenartigen Fortbewegung von Seehunden hat sich BYD also nicht orientiert.
Der Innenraum steht ganz im Zeichen der Moderne. So gibt es gleich zwei Ablageflächen, auf denen Handys induktiv geladen werden können. Überall schimmern Lichtleisten, die je nach Fahrsituation in verschiedenen Farben glimmen. Mir gefällt’s, aber bei einer nächtlichen Ausfahrt mit Freunden muss ich das Lichtspektakel schon nach kurzer Zeit ausschalten, weil meine Mitfahrer davon genervt sind. Tja, die Geschmäcker sind verschieden.
Was die Power angeht: Oha! Das 530 PS starke Allrad-Monster schießt auf der Autobahn wie eine Rakete nach vorne, Höchstgeschwindigkeit: 180 km/h. Der Hyundai Ioniq 6 schafft genau fünf km/h mehr, das Tesla Model 3 kommt in seiner Performance-Version sogar auf 262 km/h. Auf dem Papier mag das ein Vorteil gegenüber dem Seal sein. Aber braucht man solche Geschwindigkeiten im Alltag wirklich?
Zumal der Verbrauch beim Seal ohnehin nicht gerade niedrig ausfällt. Obwohl ich mich an die Richtgeschwindigkeit halte, erscheint die Normreichweite von 520 Kilometern utopisch. Zugegeben, unter Eis und Schnee leiden alle Batterien. In meinem Fall aber liegen die Temperaturen fast immer über dem Gefrierpunkt. Trotzdem erreiche ich nur Reichweiten um die 350 Kilometer. Der Hyundai Ioniq 6 schaffte zumindest 400 Kilometer. Allerdings hatte ich ihn auch im Herbst getestet.
Bei den Fahrgeräuschen verhält sich der Seal vorbildlich. Lediglich das lautstarke Gebläse muss ich bändigen, wenn es plötzlich kalte Luft in den Innenraum pustet. Jetzt rächt sich, dass BYD auf nahezu alle Knöpfe verzichtet und man sich umständlich von einem Menü ins andere tippen muss. Das Heizungsproblem tritt im Laufe der folgenden Tage noch mehrfach auf. Obwohl ich die Temperatur konstant auf 21 Grad einstelle, kommt manchmal minutenlang kalte Luft durch die Düsen, während kurz danach heiße Luft wie aus der Sahara in den Innenraum strömt.
Digitale Außenspiegel

Deutlich besser arbeiten die Assistenzsysteme, angefangen vom Totwinkel-Warner in den Außenspiegeln bis hin zur Verkehrszeichen-Erkennung. Beim Ausparken piepst das System, falls sich andere Verkehrsteilnehmer von hinten oder von der Seite nähern. Lediglich der Spurhalteassistent agiert auf der Autobahn arg zaghaft.
Der Streamingdienst Spotify ist beim Seal serienmäßig an Bord. Naja, so halb. Zwar lässt sich die Plattform direkt übers Hauptmenü ansteuern. Einen eigenen Account braucht man trotzdem, um Musik, Podcasts oder Hörbücher abzuspielen.
Richtig gut gefällt mir das Navi. BYD widersteht dem Versuch, allzu viele Details einzublenden. Stattdessen konzentriert sich die Routenführung auf das Wesentliche. Bei längeren Strecken plant es automatisch Ladestopps mit ein, sofern sie nötig sind. Tippt man auf das entsprechende Symbol, wird sogar die aktuelle Belegung der Ladesäulen angezeigt. Natürlich kann sich diese jederzeit ändern, doch zumindest bietet die Anzeige einen Anhaltspunkt, wie viel vor Ort los ist.
Am Schnelllader angekommen, steht mein Akku bei 20 Prozent. Ich benötige exakt 27 Minuten, um ihn wieder auf 80 Prozent aufzuladen. Beim Ioniq 6, der über ein 800-Volt-System verfügt, ginge es noch ein paar Minuten schneller. Außerdem bietet er Extras wie Schuko-Steckdosen im Innenraum, digitale Außenspiegel (Kameras statt Glas) oder eine Anhängerkupplung.
Da sich die Preise ähneln, ist es am Ende eine Geschmacksfrage: Mag man’s futuristisch, liegt der Ioniq 6 klar vorne. Wer ein schlichtes E-Auto will, das den Umstieg vom Verbrenner erleichtert, ist im Gegensatz dazu vermutlich mit dem Seal besser bedient.