Vom Pin-up der Popkultur zu einer Frau, die sich traut, sie selbst zu sein. Sensibel, empathisch, verletzlich und voller Vertrauen auf das, was die Zukunft bringt. Lange hat es gedauert, bis Pamela Anderson ihr glamouröses Image mit ihrer wahren Persönlichkeit überstrahlen konnte.

Die internationalen Filmfestspiele in Cannes, 1996. Wie jedes Jahr war während des 14-tägigen Festivals die Celebrity-Dichte an der Côte d’Azur besonders hoch. Francis Ford Coppola war Jury-Präsident, Regisseure wie Bernardo Bertolucci und David Cronenberg stellten ihre Filme vor und Hollywoodstars wie Al Pacino, Jeremy Irons, Liv Tyler und James Spader flanierten abends zur Gala-Premiere über den roten Teppich. Man konnte als Journalist mit vielen hochkarätigen Stars Interviews führen oder begegnete ihnen auf exklusiven Partys sogar persönlich.
Ihr Auftritt: ein absurder Zirkus
Plötzlich lief der Festival-Hype völlig aus dem Ruder: Pamela Anderson hatte sich angesagt, für eine Pressekonferenz zu ihrem Actionfilm „Barb Wire“ im Hotel „Le Majestic“ an der Croisette. Schon Stunden vor dem Termin war das Hotel von Fotografen und Schaulustigen dicht belagert. Mit über zweistündiger Verspätung bahnte sich endlich eine schwarze Stretchlimo den Weg durch den Gaffer-Pulk. Heraus stiegen Pamela Anderson und ihr damaliger Ehemann, der Skandal-Rocker und Mötley-Crüe-Drummer Tommy Lee. Pamela steckte in einer knallengen schwarzen Ledermontur, die sichtlich Mühe hatte, ihre Brüste zu bändigen, trug ein schwarze Sonnenbrille und war perfekt geschminkt. Auf Fragen von Journalisten zu „Barb Wire“ und „Baywatch“, zu ihrer turbulenten Ehe und zu ihren Gefühlen bei all dem Starrummel kiekste sie ein paar Sätze, die niemand so richtig verstand, in denen aber oft Worte wie „great“ und „fantastic“ vorkamen. Zwischendurch küsste sie Tommy Lee, der Händchen haltend und sichtlich stolz neben seiner Trophy-Wife saß. Das ganze Spektakel dauerte gerade einmal knappe 20 Minuten und hatte etwas von einem absurden Zirkus.

Was für ein Gegensatz zu Pamela Andersons Auftritt beim Zürich Film Festival 2024! Da ging sie zur Premiere von „The Last Showgirl“ in einer hochgeschlossenen pinken Robe über den grünen Teppich, ohne einen einzigen Hauch von Make-up, und lächelte scheu in die Kameras. Am nächsten Tag gab sie – geradezu jungfräulich züchtig – in einem weißen Hosenanzug längere Interviews und war ausgesprochen mitteilsam und freundlich. Und entschuldigte sich etwas linkisch für ihre große Lesebrille, „ohne die es eben nicht mehr geht“.
Man begegnete nun einer charmanten, attraktiven Frau, die nicht auf vordergründigen Sexappeal angewiesen ist. Man sah ihr die Erleichterung an, endlich einmal ganz bei sich sein zu können und keine einschlägigen Fantasien bedienen zu müssen. Diese radikale Neubetrachtung von Pamela Anderson als Frau und kulturelle Figur konnte man auch schon bei der Doku „Pamela: Eine Liebesgeschichte“ erleben, die 2023 auf Netflix gestreamt wurde. Darin erzählte sie völlig unprätentiös unter anderem von ihrer Kindheit in Kanada, ihren Nacktfotos für den „Playboy“ und ihrer TV-Karriere als „Baywatch“-Pin-up. Und sie scheute auch nicht davor zurück, einen Blick auf ihre diversen Ehen– vor allem auf die toxische Beziehung zu Tommy Lee – und den zermürbenden Clinch mit der Boulevardpresse in den 90er-Jahren zu werfen.

Zum Beispiel, als sie und Tommy Lee mit Häme überschüttet wurden, als ihr privates Sexvideo (aufgenommen während eines Urlaubs auf ihrem Hausboot auf Lake Mead) durch einen Diebstahl an die Öffentlichkeit gelangte. 2022 wurde der Skandal dann noch einmal in der TV-Serie „Pam & Tommy“ (2022) hochgekocht. „Das hat mich noch einmal sehr verletzt“, sagt sie mit einem bitteren Unterton.
Broadway-Rolle als Neubeginn
Dass sie jahrelang an schweren Depressionen litt, auch daraus hat Pamela Anderson im Zuge ihrer Selbstfindung keinen Hehl gemacht. Man erfuhr auch, dass sie in ihrer Kindheit und Jugend mehrfach vergewaltigt wurde und mit Anfang 30 zwei Fehlgeburten erlitt. Hinter der Fassade einer immer lächelnden, erotisch aufgeladenen Celebrity auf der Überholspur versteckte sich jahrelang eine sensible Frau, die auf der Suche nach ihrem wahren Ich regelmäßig aus der Kurve flog. In ihr selbstironisches Bonmot „Meine Brüste hatten eine fabelhafte Karriere – ich bin einfach immer nur mitgetrottet“ mischt sich heute auch eine gute Portion Bedauern.

Pamela Anderson zuckt mit den Achseln und meint: „Ich war eben die ‚Jungfrau in Nöten‘. Allerdings habe ich mich oft in völlig verrückte Situationen begeben. Aber immerhin habe ich überlebt.“ Mit einem abgeklärten Lächeln meint die heute 57-Jährige noch: „Natürlich habe ich damals den Leuten viel Material in die Hände gegeben, sodass sie mich lächerlich machen konnten. Aber das ist schon okay. Ich habe diese wahnsinnig intensive Zeit ja auch sehr genossen. Ich hatte zum Beispiel sechs großartige Jahre bei ‚Baywatch‘. Da waren wir wie eine eingeschworene Familie. Und nur die wenigsten Leute wissen, dass ich das Angebot für ‚Baywatch’ tatsächlich zehnmal abgelehnt hatte. Ich dachte, das wäre nichts für mich. Als ich dann eines Tages meinen damaligen Freund David Charvet zum Casting begleitet habe, sagten sie: ‚Bist du die Pamela Anderson, die nie zum Vorsprechen kommt? Wir schreiben gerade extra eine Rolle für dich hinein. Bleib auf jeden Fall in Kontakt.’ Das war schon bizarr. Meine allererste Szene hatte ich dann mit David Hasselhoff. David war immer ausgesprochen nett zu mir.“

Sehr gern erzählt sie heute auch, dass sie in den „Baywatch“-Drehpausen die Bücher des Method-Acting-Gurus Stanislawski studierte und Theaterstücke von Tennessee Williams und Eugen O’Neill verschlungen hatte. „Ich träumte schon immer davon, einmal eine wirklich gute Schauspielerin zu werden. Doch wer hätte mich ‚Playboy‘-Faltposter wohl ernst genommen? Sehr geholfen haben mir damals auch die Bücher des Psychoanalytikers Carl Gustav Jung. Vor allem sein Buch ‚Erinnerungen, Träume, Gedanken‘ war so etwas wie eine Bibel für mich. Als ich mich wegen meiner Depressionen therapieren ließ, war mein Psychiater auch ein überzeugter Jungianer. Träume sind für mich auch heute noch sehr wichtig.“ Daher ist es gar nicht verwunderlich, dass Pamela Anderson während ihres Aufenthalts in Zürich auch im nahegelegenen Ort Küsnacht das Haus besuchte, wo Jung einst arbeitete und wohnte.
Es hat lange gedauert, bis man Pamela Anderson als Schauspielerin endlich ernst nahm. Der langersehnte Durchbruch fand 2022 auf dem Broadway satt. Ihr Auftritt als Roxie Hart im Musical „Chicago“ wurde als Sensation gefeiert. Niemand hatte ihr das zugetraut. Was für ein Befreiungsschlag! Ihre Neugeburt als Charakterdarstellerin konnten wir jetzt im Film „The Last Showgirl“ miterleben, wo sie sich in der Titelrolle die Seele aus dem Leib spielt (Siehe Filmtipp, S. 84). Wenn sie auf den Film zu sprechen kommt, strahlen ihre große blauen Augen besonders hell. „Die Dreharbeiten in Las Vegas waren einfach fantastisch. Ich habe dort zur Vorbereitung auf meine Rolle viele echte Showgirls getroffen und war von ihrem Können und ihrer Herzlichkeit absolut begeistert. Als Showgirl in Las Vegas zu arbeiten ist ein Knochenjob, den man ohne Leidenschaft für den Beruf nicht durchhält. Natürlich habe ich mich auf den Dreh schon vorher supergut vorbereitet. Ich konnte meinen Text im Schlaf und war auch für die Tanzszenen körperlich in Topform. Da ich auch viel von meiner Lebenserfahrung in diese Rolle mit einbringen konnte, war das wie eine Therapie für mich. Es war alles sehr, sehr anstrengend, doch es hat sich wirklich gelohnt. Es war eine magische Erfahrung!“

Und dann erzählt Pamela Anderson noch von ihrer ersten Begegnung mit ihrem Co-Star Jamie Lee Curtis: „Ich bin ein großer Fan von Jamie Lee Curtis und hatte wahnsinnige Angst sie zu treffen. Als wir uns alle zum ersten Mal an einen Tisch setzten, um das Drehbuch zu lesen, hatte sie gerade ihre dritte Spray-Tan-Anwendung gemacht. Im Film spielt sie ja meine beste Freundin, die extrem gebräunt ist. Sie setzte sich neben mich und wurde langsam dunkelbraun, dann nach und nach noch dunkler – bis sie fast orange war. Das war wirklich sehr lustig! Jamie ist ein wunderbarer Mensch, mit dem man sehr ernste Gespräche führen, aber auch viel Spaß haben kann. Wir haben uns alle prächtig verstanden. Oft habe ich auch für die versammelte Mannschaft gekocht. Ich bin ja eine passionierte Köchin und habe in den letzten Jahren viele Rezepte gesammelt. Da ich Veganerin bin, koche ich natürlich am liebsten vegane Gerichte. Zuhause backe ich auch mein eigenes Brot. Mein Sohn Brandon hat mich irgendwann dazu ermuntert, doch mein eigenes Kochbuch zu schreiben.“ („I love You – Recipes from the Heart“; Anm. d. Red.)

Bei all dem Trubel hatte Pamela sogar noch Zeit, ihre Memoiren zu verfassen. In „In Liebe, Pamela“ legt sie ihr Leben noch einmal schonungslos offen. „Das war mir sehr wichtig – und auch sehr heilsam. Ich habe sozusagen mein Leben wieder neu gemalt. Meine Söhne Brandon und Dylan haben mir sehr dabei geholfen, mich so zu zeigen, wie ich heute bin. Und hoffentlich erinnert man sich einmal viel lieber an die ‚neue Pamela‘ und weniger an das damalige Playmate. Ich habe wirklich das Gefühl, dass gerade jetzt mein kreativster und erfüllendster Lebensabschnitt ist. Und ich hätte mir nie träumen lassen, dass das tatsächlich einmal Realität werden könnte.“
Pamela Anderson wird ihren 58. Geburtstag am 1. Juli in ihrem Haus auf Vancouver Island feiern, wo sie seit Jahren – mit drei Hunden und einer Katze – glücklich und zufrieden lebt. „Da werde ich dann für meine Familie und Freunde kochen, das ist längst abgemacht“, strahlt sie.
Auch wir können mit Pamela Anderson ein Wiedersehen feiern: Am 31. Juli kommt sie, neben Liam Neeson, mit dem Remake der Komödie „Die nackte Kanone“ ins Kino. Darin spielt sie eine Femme fatale.