Eine Karriere in der Bundesliga schien für Robert Andrich vorgezeichnet. Doch er stand sich selbst im Weg. Schließlich gelangte er trotzdem nach ganz oben. Und profitiert dabei auch von seinen Erfahrungen.
Den Tag, der nicht nur sein Leben, sondern wohl auch seine Karriere von Grund auf veränderte, hätte Robert Andrich beinahe vermasselt. Es war ein Abend im Oktober 2017, als der damalige Drittliga-Fußballer die Store-Managerin Alicia in Wiesbaden erstmals traf. „Wir haben uns beim Feiern kennengelernt – mehr oder weniger“, sagt Andrich lachend in der Sky-Doku „Meine Geschichte“. Denn dass es sein Abend sein würde, zeichnet sich zunächst überhaupt nicht ab. „Ich bin rausgeflogen aus dem Laden“, erzählt er. Alicia habe ihm dann „irgendwann erzählt, dass ich ein bisschen Stress angefangen habe mit ihrem besten Freund“.
Offene Worte in TV-Dokumentation
Am nächsten Tag schreibt Andrich nichtsahnend über Instagram eine Dame an, die ihm gefällt. „Sie war bei ihren Eltern, die in der Nähe meiner Wohnung wohnten. Ich habe sie als ‚In meinem Umkreis‘ angezeigt bekommen und angeschrieben“, berichtet er offen: „Sie hat dann geantwortet: ‚Ach, kannst du dich also wieder erinnern?‘ Aber ich habe in dem Moment echt nicht gewusst, dass es die von gestern Abend war. Im Nachhinein ist das schon ein bisschen lustig.“
Alicia erinnert sich an die Geschichte heute ebenfalls mit einem Lachen. „Er war leider schon nicht mehr ganz so nüchtern, weshalb er sich am nächsten Tag nicht mehr an unser Gespräch erinnern konnte“, sagte sie zu RTL. Er habe sie über die App „ganz normal angeschrieben – bis ich ihn dann darauf aufmerksam gemacht habe, dass wir uns am vorherigen Abend schon mal gesehen haben.“
Wenn er die Geschichte heute erzählt, werde er oft gefragt, „ob ich nicht ein bisschen aggressiv war und wie der denn einen guten Eindruck gemacht haben kann“, sagt Andrich. „Aber anscheinend war ich dann auf irgendeine Art und Weise doch so sympathisch, dass sie sich doch mit mir treffen wollte.“ Es folgte eine „relativ kurze Kennenlernphase“. Die beiden ziehen zusammen, sind heute verheiratet und zweifache Eltern.
Bis er Alicia trifft, ist Robert Andrich ein Lebemann, der sich als Party-Biest bei der Erfüllung seines Traums von der Fußball-Bundesliga selbst im Weg steht. „Aggressive leader, Raubein, Hitzkopf – ja, das trifft eigentlich alles auf mich zu“, gestand er. Und: „In der Jugend war ich alles andere als ein Musterprofi.“ Das hätte fast den ganzen Traum zerstört.
Dabei war Robert Andrich ganz augenscheinlich sehr talentiert. Mit neun wird der gebürtige Potsdamer bei einer Sichtung von Hertha BSC aus 200 Spielern als einer von zweien ausgewählt. Es geht recht schnell und durchgängig nach oben. Andrich geht sogar nach der zehnten Klasse von der Schule ab, um sich voll auf den Fußball konzentrieren zu können. Als er 18 ist, nimmt ihn der Coach der Profis, Jos Luhukay, mit ins Trainingslager nach Belek. Zwei Monate später bekommt er einen Zweijahresvertrag als Profi. Doch ein Profi-Spiel für die Hertha absolviert er nie. Zweimal sitzt er auf der Bank, wird aber nie eingewechselt. Der schon ins Mittelfeld gerückte Ex-Stürmer gilt nicht nur als vielseitig. Zudem loben alle seine Körperlichkeit und Einstellung auf dem Platz. „In der Jugend war ich immer einer der Kleinsten“, erzählt er. „Ich habe ziemlich lange gebraucht, um einen Schub zu machen und bin erst mit 17 richtig gewachsen. Ich musste mich immer durchkämpfen, weil ich körperlich immer unterlegen war. Das habe ich mir immer beibehalten. Da bin ich froh drum, denn das ist eine Sache, die mich ausmacht.“
„Hätte häufiger mal zuhören sollen“
Dass der große Durchbruch erst mal ausbleibt, liegt wohl an seinem ausschweifenden Nachtleben. Mit 18 zieht er mit zwei Freunden in eine Dreier-WG nach Berlin. „Das war eine sehr, sehr coole Zeit“, sagt er lachend: „Aber sportlich nicht sehr vorteilhaft. Wir waren durchschnittlich dreimal die Woche unterwegs. Das hört sich viel an für jemanden, der Berlin nicht kennt. Aber in Berlin kannst du jeden Abend unterwegs sein. Da wird aus einem entspanntem Champions-League-Abend schnell ein Abend im Club.“
Heute gibt Andrich zu, dass „er sicher zu lange gebraucht hat, bis es im Kopf Klick gemacht hat. Zum Glück hat es aber doch noch funktioniert.“ Aber eben nicht direkt über die Hertha und die Bundesliga, sondern über einige Umwege. Sein Vater habe zwar häufig ein ernstes Wort mit ihm gesprochen, aber er sei zu stur gewesen, um einsichtig zu sein. Heute steht für ihn fest: „Ich hätte häufiger mal hören sollen.“ Zu seiner Sturheit kam noch ein Stück Rebellion. Auch die stand ihm damals im Weg, wie er heute eingesteht. „Bei Hertha wollte ich immer eine eigene Meinung haben und anecken, das ist mir nicht zugutegekommen“, sagt er. „Ich wollte ein Typ sein, ich wollte nicht wie die anderen sein. Sogar, wenn ich der gleichen Meinung war, wollte ich manchmal trotzdem der anderen sein. Ich wollte anecken und Reibung zeigen. Aber das funktioniert nur, wenn du gleichzeitig Leistung bringst.“
Mit 20 wechselt er nach Dresden. Die eineinhalb Jahre dort bezeichnet er trotz eines souveränen Zweitliga-Aufstiegs als „keine einfache Zeit“. Auch, weil er seinen Lebenswandel damals beibehält. „Ich habe es in den anderthalb Jahren in Dresden weiter so durchgezogen. Leider auch sehr, sehr viel“, sagt er: „Der Weg nach Berlin war auch nicht so weit.“
Bei der nächsten Station in Wiesbaden kommen zwei Faktoren zusammen, durch die es in Bezug auf Partys dann „weniger wurde“. Zum einen die Entfernung von rund sechs Stunden nach Berlin. Und zum anderen eben das Zusammenkommen mit Alicia. „Seit ich sie kenne, geht es bergauf. Weiter geht es kaum“, sagt Andrich. „Sie hatte darauf einen sehr großen Einfluss. Sie hält mir den Rücken frei, ist wie ich sehr authentisch. Wir sind einfach ein gutes Team.“
Und tatsächlich: Zu dem Zeitpunkt, als er sie trifft, spielt er in der Dritten Liga mit Wiesbaden gegen Lotte, Meppen oder die Zweite Mannschaft von Werder Bremen. Sieben Jahre später ist er Nationalspieler und EM-Teilnehmer, Deutscher Meister und Pokalsieger, er spielt Champions League und ist Gehalts-Millionär. Wie kam es zu diesem Aufstieg?
Nach zwei knapp gescheiterten Aufstiegen mit Wiesbaden geht Andrich nach Heidenheim. Dort nimmt die Karriere unter Frank Schmidt Fahrt auf. Nach einem Jahr verpflichtet ihn der Bundesliga-Aufsteiger Union Berlin und zahlt drei Millionen. Zwei weitere Jahre später investiert in Bayer Leverkusen ein Spitzenclub derer sechs. Manch einer zweifelt, ob Andrich sich würde durchsetzen können. Doch Sportdirektor Simon Rolfes freut sich auf einen „erfahrenen und etablierten Bundesliga-Profi, der sich auf all seinen bisherigen Stationen kontinuierlich verbessert hat“ sowie einen „Charakter, der vorangehen kann“. Sport-Geschäftsführer und Weltmeister Rudi Völler spricht von „einem wichtigen Transfer“. Er lobt Andrich für seine „sehr gute Spieleröffnung, er ist dazu außerordentlich zweikampf- und laufstark. Seine fußballerische Präsenz wird unserem Team auf dem Platz helfen.“
Ein neuer Vertrag bis ins Jahr 2028
So kommt es. Andrich wird Stammspieler und wichtiger Baustein des Doubles 2024. Als er im Frühjahr gleich bis 2028 unterschreibt, obwohl er dann schon fast 34 sein wird, sagt Trainer Xabi Alonso: „Er verdient diese Vertragsverlängerung. Er ist ein wichtiger Spieler und hatte von meinem ersten Tag an hier einen großen Einfluss.“ Inzwischen hat ihn auch längst Bundestrainer Julian Nagelsmann für sich entdeckt. Dass er die vorhandene Doppel-Sechs mit dem nach rechts versetzten Joshua Kimmich und Leon Goretzka auflöst und dafür Toni Kroos zurückholt und ihm mit Andrich einen „Worker“ zur Seite stellt, gilt als der entscheidende Schachzug Nagelsmanns für den Aufschwung des vergangenen Jahres und eine sehr ordentliche Heim-EM.
Optisch kommt Robert Andrich immer noch wild daher, mit langem Kinnbart, zahlreichen Tattoos und mal weiß, mal pink gefärbten Haaren. Doch er ist auch gezähmt. Er hat nicht nur eine Frau und zwei Kinder, sondern auch vier Hunde. Direkt nach dem Zusammenziehen hätten sie sich den ersten geholt, erzählt er, kurz darauf den zweiten. „Dann haben sie gemacht, was Männchen und Weibchen eben so machen, und da sind vier Welpen bei rausgekommen. Zwei davon haben wir noch.“
Robert Andrich ist einen steinigen Weg gegangen. Aber es war sein Weg. Er ist sich grundsätzlich immer treu geblieben, hat aber auch reflektiert, gelernt und Dinge hinter sich gelassen. Das alles macht ihn zu dem gestandenen Mentalitäts-Spieler, der er heute ist.