Schon seit Zehntausenden von Jahren betrachten die Menschen den Mond mit einer vielfältigen Mischung aus Verehrung, Faszination und Furcht. Eine kleine Kulturgeschichte unseres Erdtrabanten.
Die Kulturgeschichte des Mondes ist (auch) eine Historie der Entzauberung. Nachdem der Erdtrabant über Jahrtausende von mystischen Geheimnissen umweht war und sich sogar Göttergestalten um ihn gerankt hatten, setzte die Entzauberung in dem Moment ein, als man die ersten Teleskope zur Verfügung hatte, um ihn zu betrachten. Vieles von dem, was bis dahin über diesen Himmelskörper bekannt war oder vermutet wurde, warfen sie über den Haufen. Nach Veröffentlichung des Opus „Sidereus Nuncius“ („Sternenbote“) durch Galileo Galilei 1610 hatte der Mond seinen auf Lehren der Antike aufbauenden Nimbus als makelloses und perfekt glattes, gleichsam göttliches Himmelsobjekt endgültig verloren. Stattdessen waren auf den nach Blick durch ein Fernrohr entstandenen Federzeichnungen Galileis Berge, Krater und dunkle Flecken festgehalten worden. Er war fortan nur noch ein ganz normaler Himmelskörper, weshalb der italienische Universalgelehrte in ihm nur noch so etwas wie eine „zweite Erde“ gesehen hatte.
Kein Geringerer als Großmeister Goethe hatte in einem Brief an seinen Kollegen Schiller im Jahr 1800 die fortschreitende Entzauberung des Mondes scharf gegeißelt, weil dadurch den Menschen die Möglichkeit genommen werde, den Zauber des vormals Rätselhaften zu empfinden. Die Rettung mit einer Rückkehr zu allem Sentimentalen sollte mit dem Zeitalter der Romantik anbrechen, die dem drohenden symbolischen Bedeutungsverlust des Mondes kurzzeitig vehement gegensteuerte.
Der Mond in der Prähistorie bis zur Antike
Über viele Jahrtausende blieb der Mond für die Menschen eine Luna incognita. Doch schon in der sogenannten Aurignacien-Kultur des Jungpaläolithikums, sprich der eurasischen Jungsteinzeit, hatten Erdenbewohner ihn vor rund 38.000 Jahren offenbar genau beobachtet und seine Mondphasen in ein Stück Adlerknochen eingeritzt. Als deutlichster Beleg für die frühgeschichtliche Beschäftigung mit den Gestirnen gilt die berühmte, im heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt aufgefundene Himmelsscheibe von Nebra, auf der vor etwa 4.000 Jahren das Firmament mit Sternen sowie einem sichelförmigen Mond festgehalten wurde. Bei dem weiteren runden, güldenen Himmelskörper in der Mitte der Bronzeplatte könnte es sich entweder um die Sonne oder um den Vollmond handeln. Die Forschung geht davon aus, dass die Bronzeplakette später um Motive ergänzt und daher etwa in der Zeit von 1800 v. Chr. in einen sogenannten Lunisolarkalender verwandelt wurde, bei dem Mond- und Sonnenlauf in einem komplexen System miteinander in Einklang gebracht wurden. Das dafür nötige astronomische Wissen könnte aus fremden Landen importiert worden sein. Denn die als Vorläufer geltenden Mondkalender mit zwölf Mondmonaten und einem Zyklus von jeweils 29,5 Tagen waren bereits um 3000 v. Chr. erstmals von den Sumerern, den Bewohnern Mesopotamiens, entwickelt worden und wurden anschließend vom Babylonischen Reich zur Perfektionierung der Landwirtschaft übernommen. Später sollten diese Lunarkalender Vorbilder für den im antiken Griechenland ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. auftauchenden sogenannten Metonischen Kalender und für den im Jahr 638 n. Chr. eingeführten islamischen Kalender werden. In der Antike entstanden in verschiedensten Kulturen Mythen um den Mond, der personifiziert und vergöttert wurde. Im alten Ägypten war es der Mondgott Chons. Die Griechen verehrten Artemis und Selene als Mondgöttinnen, in der römischen Mythologie wurden die beiden Damen in Diana und Luna umbenannt. Bis heute ist in den romanischen Sprachen der Mond daher weiblichen Geschlechts, die Sonne männlich. Nur im Deutschen ist es umgekehrt, da bei den Germanen und der nordischen Mythologie die Göttin Sol oder Sunna den Sonnenwagen lenkt und ihr Bruder Nani das Mondgefährt.
Die lange Zeit vorherrschende Mischung aus Bewunderung und Furcht vor dem Mond, dessen stetige Verdunkelung und Wiedergeburt Raum für allerlei ängstliche Fantasien geschaffen hatte, wurde in griechischen Gelehrtenkreisen mit Beginn des 6. Jahrhunderts v. Chr. durch wissenschaftliche Deutungsversuche abgelöst. Auch wenn ihn der Dichter Aischylos zunächst nur lapidar als „Auge der Nacht“ bezeichnet hatte. Doch dann konnte der Astronom Thales von Milet eine Sonnenfinsternis für das Jahr 585 v. Chr. durch das Vortreten des Mondes vor die Sonne erklären. Zudem hatte er als erster Wissenschaftler erkannt, dass der Mond sein strahlendes Licht der Beleuchtung der Sonne verdankte. Auch über die Substanz des Mondes wurden erste Vermutungen angestellt, wobei bald Einigkeit darüber erzielt werden konnte, dass es sich dabei um eine Mischung aus Äther und Luft handeln musste. Aristarch von Samos war es bereits um 280 v. Chr. gelungen, den Monddurchmesser recht genau zu schätzen. Der noch zu Zeiten von Aristoteles vorherrschenden Meinung, dass die auf der Mondoberfläche entdeckten Flecken Spiegelungen der Erdteile sein könnten, erteilte Plutarch in seinem Opus „Das Mondgesicht“ eine Abfuhr.
Der Mond ab Renaissance und Aufklärung
Während der Mond im Buddhismus als Kraftspender auf dem Weg zur Erleuchtung, im Hinduismus als Sonnengott Soma auf einem Triumphwagen oder im Aztekenreich als Mondgöttin Coyolxauhqui sehr präsent gewesen war, ließ die wissenschaftliche und gesellschaftliche Beschäftigung mit dem Erdtrabanten im europäischen Mittelalter doch arg zu wünschen übrig. Das sollte sich erst infolge der astronomischen Forschungen von Nikolaus Kopernikus, Johannes Kepler und Galileo Galilei sowie der Entdeckung des Teleskops grundlegend ändern. Doch obwohl der Mond danach viele seiner Geheimnisse verlieren sollte, beispielsweise durch die Erstellung immer genauerer Mondkarten ab der Mitte des 17. Jahrhunderts, war noch im 18. Jahrhundert der Irrglaube selbst in Wissenschaftskreisen weit verbreitet, dass der Erdtrabant bevölkert sein musste. Was den weltweiten Erfolg der kapitalen Zeitungsente erklären mag, die von der „New York Sun“ im Jahr 1835 lanciert wurde. In einer sechsteiligen Artikelserie, die die Auflagen des Blattes geradezu explodieren ließ, wurde die Entdeckung von Fledermaus-Menschen mithilfe eines neuen Superteleskops verkündet.
Der Mond in der Literatur
An Matthias Claudius’ Klassiker, seinem „Abendlied“, das 1779 veröffentlicht und später unter dem Titel „Der Mond ist aufgegangen“ vertont wurde, führt natürlich kein Weg vorbei. Weitaus weniger bekannt ist eine ganze Reihe von frühen Science-Fiction-Publikationen aus dem 17. Jahrhundert weit vor Münchhausens Kanonenritt zum Erdtrabanten. Worin Autoren wie Ben Jonson, Francis Godwin oder John Wilkins fantastische Ideen für Reisen zum Mond niedergeschrieben hatten. Auch Cyrano de Bergerac muss hier genannt werden, der seinen Protagonisten im Roman „Les États et Empires de la Lune“ per Feuerwerksantrieb zum Mond katapultieren lässt. In H. G. Wells’ 1901 publizierten Werk „The First Men in the Moon“ wird die Schwerkraft bei der Mondreise durch eine Zaubersubstanz ausgeschaltet. Aber natürlich führt in Sachen Mondmission kein Weg an Jules Verne vorbei, der in seinen 1865 und 1870 publizierten Romanen „Von der Erde zum Mond“ und „Reise um den Mond“ das Abenteuerliche mit den damals neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen verbunden hatte. Der britische Autor Arthur C. Clarke ließ die Handlung seines Romans „Um die Macht auf dem Mond“ 1957 auf dem schon besiedelten Erdtrabanten spielen. Einen Kultstatus unter den Kinderbüchern sollte „Peterchens Mondfahrt“ in der Adaption durch Gerdt von Bassewitz ab 1917 erhalten.
Der Mond in der Kunst
Mit den sogenannten Mondsichelmadonnen, bei denen die Jungfrau Maria meist auf der Mondsichel thronend dargestellt wurde, hatte der Himmelskörper im ausgehenden Mittelalter seinen ersten eindrucksvollen Fußabdruck in Malerei und Skulptur hinterlassen. Der bleiche Mond galt wie die Gottesmutter als Symbol der Unbeflecktheit. Der deutsche Barockmaler Adam Elsheimer hatte auf Basis eigener astronomischer Studien als erster Künstler den Sternenhimmel samt Mond auf seinem 1609 fertiggestellten Bild „Die Flucht nach Ägypten“ nahezu naturgetreu festgehalten.
Doch die mit Abstand bekannteste, geradezu ikonische Wiedergabe des Mondes als leuchtender Fixpunkt für Sehnsucht, Entrückung und Hoffnung in der Dunkelheit hat fraglos Caspar David Friedrich mit seinem romantischen Meisterwerk „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“, einem weiteren Nachtbild mit Vollmond, 1820 geschaffen. Aus Vincent van Goghs „Die Sternennacht“ mit einem butterblumengelben Mond vor tobendem Himmel scheint die Zerrissenheit seiner Seele zu sprechen, schließlich schuf er das Bild während eines zur Behandlung seiner Depressionen erforderlichen Aufenthalts in einem Sanatorium 1889. Bei Werken von Künstlern wie Millet, Manet oder Menzel war der Mond meist ein Garant für vorläufigen Frieden. Wohingegen Wilhelm Kranz den Mond in einem 1919 entstandenen Monumentalgemälde namens „Ideale Mondlandschaft“ als zerklüftete Kraterlandschaft und zugleich als Apotheose der Einsamkeit dargestellt hatte. Beim Betrachten des 1953 entstandenen Bildes „Heuschreckenlied an den Mond“ von Max Ernst dürfte einem ein gruseliger Schrecken über den Rücken laufen.
Der Mond in der Musik
In der Musik mag einem Beethovens Klaviersonate Nr. 14 aus dem Jahr 1801 in den Sinn kommen, weil diese häufig auch als „Mondscheinsonate“ bezeichnet wird. Auch Claude Debussys Klavierkomposition „Claire de lune“ ist weltbekannt. Aber auch neuere Werke kommen sofort in den Sinn wie Frank Sinatras Welthit „Fly me to the Moon“ (1964). Auch Songs wie „Space Oddity“ von David Bowie (1969), „Moonshadow“ von Cat Stevens (1970), „Dancing in the Moonlight“ von King Harvest (1972) oder „Harvest Moon“ von Neil Young (1992) sind bis heute beliebte Klassiker. „Bad Moon Rising“ von Creedance Clearwater Revival (1969) oder Pink Floyds Master-Album-Opus „The Dark Side of the Moon“ (1973) nicht zu vergessen.
Der Mond im Film
Das Medium Film ist seit jeher bestens dafür geeignet, den Mond und das Weltall in Szene zu setzen. Was erstmals mit dem legendären, auf Romanvorlagen von Jules Verne und H. G. Wells beruhenden Stummfilm „Le Voyage dans la lune“ von Georges Méliès aus dem Jahr 1902 bewiesen werden konnte. Seitdem war der Erdtrabant immer wieder auf der Kinoleinwand präsent gewesen in Meisterwerken wie Fritz Langs „Frau im Mond“ (1929), „Endstation Mond“ (1950), „2001: Odysee im Weltraum“ (1968), „Apollo 13“ (1995), „Moon“ (2009), „Iron Sky“ (2012) oder „Aufbruch zum Mond“ (2018).
Moderne Mythen um den Mond
Auch heute noch ranken sich viele Mythen um die Macht des Mondes bezüglich des Lebens auf der Erde und das persönliche Wohlbefinden der Menschen. Doch nichts davon hält wissenschaftlicher Überprüfung stand. Von daher lassen sich weder Stimmungsschwankungen noch Neigungen zum Schlafwandeln, vermeintliche Geburtensprünge oder Schlafstörungen bei Vollmond auf Kräfte des Himmelskörpers zurückführen. Auch die häufig in Mondkalendern, Mond-Apps oder Mondratgebern enthaltenen und an Mondphasen orientierten Empfehlungen für Gartenarbeiten, Friseurbesuche oder Operationstermine sind völlig für die Katz. Und die stetig wiederholte Behauptung, dass die Chinesische Mauer mit freiem Auge vom Mond über die Entfernung von 380.000 Kilometern aus zu sehen sei, ist ebenfalls völlig unzutreffend. Tröstlich immerhin, dass wenigstens die seit 1970 auf dem Markt befindlichen Moonboots direkt von der ersten Mondlandung 1969 inspiriert wurden. Gleiches galt auch die Space-Kreationen von Mode-Designern wie André Courrèges, Paco Rabanne oder Pierre Cardin Anfang der 70er-Jahre.