Wie einen Blattgold im Getränk aus der Bahn werfen kann
Kennen Sie das? Sie sind eingeladen, und zum Essen oder Trinken wird etwas gereicht, von dem Sie nicht sicher sind, ob Sie es runterkriegen werden? Ich war bei einem Empfang, bei dem es zur Begrüßung Sekt gab. Vielleicht handelte es sich auch um Secco, Crémant oder Champagner. Als passionierter Biertrinker interessiere ich mich nicht für solche Unterscheidungen. Natürlich kriege ich auch mal ’nen Schaumwein runter – solange in der Sektschale nichts herumschwimmt, wovon ich befürchte, dass ich es nicht mittrinken kann.
„Was schwebt denn da glitzernd im Sekt herum?“, frage ich einen anderen Gast. „Goldflocken“ antwortet der, als tränke er so etwas täglich. „Da ist tatsächlich alles Gold, was glänzt. Feinstes 22-Karat-Blattgold.“ Dann nötigt er mich, mit ihm anzustoßen. Von Fußballern, die blattgoldverzierte Steaks essen, habe ich gehört. Das wäre auch nix für mich. Aber jetzt ist der erste Schluck schon unten, jetzt habe ich Goldflocken im Körper.
Sowas geht bei mir nicht ohne Kopfkino: Wo geht das Gold in mir drin jetzt hin? Schwebt es erstmal im Magen und Darm herum? Oder im Blut? Mist, in zwei Tagen mache ich eine Flugreise. Komme ich mit mehreren Dutzend Goldflocken im Körper überhaupt noch durch den Metalldetektor? Verdammt, die Leber! Bestimmt setzt sich das Zeug in der Leber ab. Die bunkert doch alles, was eigentlich nicht in einen menschlichen Leib gehört. Wenn meine Verwandtschaft erfährt, dass ich Sekt mit Blattgold konsumiere, geben die mich, falls ich plötzlich ums Leben kommen sollte, nicht mehr zur Organspende frei. Zumindest meine Leber wird dann von der Erbengemeinschaft eingefordert, weil da noch ne halbe Unze Goldflocken drinsteckt.
Ich stelle mir vor: Wenn man regelmäßig Goldflocken-Sekt trinkt, hat man dann irgendwann ein ordentliches Edelmetalldepot in der Leber? Für schlechte Zeiten? Wenn dann der Goldpreis steigt, ist das Organ ruckzuck das Doppelte wert. Und wie war das nochmal: Müsste ich mich nach Goldflockenverzehr von Magneten fernhalten? Es wird nachgeschenkt. Ich kämpfe noch mit mir, ob ich überhaupt einen zweiten Schluck riskieren soll.
Okay, ich vermute, meine Ängste sind irrational. Trotzdem wundere ich mich, dass die meisten Gäste ihre Sektschalen bereitwillig nachfüllen lassen. Vielleicht komme ich ja aus der Bredouille heraus, indem ich eine Diskussion mit den anderen Gästen anzettele, ob es in diesen Zeiten der Kriege und Krisen nicht abgeschmackt sei, Blattgold zu trinken? Aber das könnte die Frage hervorrufen, ob es dann nicht überhaupt unangebracht sei, bei solcher Weltlage sorglos Sekt schlürfend auf Empfängen rumzuhängen, egal ob mit oder ohne Blattgold drin.
Herrje, fällt mir da ein: Und wenn die Leber das Zeug nicht einlagert? Dann müssen die Flocken ja irgendwann irgendwo wieder raus aus dem Körper. Tut das Edelmetall das dann verdauungstechnisch gesehen als Getränk oder als Nahrungsmittel? Wahrscheinlich als Letzteres, denn, wie mir einer der Gäste erzählt, weist die EU offiziell Blattgold als Nahrungsmittel-Zusatzstoff mit der Normnummer E175 aus. Das beruhigt mich nur ansatzweise.
Stattdessen frage ich den Gast, der sich offensichtlich mit Goldflocken auskennt, ob wir nicht eine Flasche von dem Zeug stibitzen, durch einen Kaffeefilter seihen und die so gewonnen Goldnuggets gegen einen Kasten Bier eintauschen sollten? Ich muss erfahren, dass der Wert aller Flocken einer Flasche zusammengenommen deutlich unter einem Euro liegt. Also sooo edel wie es aussieht, ist das Getränk nun auch wieder nicht.
Da kommt der Gastgeber auf mich zu. Er kennt mich, sieht die noch fast volle Sektschale in meiner Hand und raunt mir zu: „Soll ich dir ein Bier holen?“ Das Bier prickelt goldgelb im Glas. Tja, ich muss doch zugeben: Das Auge trinkt mit.