Hertha BSC verabschiedet sich mit einem Sieg aus der Bundesliga – der eigentliche Abstiegskampf scheint jedoch jetzt erst bevorzustehen.
Im blau-weißen Teil Berlins dürfte man froh gewesen sein über den „Stadl“ beim FC Bayern München, denn die Schlagzeilen um den Rekordmeister hatten im Verlauf der Woche vor dem letzten Spieltag langsam jene über Hertha BSC verdrängt. Noch am Montag nach dem 1:1 gegen den VfL Bochum, das den sicheren Abstieg bedeutete, hatte es so selbst Marvin Plattenhardts „Fehltritt“ bei Instagram noch zu einer Meldung geschafft: Ausgerechnet der Kapitän hatte auf seinem Account eben keine Worte zum bitteren sportlichen Ende eingestellt – sondern eine Werbung für Pistazienmilch, die er offenbar gerade mit seiner Ehefrau auf den Markt gebracht hat. Um den in der Folge anschwellenden Shitstorm unter Kontrolle zu bekommen, formulierte der 31-Jährige eine Entschuldigung. Eine zwar kleine, aber doch bezeichnende Geschichte, die den „Mindset“ einiger Akteure bei Hertha BSC im Abstiegskampf selbst nachträglich noch in ein trübes Licht setzt. Pal Dardai hatte dann für die bedeutungslose Begegnung gleich auf sieben Positionen Veränderungen zur Woche davor veranlasst – Plattenhardt gehörte dabei allerdings zu den Spielern, die neu in die Startelf rückten. Unter ihnen weitere gestandene Profis wie Marc Kempf, Jean-Paul Boetius, Florian Niederlechner und Jessic Ngankam – aber mit Torwart Tjark Ernst (Sohn des ehemaligen BL-Torwarts Thomas Ernst) und Verteidiger Pascal Klemens auch zwei Debütanten.
Plattenhardts Instagram-Panne
Nach dem schnellen Gegentor zum 0:1-Rückstand in der zweiten Spielminute blieb die zu befürchtende nächste Auswärtspleite in der Folge jedoch aus. Zum einen geschuldet der schlechten Chancenverwertung der Hausherren, zum anderen der starken Vorstellung des Youngsters zwischen den Pfosten des Hertha-Tors. So gelang nach einer Leistungssteigerung im zweiten Durchgang sogar noch der zweite Auswärtssieg der Saison – fast neun Monate nach dem 2:0-Erfolg in Augsburg. Den Ausgleichstreffer in der zweiten Halbzeit besorgte dabei zunächst der eingewechselte Ibrahim Maza, der 17-Jährige avancierte damit gleich zum jüngsten Torschützen in der Bundesligageschichte von Hertha BSC. Marco Richter gelang dann das 1:2 rund 20 Minuten vor dem Ende mit einem sehenswert platzierten Schuss ins lange Eck, während Ernst in den letzten Minuten noch gegen Marmoush und Bornauw einen Wolfsburger Treffer verhindern konnte – wodurch der VfL in der Endabrechnung auf Platz acht sogar noch den internationalen Wettbewerb verpasste. Erfreuliche Debüts, ein spektakuläres Tor, ein Auswärtssieg am letzten Spieltag – beinahe wäre man also versucht, von einem „versöhnlichen Abschluss“ zu sprechen. Doch die – zum größten Teil in einem Autokonvoi aus der Hauptstadt – mitgereisten Fans sorgten durch den Einsatz von Pyrotechnik, Böllern und Transparenten mehrfach dafür, dass die wahre sportliche Situation nicht in Vergessenheit geriet.
Mit dem auch rechnerisch nicht mehr möglichen Klassenerhalt hatte sich der Blick der Öffentlichkeit sogleich auf die Perspektiven der „Alten Dame“ konzentriert – und die geht bekanntlich weit über die reine Kaderplanung für die 2. Liga hinaus. Sicher sind besonders die Meldungen über die Transfers der von Hertha bislang verliehenen Spieler Omar Alderete (FC Getafe/Spanien) und Santiago Ascacíbar (Estudiantes/Argentinien) durchaus als Erfolg zu bewerten. Auch Stevan Jovetic (auslaufender Vertrag) sowie Chidera Ejuke und Ivan Sunjic (jeweils Leihende) verlassen die Hertha, was zu einer weiteren Entlastung der Gehaltsausgaben führt – das alles aber ist bloß der berühmte Tropfen auf den heißen Stein.
Liquiditätslücke von 20 Millionen Euro
Manchem Fan von Hertha BSC mag vielmehr erst jetzt, da die missliche Finanzsituation öffentlich in immer mehr Details ausgebreitet wurde, wirklich klar geworden sein, dass die Lizenz für die 2. Liga aktuell keine Selbstverständlichkeit ist. Spätestens das Bekanntwerden des Schachzugs, die ursprünglich zum November erforderliche Rückzahlung der 40-Millionen-Euro-Anleihe für zwei Jahre aufzuschieben, macht die akute Not offensichtlich. In einem Schreiben an die Gläubiger wurde dabei mehr oder weniger unumwunden deutlich gemacht, dass im Fall des Nichterreichens der mehrheitlichen Zustimmung ein Totalausfall der Einlagen drohe – und damit auch ein Lizenzentzug für Hertha BSC. Ein zwar in solchem Fällen auch in der Wirtschaft nicht unüblicher Wink mit dem Zaunpfahl, aber für einen Fußballverein schon die Offenbarung, dass der sportliche Abstieg im Ernstfall auch direkt bis in die Regionalliga Nordost führen könnte. In diesem Zusammenhang ließ Hertha BSC auch verlautbaren, dass dies nur das Kernstück erforderlicher Maßnahmen sei, um die Wirtschaftlichkeit bis zum Stichtag 7. Juni nachweisen zu können. Denn die Deutsche Fußball-Liga (DFL) verlangt von den Berlinern mehr bezifferbare Sicherheiten, ihr schwebte eher eine Bankbürgschaft des neuen Investors für die Anleihe als Lösung vor. Doch „777 Partners“ hielt sich bis zuletzt diesbezüglich bedeckt – andererseits wäre schwer vorstell- und auch vermittelbar, dass die US-amerikanische Private-Equity-Gesellschaft ihr brandneues „Investment“ in dieser Situation absaufen ließe. Trotz alledem hat „777 Partners“ die versprochene Summe von 100 Millionen Euro nicht in einer Zahlung überwiesen, sondern dem Vernehmen nach nur eine Tranche nicht einmal in Höhe der zunächst kolportierten 35 Millionen gegeben. Dazu muss der Verein neben der Klärung der Anleihefrage noch eine Liquiditätslücke in Höhe von 20 Millionen Euro bis zum genannten Stichtag schließen. Es bleibt also bis zum Ablauf der Frist in finanzieller Hinsicht eine Operation am offenen Herzen mit unsicherem Ausgang. In dieser Saison rächte es sich bekanntlich sportlich am Ende, dass die Lage lange Zeit zu rosig und optimistisch eingeschätzt worden war – am Ende stand der Abstieg. Alle, die es mit den Blau-Weißen halten und sich beim besten Willen nicht vorstellen können, dass die Alte Dame die Lizenz für die 2. Liga verweigert bekommt und somit ins „Bodenlose“ abstürzt, sollten also zumindest gewarnt sein.