Die Nachbarn tun sich schwer mit Deutschland. Der Wahlkampf in Polen war streckenweise geprägt von antideutschen Tönen. Ähnliche Stimmungsbilder gibt es auch in Frankreich. Das dürfte auch den Europawahlkampf im kommenden Jahr prägen.
Der Deutsche mit Pickelhaube, Tanzen nach der deutschen Pfeife, Politik à la Bismarck, die Rede vom deutschen Komplott und so weiter: Die französischen Rechts- und Linksextremisten spielen auf der Klaviatur des Bilds vom hässlichen Deutschen, wie es jeweils ins politische Kalkül einer Marine Le Pen oder eines Jordan Bardellas vom Rassemblement National oder eines Jean-Luc Mélenchon vom Linksbündnis La France Insoumise passt. Und die AfD in Deutschland klatscht Beifall.
Gefährdet der Extremismus in beiden Ländern die von den etablierten Parteien so viel beschworene deutsch-französische Freundschaft und damit Europa? Und wie gehen junge Deutsche und Franzosen damit um? Dr. Landry Charrier, Historiker, Forscher und Leiter der traditionsreichen deutsch-französischen Zeitschrift „Dokumente“, sagt, dass ein Teil Frankreichs durchaus ein Problem mit Deutschland habe. Und Andreas Speit, „taz“-Redakteur und Autor zahlreicher Artikel über den Extremismus, sieht eine sinkende Hemmschwelle in beiden Ländern, rechtsextrem zu wählen, befeuert durch die aktuellen Krisen und zunehmende Parteienverdrossenheit. Es sei eine gefährliche nationalistische Gemengelage, die mehr als nur ein Lackmustest für die Europawahlen im Juni 2024 sei.
Viele haben ein Problem mit Deutschland
Wie also umgehen mit dem Extremismus und Rechtspopulismus? Darüber diskutierten rund 20 junge Menschen aus Deutschland und Frankreich drei Tage lang in der Europäischen Akademie Otzenhausen auf Einladung der Asko Europa Stiftung, des Ökologischen Bundesfreiwilligendienstes und des Paritätischen Freiwilligendienstes Rheinland-Pfalz/Saarland im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben“.
Ziel war, den jungen Menschen einen Argumentationsleitfaden gegen Extremismus an die Hand zu geben, damit sie als Multiplikatoren helfen, demokratiefeindliche Einstellungen abzubauen. Für die 18-jährige Cécile aus Paris war die Teilnahme schon deshalb wichtig, weil es das erste grenzüberschreitende Argumentationstraining gegen derartige Einstellungen für sie überhaupt war. Für Albert, 23, aus Berlin ging es vor allem darum, herauszufinden, wie man den Ängsten der Menschen am besten begegnen kann. Und für den Soziologiestudenten Marc, 25, aus Straßburg war es unerträglich, wie die Rechte inzwischen die gesellschaftlichen Probleme für ihre Zwecke instrumentalisiere. Ähnlich die Argumentation Jessicas, 26, aus Ludwigshafen, die erkannt hat, dass die Extremisten sich zunehmend stärker die realen Probleme wie Nachhaltigkeit und Ökologie zunutze machen und in ihre Sicht der Dinge verwandeln.
Gerade die AfD beherrsche das Instrumentarium der Manipulation inzwischen aus dem Effeff, warnte Andreas Speit. „Die sitzen heutzutage als wissenschaftliche Mitarbeiter in den Parlamenten, akademisch, rhetorisch bestens geschult. Längst vorbei die Zeiten, in Björn-Höcke-Manier vor dem Mikro lediglich nationalistische Parolen rauszuposaunen. Und das macht sie so gefährlich, denn die Rhetorik und Wortwahl verfangen zunehmend mehr in der Mitte der Gesellschaft“, so Speit weiter. Die Angst vor dem sozialen Abstieg, die aktuellen Krisen, der Sündenbock EU, die Flüchtlinge, das Elitentum der etablierten Parteien spielen den Rechtsextremisten in die Karten. Fachleute sprechen von der Normalisierung der extremen Positionen. Die Hemmschwelle, rechte Parolen rauszuhauen und sich dazu zu bekennen, sinke zusehends und gehe einher mit der Verrohung der Gesellschaft. „Einfache Lösungen anzubieten auf schwierige Probleme unserer Zeit, die Präsenz vor Ort als Kümmerer, das Kumpelhafte, das verfängt bei immer mehr Menschen“, so Andreas Speit.
Frankreich ist beim „Entteufeln“ des Extremismus den Deutschen ein paar Jahre voraus. Denn dort hat Marine Le Pen dem Rassemblement National (RN) schon längst einen Normalisierungskurs, eine Art Entdämonisierung, verordnet. Die Namensänderung der Partei, die Distanzierung von ihrem Vater Jean-Marie Le Pen als rechtsradikaler ewig gestriger Haudegen, die professionelle Präsenz der Partei in den sozialen Netzwerken und in zahlreichen Fernsehsendungen, die verstärkte Authentizität und der latent geschürte Hass auf den Präsidenten machen den RN in den Augen vieler Franzosen wählbar. Landry Charrier warnte bereits vor den Folgen im kommenden Jahr, denn die Franzosen betrachten die Europawahlen als nationale Wahl, um den ungeliebten Emmanuel Macron abzustrafen. Ein Ritual, das sich seit den Präsidenten Chirac, Sarkozy und Hollande regelmäßig wiederholt. In jüngsten Umfragen des Meinungsforschungsinstituts IFOP liegt der Spitzenkandidat und Vorsitzende des RN, Jordan Bardella, mit 28 Prozent weit vor den Macronisten mit 20 Prozent. „Rechnet man das Linksbündnis sowie das rechte Lager Reconquête um Eric Zemmour dazu, dann wählt jeder zweite wahlberechtigte Franzose extremistisch und damit europafeindlich und vor allem anti-deutsch“, betonte Charrier.
Der Umgang mit Deutschland sei trotz aller Beteuerungen zur deutsch-französischen Freundschaft immer schwierig gewesen, auch wenn viele Politiker in beiden Ländern das anders sehen. Für die Teilnehmerinnen Luca, 18, aus Brandenburg und Annika, 24, aus Nordrhein-Westfalen ist Frankreich geografisch gesehen weit weg und die deutsch-französische Freundschaft spiele dort eh keine große Rolle.
Europawahl als echte Richtungswahl
„Die Freundschaft unserer beiden Länder ist nicht in Stein gemeißelt und muss immer wieder neu gelebt werden“, warnte Charrier. Der Historiker bemüht dafür gerne die Geschichte und spricht vom Trauma der militärischen Niederlagen 1870 und 1940 für die Elite in Frankreich. Aber man muss in der Geschichte beider Länder gar nicht so weit zurückgehen. Der Umgang mit der Eurokrise, der deutsche Vorwurf der Reformunfähigkeit Frankreichs, das Belächeln der so schwierigen Rentenreform in unserem Nachbarland, das Bild der arroganten Frau Merkel in der französischen Presse, die unverstandene Rede Macrons zur Souveränität Europas ohne deutsche Reaktion, die unterschiedliche Energiepolitik, die willkürlichen Grenzschließungen in der Coronakrise oder der Hickhack um eine europäische Sicherheitspolitik mit Deutschland als größter Armee: Das alles schürt die Germanophobie.
Das Bild von einem Deutschland, das wieder eine Gefahr für Europa darstellt, hat sich schließlich auch die nationalkonservative PiS-Partei Polens im Wahlkampf zu eigen und die Feindbilder Deutschland und Brüssel/EU für alles Schlechte verantwortlich gemacht. Der RN macht auch gar keinen Hehl daraus, Deutschland eher als Problem statt Freund zu sehen: Adieu deutsch-französische Freundschaft. In die gleiche Kerbe haut auch Jean-Luc Mélenchon, der immer wieder gerne das Bild vom „deutschen“ Europa vermittelt. Mag das Bild des hässlichen Deutschen aktuell weniger präsent sein, liegt das einfach daran, dass Frankreich wirtschaftlich momentan bessere Daten liefert. Eine Genugtuung für die geschundene Seele der Grande Nation, sagt Landry Charrier.
Die Polarisierungstendenzen und das Bedienen von Ressentiments werden seiner Meinung nach bei den kommenden Wahlen eine zunehmende Rolle spielen. Die Folgen wären noch mehr Hass, noch mehr Hetze, noch mehr Spaltung. Eine Richtungswahl könnten die Europawahlen werden – nicht unbedingt im Hinblick auf das Ergebnis, sondern darauf, wie der Wahlkampf geführt wird: eine „Amerikanisierung“ mit unbändigem Personenkult und nationalistischen Parolen. Alle demokratischen Parteien in Frankreich und Deutschland sind aufgefordert, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen und die gesellschaftlichen Probleme endlich beim Namen zu nennen, anstatt sie schönzureden. Man darf gespannt sein, wie lange die Brandmauern der etablierten zu den rechtsextremen Parteien noch halten.