Gleich drei Dutzend Klimarisiken bedrohen Energie- und Ernährungssicherheit, Ökosysteme, Infrastruktur, Wasserressourcen sowie die Gesundheit der Menschen – mit dem höchsten Tempo weltweit. Die EU-Umweltagentur vermisst „entschlossenere Maßnahmen“.

Von Spanien bis Österreich, im Saarland wie in Bayern: Extreme Klimaereignisse setzen seit Jahren Ökosystemen, Bevölkerungen und der Wirtschaft in Europa schwer zu. Und so manche von ihnen werden, Zuordnungsstudien zufolge, infolge des menschengemachten Klimawandels immer wahrscheinlicher beziehungsweise gravierender. „Jahrhundert“-Ereignisse schwingen sich zum neuen Normal auf. Ihre Auswirkungen können zu sogenannten Risikokaskaden führen, also von einem System auf andere Systeme übergreifen.
„Wenn wir keinen Beitrag leisten, die globale Erderwärmung einzudämmen, dann werden wir als politische Generation gescheitert sein“, so kommentierte Robert Habeck als scheidender Wirtschafts- und Klimaminister die im März 2025 vorgelegten Zahlen des Umweltbundesamts in einem Video. „Die Klimalücke, die ich geerbt habe, betrug 1.200 Tonnen CO₂-Äquivalente für die Jahre 2021 bis 2030. Die haben wir abgetragen und noch einen Puffer für die nächsten Regierungen erarbeitet.“ Das hieße, Deutschland könnte jetzt die Klimaziele bis 2030 erreichen. „Das erste Mal“, so Habeck.
Doch es klaffen in einigen Sektoren so große Lücken, dass die unerlässliche Eindämmung von erderhitzenden Emissionen und Umweltzerstörung auch in Deutschland auf wackeligen Füßen steht. Zudem ist die Erderwärmung vor allem in Europa bereits so weit fortgeschritten, dass die vertraute Geborgenheit zwischen verlässlich wechselnden, relativ milden Wetterlagen sogar in den eigenen vier Wänden nicht mehr unbedingt gegeben ist.
Europa erwärmt sich laut Europäischer Umweltagentur EEA zweimal so schnell wie der globale Durchschnitt. Und das schon seit den 1980er-Jahren. Auf diesem Kontinent ist es daher auch dringend nötig, sich „reinzuknien“, wie Habeck sagt, um Klimaschäden zu begrenzen. Die Klimaneutralität ist mit dem „Sondervermögen Infrastruktur“ im Grundgesetz nun auch namentlich verankert worden.
Okölogischer Wandel der Industrie muss beschleunigt werden

Viele konkrete Folgen des Klimawandels machen den Menschen und ihrer Umwelt schon jetzt massiv zu schaffen. Geld und andere Maßnahmen sollen Schlimmeres verhindern, nachdem menschliche Verhaltensweisen im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten, besonders auch in Europa, massiven Schaden angerichtet haben.
Dem jüngsten Monitoring-Bericht der Europäischen Umweltagentur von Februar 2025 zufolge ist die Europäische Union nur teilweise auf dem richtigen Weg, um die Klima-, Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele der EU für 2030 zu erreichen. So etwa bei der Reduzierung der Luftverschmutzung und der Treibhausgasemissionen sowie der Förderung grüner Finanzierungen. Es seien „entschlossenere Maßnahmen“ erforderlich, um die Kreislaufwirtschaft anzukurbeln, den rückläufigen Trend bei der biologischen Vielfalt umzukehren und den Verbrauchs-Fußabdruck der EU zu verringern.
EEA-Exekutivdirektorin Leena Ylä-Mononen betont in einem Editorial auf der EU-Website der Europäischen Umweltbehörde Mitte März 2025: „Unsere Umweltdaten sind nicht nur abstrakte Zahlen. Sie sind durch häufigere extreme Wetterereignisse, steigende Lebensmittelpreise und zunehmende Gesundheitsrisiken spürbar.“ Die EEA-Expertin verweist mit Blick auf aktuelle Politiken darauf, dass die europäische Wirtschaft und Gesellschaft bereits unter dem Druck der sogenannten dreifachen planetarischen Krise aus Klimawandel, Verlust der biologischen Vielfalt und Umweltverschmutzung stehe.

Der „Clean Industrial Deal“ ziele darauf ab, den ökologischen Wandel der europäischen Industrie zu beschleunigen und sicherzustellen, dass Klimaneutralität mit wirtschaftlicher Stärke einhergeht. Zur „Simplification Agenda and Omnibus Package Aim“ betont Ylä-Mononen, dass Vereinfachung jedoch nicht mit Deregulierung verwechselt werden dürfe. Strenge Umweltstandards seien keine Hindernisse für die Wettbewerbsfähigkeit, sondern Schutzmaßnahmen, die nachhaltige Geschäftsmöglichkeiten und Wachstum sicherstellten. Die EEA-Exekutivdirektorin: „Insgesamt unterstreicht der ‚Competitiveness Compass‘, wie wichtig es ist, die globale wirtschaftliche Position Europas zu erhalten und gleichzeitig den ökologischen und digitalen Wandel zu bewältigen.“ Investitionen in saubere Technologien, die Wiederherstellung der Natur und die Reduzierung der Umweltverschmutzung schützten nicht nur die Ökosysteme, sondern förderten auch Innovationen, schafften Arbeitsplätze und stärkten die strategische Autonomie Europas.
Schauen wir auf den Umgang des EU-Mitgliedstaats Deutschland mit den Hauptklimarisiken: Die 100 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds bedeuteten zusätzlich zu neuen Infrastrukturmitteln die bislang größte finanzielle Zusicherung für den Klimaschutz in Deutschland, so kommentierte Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energien, den Bundestagsbeschluss. „Sie ermöglichen zukunftsorientierte Ausgaben in Klimaschutztechnologien, Energienetze und die Energiewende insgesamt.“ Mit der Aufnahme des Ziels der Klimaneutralität bis 2045 für die Ausgaben des Sondervermögens sei einmal mehr bestätigt, dass es keiner neuen Zieldebatten bedürfe.
Die Ergebnisse als „letzter Weckruf“

Das Wissen für die notwendigen Politikstrategien ist da. „Unsere neue Analyse zeigt, dass Europa mit dringenden Klimarisiken konfrontiert ist, die schneller zunehmen als unsere gesellschaftliche Bereitschaft“, betonte EEA-Exekutivdirektorin Leena Ylä-Mononen, als die Europäische Umweltagentur (EEA) ein Jahr vor der grundgesetzlichen Geldfreigabe ihren ersten Bericht zur Bewertung des Klimarisikos für Europa (EUCRA) vorlegte. „Um die Widerstandsfähigkeit unserer Gesellschaften zu gewährleisten, müssen europäische und nationale Entscheidungsträger jetzt handeln, um Klimarisiken sowohl durch rasche Emissionssenkungen als auch durch starke Anpassungsstrategien und -maßnahmen zu reduzieren.“
Angesichts des Tempos, mit dem sich die klimatischen Auswirkungen zeigen, bezeichnete Ylä-Mononen die EUCRA-Ergebnisse als „letzten Weckruf“. Die Wissenschaftler ermittelten für ihre Behörde 36 Klimarisiken mit potenziell schwerwiegenden Folgen in ganz Europa. Sie bewerteten Risiken hinsichtlich des politischen Zeithorizonts, mit Vorlaufzeit und Entscheidungshorizont, der politischen Bereitschaft sowie der Risikoverantwortung. Auf der Grundlage einer strukturierten Risikobewertung, die Aspekte wie soziale Gerechtigkeit berücksichtigt, stellt die Analyse Prioritäten für politische Maßnahmen der EU heraus.
Die EU-Behörde hatte sich beeilt, um diese Bewertung, die anerkannte wissenschaftliche Analysen zusammenträgt und ergänzt, in nur eineinhalb Jahren auch als Wegweiser zu erstellen. EUCRA baut auf den neuesten Berichten des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC), des Copernicus-Dienstes zur Überwachung des Klimawandels (C3S) und der Gemeinsamen Forschungsstelle (JRC) der Europäischen Kommission sowie den Ergebnissen EU-finanzierter Forschungs- und Entwicklungsprojekte und nationaler Klimarisikobewertungen auf.
Die Verfasser des fast 400 Seiten starken Bewertungstexts zu europäischen Klimarisiken merken allerdings an, dass beispielsweise klimabedingte Risiken im Zusammenhang mit der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU, einschließlich der Risiken einer unkontrollierten Massenmigration und geopolitischer Risiken, nicht oder nur teilweise berücksichtigt werden konnten. Ebenso Klimarisiken, die überwiegend von privaten Akteuren gesteuert werden.

Zur Analyse im Bewertungsprozess gehörte etwa die Frage: „Wie schwer wiegt ein Risiko im Laufe der Zeit?“ So wurden die Hauptklimarisiken für Europa ermittelt und analysiert. Außerdem bestimmen die Ergebnisse, wie dringend es jeweils ist, zu handeln.
Die 36 Hauptklimarisiken für Europa wurden in die fünf großen Cluster Ökosysteme, Lebensmittel, Gesundheit, Infrastruktur sowie Wirtschaft und Finanzen unterteilt. Jedes dieser Risiken soll erhebliche Umweltschäden, wirtschaftliche Schäden, soziale Notlagen und politische Turbulenzen zur Folge haben, wenn nicht ausreichend gegengesteuert wird. Ihre kombinierten Auswirkungen seien sogar noch schwerwiegender. Das analysiert EUCRA analog zu einem systematischen Risikobewertungsverfahren. Von den 36 Hauptrisiken könnten in diesem Jahrhundert nahezu alle ein kritisches oder sogar katastrophales Ausmaß erreichen. In der Bewertung wurden drei weitere Hauptklimarisiken identifiziert, die EU-Gebiete in äußerster Randlage betreffen.
Acht der 36 EUCRA-Hauptklimarisiken für Europa haben besonders dringenden Handlungsbedarf. Insgesamt müssen bei 21 Risiken sofort Maßnahmen ergriffen werden. Zumal Klimarisiken quasi ansteckend sind, also auf andere Systeme übergehen. Ein Beispiel für eine solche Risikokaskade ist die Gesundheit: Klimaauswirkungen aufs Wohlbefinden der Menschen können sich auf die Arbeitsproduktivität und damit auf die Wirtschaft ausdehnen. Ein anderes Beispiel ist die Infrastruktur: Wenn das Klima kritische Infrastrukturen wie Energie-, Wasser- oder Verkehrsinfrastrukturen beeinflusst, hat das – laut EUCRA – Folgen für fast sämtliche Aspekte der Gesellschaft: von der menschlichen Gesundheit bis hin zur Gesamtwirtschaft und dem Finanzsystem.
Noch Hoffnung trotz Alarmstufe „Rot“

Bedenklich erscheint, dass in Europa in den zurückliegenden Jahren viele langfristige Klimarekorde gebrochen wurden. Mehr und stärkere klimatische Gefahren bedrohen den Kontinent. Darunter Hitzewellen und langanhaltende Dürren, Starkniederschläge mit Überschwemmungen sowie der in Europa immer schnellere Anstieg des Meeresspiegels, der zur Überschwemmung von Küstengebieten führt. Das Risiko von Sturmfluten, Küstenerosion und einer Versalzung des Grundwassers steigt. Ökosysteme oder auch Küstenstädte sind deshalb stark gefährdet. Die Tendenz zu katastrophalen Überflutungen in weiten Teilen Europas dürfte auch durch extreme Niederschläge in einem immer wärmer werdenden Klima weiter zunehmen.
Mit der extremen Erwärmung kommt es auf weiten Flächen zu Waldbränden. Dem EUCRA-Bericht der Europäischen Umweltagentur zufolge kann die große Hitze zu kritischen Infrastrukturausfällen, Stromausfällen und erheblichen Auswirkungen auf die Gesundheit und die Wirtschaft führen. Wenn sich die Dürren künftig in großen Regionen Europas über mehrere Jahre zu halten drohen, werden sie laut Europäischer Umweltagentur in vielen Sektoren große wirtschaftliche Schäden anrichten. Sie könnten die Wasserressourcen, von denen Menschen, Landwirtschaft, Industrie, Kraftwerke, der Flussverkehr und Ökosysteme abhängig sind, „erheblich beeinträchtigen“.
Doch es gibt, trotz Alarmstufe „Rot“, noch Handlungsmöglichkeiten. Neuesten Ziel-Bewertungsberichten der EEA vom ersten Quartal 2025 zufolge wären in der EU viel stärkere Maßnahmen erforderlich, um die Ziele zur Verringerung der Umweltverschmutzung bis 2030 zu erreichen. Die Grundsätze der Null-Schadstoff-Politik müssten in alle politischen Maßnahmen und Bemühungen auf allen Ebenen integriert werden, um weitere Fortschritte zu erzielen. In diesem Zusammenhang werde die Förderung der Kreislaufwirtschaft in der EU dazu beitragen, den Ressourcenverbrauch zu senken und den Druck auf die Ökosysteme und die menschliche Gesundheit zu verringern. Schließlich würden Maßnahmen zur Null-Schadstoff-Politik, insbesondere durch den „Zero Pollution Action Plan“, den nachhaltigen Wandel der EU-Wirtschaft unterstützen und sie wettbewerbsfähiger machen.