Der neue Trainer an der Seite von Novak Djokovic ist fast so berühmt und an Titeln dekoriert wie der Tennisstar selbst. Aber wie kann Andy Murray dem einstigen Dominator im Kampf gegen die Jungstars helfen?
In Sachen Humor darf vom prominentesten Spieler-Trainer-Duo im Profitennis auf jeden Fall viel erwartet werden. Kurz nach Bekanntgabe der spannenden Partnerschaft postete der Serbe Djokovic in den sozialen Medien ein Bild von sich beim Formel-1-Rennen in Katar, das der Brite Murray sofort öffentlich kommentierte: „Sollte eigentlich auf dem Trainingsplatz stehen.“ Djokovics Antwort darauf? „Sorry, Coach. Ich werde bald zurück sein.“ Keine Frage: Die Chemie zwischen den beiden Topstars stimmt, aber das ist auch keine Überraschung. Seit Jahren sind sie trotz der großen sportlichen Rivalität befreundet, Murray war gar Trauzeuge, als Djokovic 2014 seine damals schwangere Langzeitfreundin Jelena heiratete. Jetzt werden aus den Freunden, die sich einst in epischen Tennis-Schlachten duelliert haben, Partner. Nachdem Murray seine Karriere nach den Olympischen Spielen in Paris beendete, nahm Djokovic den Briten als seinen Trainer ins Team auf. Begrenzt ist die Vereinbarung zunächst auf die Vorbereitung auf die neue Saison und die am 12. Januar beginnenden Australian Open in Melbourne.
„Dieselben Erfahrungen wie ich“
„Ich habe für mich festgestellt, dass der perfekte Coach für mich in der jetzigen Situation jemand wäre, der dieselben Erfahrungen gemacht hat wie ich“, erklärte Djokovic. „Im besten Fall ein mehrmaliger Grand-Slam-Gewinner, eine ehemalige Nummer eins.“ Schnell kam der 37-Jährige bei seinen Überlegungen auf den Namen Andy Murray– und er überraschte diesen mit seiner Idee. „Ich habe Andy ein bisschen auf dem falschen Fuß erwischt“, berichtete der 24-malige Grand-Slam-Turniergewinner. Doch Murray sagte schließlich zu, und die ganze Branche ist gespannt auf das Duo „Djokorray“.
„Es ist so, als würde man gegen beide spielen“, sagte Spaniens Tennisstar Carlos Alcaraz mit einem Lächeln. Der frühere britische Topspieler Tim Henman vermutete zunächst einen Witz. „Als ich es im Internet gesehen habe, musste ich erst mal das Datum checken, um sicherzugehen, dass es kein April-Scherz ist“, sagte Murrays Landsmann. Doch inzwischen sei er von der Idee überzeugt: „Andy war immer ein großartiger Taktiker, ich bin mir sicher, dass neuer Input Djokovic motivieren kann.“ Dafür brauche es aber eigentlich kein Taktik-Getüftel, meint der russische Weltranglisten-Achte Andrej Rubljow: „Djokovic weiß alles über Tennis, er versteht es besser als jeder andere. Vielleicht spürt er etwas anderes an der Seite seines Freundes und erscheint frischer und motivierter.“
Motivation – das scheint das Schlüsselwort für Djokovic in der neuen Saison zu sein. Dass ihm die Jungstars Alcaraz (21) und Jannik Sinner (23) im Vorjahr alle Titel bei den vier Grand-Slam-Turnieren weggeschnappt hatten, nagt am Selbstbewusstsein des früheren Dominators. „Wenn ich meine Saisons vergleiche, war diese eine der schlechtesten Saisons in Bezug auf die Resultate“, sagte der Serbe. Einzig die Erfüllung seines Gold-Traums bei Olympia in Paris machte die Bilanz zumindest nicht komplett desaströs. Es sei zwar absehbar gewesen, „dass ich irgendwann keine Grand Slams mehr gewinne und nicht mehr so viele Jahre in Folge auf höchstem Niveau spiele“, sagte Djokovic. Aber dass es dann doch so schnell passierte, überraschte auch ihn. Dass Roger Federer 2022 sowie Murray und Rafael Nadal 2024 zurückgetreten sind, macht Djokovic bewusst: Die Zeit läuft auch gegen ihn.
„Ich bin ein bisschen traurig, weil meine größten Rivalen aufgehört haben“, gab Djokovic zu. Doch er betonte auch: „Aber ich suche weiter nach Motivation.“ Eine davon ist der Coach Murray, dem er allein bei den Australian Open vier Final-Niederlagen zugefügt hatte. „Jetzt arbeite ich mit einem neuen Trainer zusammen, der einer der größten Rivalen ist, die ich je im Leben hatte“, sagte der „Djoker“. „Diese neue Zusammenarbeit spornt mich an zu sehen, ob wir in unserem Sport noch Großes erreichen können.“ Seine oberste Priorität sei es, „zu spielen und einen Grand Slam zu gewinnen“. Bei 24 Major-Turnieren hat er bereits triumphiert, allein die Australian Open hat er zehnmal für sich entschieden. Und wenn im Melbourne Park das erste Saison-Highlight beginnt, haben alle Konkurrenten Djokovic wieder auf dem Zettel. Auch der Titelverteidiger.
Sein Vermächtnis hinterlassen
„Gegen Novak zu spielen, ist eine der härtesten Herausforderungen, die es gibt“, sagte Sinner nach dem jüngst gewonnenen Duell mit dem Serben beim höchst lukrativen Show-Turnier „Six Kings Slam“ in Saudi-Arabien. Djokovic sei „eine Legende unseres Sports. Er hat keine Schwächen. Man muss versuchen, die sehr wenigen Chancen, die er dir gibt, auch zu nutzen.“ Doch zuletzt ermöglichte Djokovic seinen Gegnern zu viele dieser Chancen, auch dessen Comeback-Qualitäten reichten nicht mehr aus. Hier könnte Murray tatsächlich einen wertvollen Input geben. Kaum ein anderer Profi stand so sehr für Kampf und Mentalität wie der zweimalige Olympiasieger, der selbst mit einer künstlichen Hüfte keinen einzigen Ball verloren gab.
Seine Vorgänger Boris Becker und Goran Ivanisevic konnten Djokovic neue Impulse geben und zu Erfolgen führen, auch wenn die Zusammenarbeit nicht immer leicht war. Da Murray auch als selbstbewusster Charakterkopf gilt und Djokovic während der Matches seine Box gern mit Schimpf-Tiraden eindeckt, stellt sich zwangsläufig die Frage: Kann das gutgehen? „Wer wird da wen anschreien?“, fragt sich nicht nur Tim Henman. Er würde gern sehen, „dass Djokovic in diesen frühen Matches ein wenig zu kämpfen hat, damit es ein bisschen Spannung gibt, ein paar Widrigkeiten, hoffentlich auch ein wenig Geschrei und Gebrüll in der Box“. Klar ist für Henman schon jetzt: „Es wird Spaß machen, dabei zuzusehen.“
Spaß ist aber nicht der Hauptgrund für Djokovic, auf den Platz zurückzukehren. Er will sein Vermächtnis im Tennissport hinterlassen. Rekorde möglichst für die Ewigkeit aufstellen. Dafür konzentriert er sich auf der Zielgeraden seiner Karriere auf die Grand-Slam-Turniere. Selbst die ATP-Finals der acht besten Spieler, die als inoffizielle Weltmeisterschaften im Tennis gelten, ließ er im November aus. Dass er allein dadurch 1.300 Punkte in der Weltrangliste verlor, weil er 2023 noch den Titel gewann, ist einkalkuliert. Perspektivisch wird das Abrutschen in der Weltrangliste dazu führen, dass er in der Setzliste für die Grand-Slam-Turniere tiefer fällt und dadurch früher auf Topspieler treffen kann. Das ist ein gefährliches Spiel für ihn – aber auch für Sinner, Alcaraz, Alexander Zverev und Co. Keiner von ihnen würde gern im Achtel- oder Viertelfinale auf einen Novak Djokovic in Topform treffen wollen. Mit einem Andy Murray als Trainer an der Seite erst recht nicht.
„Mir tun die Leute leid, die mich gern aufhören sehen würden, denn sie werden mich noch ein wenig länger sehen“, sagte Djokovic kürzlich mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. Sollte die Zusammenarbeit mit Murray fruchten, er wieder große Turniere gewinnen und mit den Jungstars mithalten können, ist auch ein Olympia-Start 2028 im Alter von dann 41 Jahren möglich. „Ich will in Los Angeles spielen, ich genieße es, für mein Land zu spielen.“ Der Zeitpunkt von Djokovics Rücktritt ist eine Frage der Motivation, glaubt auch Ex-Profi Andre Agassi: „Ich denke, dass ihm eher die Energie ausgeht als seine Fähigkeiten.“