Seit Anfang 2023 gilt das deutsche Lieferkettengesetz. Friedel Hütz-Adams vom Südwind-Institut für Ökonomie und Ökumene spricht darüber, ob es den Kakao in unserer Schokolade wirklich fairer und umweltfreundlicher macht.
Herr Hütz-Adams, seit rund einem Jahr ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft. Was hat es bislang bewirkt, außer Zungen zu brechen?
Es ist jetzt so, dass Konzerne viel detaillierter in ihre Lieferketten reinschauen als vorher. Das Gesetz verpflichtet sie, Risiken von Menschenrechtsverstößen wie Kinderarbeit zu identifizieren und zu minimieren. Im Fall von Kakao ist die Risikoanalyse einfach: Jedes Herkunftsland von Kakao hat derzeit ein hohes Risiko. Kakao ist Hochrisiko.
Heißt das, das Hütchenspiel der Verantwortung – der Verweis auf zu viele Zwischenhändler, wodurch das Verfolgen von Verstößen unmöglich sei – ist nun vorbei?
Das ist bei Kakao vorbei, auch bei etlichen anderen Produkten. Flankiert wird das deutsche Lieferkettengesetz von einer EU-Verordnung, die Mitte des Jahres in Kraft getreten ist: Sie verbietet ab Ende 2024 die Einfuhr von Agrarprodukten wie Kakao, Kaffee oder Palmöl aus Gebieten, die nach 2020 entwaldet wurden. Demnach dürfen nur noch Produkte eingeführt werden, bei denen die genaue Lage der Farm bekannt ist, von der sie stammen.
Klingt etwas realitätsfern.
Mal sehen. Im Kakao-Sektor passiert seit zwei, drei Jahren Erstaunliches. Wie man hört, wurden im Vorfeld der Entwaldungsverordnung allein in Westafrika mehr als eine Million Farmen lokalisiert und vermessen. In Ghana und der Elfenbeinküste sind die Regierungen dabei, genaue Kataster anzulegen. In der Elfenbeinküste bekommen alle Kakaobäuerinnen und -bauern eine Chipkarte, auf der die Eckdaten ihrer Farm vermerkt sind. Der Kakaomarkt wird viel transparenter. Das macht es für Firmen schwieriger, sich bei Umwelt- und sozialen Missständen hinter Unwissenheit zu verstecken.
Schon seit 2012 gibt es das Forum Nachhaltiger Kakao. Das Ziel, die Menschenrechts- und Umweltprobleme der Branche gemeinsam zu lösen, hat nicht geklappt. Warum?
Anfangs war es vielversprechend. Zu den Sitzungen kamen hochrangige Leute aus den Unternehmen. Es gab damit eine wichtige Plattform, auf der man miteinander redete. Ich war Gründungsmitglied des Forums und mehrere Jahre im Vorstand, aber 2017 habe ich nicht mehr kandidiert. Denn es ist für die Bäuerinnen und Bauern nicht viel Substanzielles passiert. Das Forum hat seine Mitglieder nie dazu verpflichtet, wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Im Gegenteil. Manche haben versucht, die Mitgliedschaft im Forum, kombiniert mit dem Verweis „Unser Kakao ist ja zertifiziert!“, zu benutzen, um zu sagen: „Wir tun doch schon alles. Wir sind auf dem richtigen Weg.“
Wäre es nicht ein richtiger Weg, Kakao beispielsweise Fairtrade-zertifizieren zu lassen?
In der Kakao-Branche ist es seit Langem ein offenes Geheimnis: Eine Zertifizierung garantiert keine Einhaltung von Menschenrechten – die größten Zertifizierer, Rainforest Alliance und Fairtrade, geben das auch zu. Der Fairtrade-Mindestpreis garantiert den Kakao-Farmen auch kein existenzsicherndes Einkommen.
Das dürfte für viele Kunden überraschend sein.
Auch manche Einzelhändler waren erstaunt, wenn ich ihnen davon erzählte. Siegel wie Fairtrade sind angetreten, um die Märkte zum Besseren zu verändern. Allerdings standen sie bald vor einem Problem: Wenn sie aus der Nische rauswollten, durften sie nicht viel teurer sein als der konventionelle Markt. Damit schwindet aber ihr Impact – so sehr, dass sie heute oft kaum mehr sind als eine Beruhigungspille für die Öffentlichkeit. Wenn die Fairtrade-Prämie für Kakao zehn Prozent des durchschnittlichen Verkaufspreises beträgt: Was hilft das, wenn ein Kakaobauer nur die Hälfte dessen verdient, was in seinem Land als existenzsicherndes Einkommen gilt? Zumal die Zertifizierung mit Kosten verbunden ist, die die Bäuerinnen und Bauern selbst tragen müssen.
Wenn auf einer Kakao-Farm in Afrika, deren Ernte in deutscher Schokolade landet, Kinder mitarbeiten: Wie wird ein solcher Verstoß geahndet?
Jede Person in Deutschland kann eine Beschwerde einreichen. Die Unternehmen haben Beschwerdestellen eingerichtet. Von den Firmen höre ich, dass dort auch mehr und mehr ankommt. Außerdem kann man sich an das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) wenden. Das muss prüfen, ob ein Unternehmen die Risiken realistisch eingeschätzt und Maßnahmen ergriffen hat.
Aber ist es nicht so, dass die meisten Verstöße fern von Deutschland, in den Anbauländern, passieren?
Auch ausländische Stellen können Beschwerden einreichen. Wobei es für Bäuerinnen und Bauern in der Elfenbeinküste natürlich schwierig ist, in das deutsche Rechtssystem einzutauchen. Aber immerhin: Möglich ist es. Früher konnten solche Klagen mit der Begründung abgelehnt werden, dafür seien deutsche Gerichte nicht zuständig – wie beim Modehändler Kik nach dem Fabrikbrand in Pakistan.
Die Bafa-Außenstelle, die für die Überwachung der weltweiten Lieferketten zuständig ist, sitzt im ehemaligen Amtsgericht des sächsischen 20.000-Seelen-Städtchens Borna. Klingt aus Konzernsicht nicht furchteinflößend, oder?
Davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Aber klar, bei der Frage, wie wirkungsvoll das Lieferkettengesetz ist, wird viel vom Bafa abhängen. So richtig einschätzen lässt sich das erst, wenn die Unternehmen ihre ersten Jahresberichte einreichen. Die Nagelprobe wird sein, ob das Bafa es ihnen durchgehen lässt, wenn sie sich hinter irgendwelchen Audits und Labels verstecken. Wenn bisher irgendwo „aus nachhaltig zertifiziertem Kakao“ draufstand, hatte das keine Aussagekraft. Ich gehe davon aus, dass es mit diesem Greenwashing vorbei sein wird.
Was macht Sie so zuversichtlich?
Die Vereinten Nationen verbinden mit „Nachhaltigkeit“, dass ein Produkt ökologisch verträglich ist und die Menschen von ihrer Arbeit leben können. Und auf diese Definition nimmt das Lieferkettengesetz Bezug. Deshalb sollte das Bafa aus meiner Sicht auf keinen Fall vergessen, die Kernfrage zu stellen: Zahlt das Unternehmen einen Kakao-Preis, der es möglich macht, auf Kinderarbeit zu verzichten? Denn viele Kleinbauern könnten derzeit ohne Hilfe ihrer Kinder nicht überleben.
Kinderarbeit war in den vergangenen Jahrzehnten weltweit rückläufig, nicht nur in der Kakao-Branche. Seit einigen Jahren aber steigt sie wieder an. Wie kommt das?
Rasant steigende Lebenshaltungskosten bei bis vor Kurzem stagnierenden Kakao-Preisen – und bei anderen Agrarprodukten sieht es ähnlich aus. Wir haben ja schon in Deutschland unter der Inflation geächzt, die auf Corona-Krise und Ukraine-Krieg folgte. Doch in Westafrika war sie noch viel extremer. In Ghana lag sie vergangenes Jahr bei 50 Prozent. Die Preise für Dünger haben sich zeitweise mehr als verdreifacht. Viele Bauernfamilien konnten sich weder Dünger noch erwachsene Arbeitskräfte leisten. Weil 2023 noch Extremwetterschäden durch El Niño dazukamen, zeichnet sich eine sehr schlechte Kakaoernte ab. Die hat aber auch ihr Gutes.
Wie bitte?
Angesichts der Knappheit ist der Exportpreis für Kakao durch die Decke gegangen. In den vergangenen Jahren lag er immer um die 2.000 bis 2.200 Dollar pro Tonne. Durch die Missernte ist er bis auf 4.000 Dollar gestiegen. Mit einem solchen Preisniveau wäre ein existenzsicherndes Einkommen für die Kleinbäuerinnen und -bauern möglich – wenn zugleich die Ernteerträge wieder auf das alte Niveau zurückkehren.
Der Preis ist aber nur eine Momentaufnahme, oder?
Deshalb nenne ich sie ein Gelegenheitsfenster. Warum sagen die Konzerne nicht: „Wir arbeiten gerade mit diesem hohen Kakaopreis – und Schokolade wird weiter gut verkauft, wir sind weiter hochprofitabel. Wenn der Preis wieder runtergeht, gleichen wir das dadurch aus, dass wir den Bäuerinnen und Bauern entsprechend höhere Prämien zahlen?“
Klingt wie ein frommer Wunsch.
Das wäre vor dem Lieferkettengesetz ein sehr frommer Wunsch gewesen. Nun aber muss ich mich als Unternehmen fragen: Wenn der Weltmarktpreis wieder deutlich runtergeht und die Einkommen der Familien deutlich fallen, werde ich vermehrt Berichte über Kinderarbeit, Unterernährung und Ausbeutung kriegen. Kann ich das Risiko eingehen, angesichts des kleinen Anteils, den der Kakaopreis an der Tafel Schokolade ausmacht?
Wie hoch liegt der?
Für eine Tafel Vollmilchschokolade mit 30 Prozent Kakaoanteil kam ich noch vor Kurzem auf Kakao-Kosten von zehn Cent. Wenn eine Tafel Schokolade von Milka oder Ritter Sport für rund 1,20 Euro verkauft wird, macht das einen Kakao-Anteil am Verkaufspreis von gut acht Prozent. Was bei den Bäuerinnen und Bauern ankommt, waren vier bis fünf Prozent des Verkaufspreises.
Das ist nicht viel.
Stimmt. Aber gerade deshalb würde es kaum ins Gewicht fallen, wenn man ihren Verdienst verdoppeln und so auf ein existenzsicherndes Niveau heben würde. Eine Tafel Schokolade würde nur vier bis fünf Prozent mehr kosten.
Hier wären die Schokoladen-Firmen am Zug. Was kann ich als Kunde tun – keine Schokolade mehr kaufen?
Keine Schokolade mehr zu kaufen, würde dazu führen, dass der Kakaopreis fällt. Damit wäre den Bäuerinnen und Bauern nicht geholfen.
Viel Schokolade kaufen, um den Preis nach oben zu treiben?
Es kann nicht Aufgabe der Konsumenten sein, sich um die Einhaltung von Menschenrechten zu kümmern. Das ist die Aufgabe von Regierungen. Und von Unternehmen. Daher würde ich wie gewohnt meine Lieblingsschokoladenmarke kaufen, aber dem Hersteller schreiben: Könnt ihr garantieren, dass die Bäuerinnen und Bauern ein existenzsicherndes Einkommen haben? Wenn nicht dieses Jahr: Gibt es diese Garantie für das nächste Jahr?