Vielleicht hat er wirklich daran geglaubt – die Serie lässt es offen. „Die Affäre Cum-Ex“ zeigt Steueranwälte ohne Skrupel, für die Steuerbetrug kein Versehen, sondern Geschäftsmodell ist: je mehr, desto besser.
Die Äffäre Cum-Ex“ zeigt, wie Steuerbetrug im ganz großen Stil geht. Kunden der Steueranwälte zahlen Steuern für Aktien-Transaktionen. Besagte Anwälte lassen sich diese zweimal erstatten – ganz legal. Sagen sie. Dass das eigentlich Betrug ist, wissen alle. Sie spekulieren aber darauf, dass da niemand so genau draufschaut.
Wie das ganz genau geht, wird auch nach den acht Folgen kaum jemand verstanden haben. Doch genau das ist der Trick. Hauptsache, es funktioniert und der Staat blutet. Dafür werden Alphatier Dr. Bernd Hausner (Justus von Dohnányi) und sein Betatierchen Nils Strunk (Sven Lebert) bestens bezahlt.
Vor allem der junge Strunk, Anfangs Assistent von Hausner, bald schon Partner vom großen Hausner, weil mindestens so skrupellos wie er und dann noch perfekt im Englischen, schwimmt bald nur noch in Geld. Die Uhren kosten jetzt sechsstellig. Die Autos noch mehr. Egal. „Was kostet die Welt?“, lautet sein neues Lebensmotto.
Das perfide ausgeklügelte System geht erstaunlich lange gut, und die Kundenliste der beiden wird immer länger, immer prominenter, die Transaktionen sind für Laien schon lange nicht mehr nachvollziehbar. Alle machen mit, ganz vorn dabei die Banken, die den Hals nicht vollkriegen, Anwälte, Staatsanwälte, Politiker. Bis ein paar biedere Finanzbeamte durch Zufall auf die absurden Transaktionszahlen stoßen und sofort die Lunte riechen. Sie wollen und können nicht tatenlos zusehen, wie der Staat blutet.
Es ging um etwa zehn Milliarden
Besagte Finanzbeamte sind Inger Brøgger (Karen-Lise Mynster) und Niels Jensen (David Dencik), die für die dänische Steuerbehörde arbeiten, aber gegen politischen Widerstand und Unterbesetzung ankämpfen. Und auch die deutsche Staatsanwältin Lena Birkwald (Lisa Wagner) ist schnell und ohne zu zögern an der Sache dran und lässt sich von Widerständen nicht abhalten.
Das Ganze spitzt sich zu, die Finanzbehörden wehren sich, wollen nicht zahlen, die Anwälte machen ihre Kontakte zu Politik und Justiz locker, es geht hin und her. Angereichert zwischendurch durch ein paar persönliche Dramen, die erfunden sind, was aber nichts macht. Acht Folgen Cum-Ex ohne ein bisschen Drama sind schwerer Stoff. Mit Drama lohnt sich das Zuschauen unbedingt.

Zumal die Fiktion so fiktiv auch nicht ist. „Die Affäre Cum-Ex” orientiert sich eng an der Realität. Im Film spielt Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz eine dubiose Rolle in der ganzen Affäre, in Wirklichkeit auch. Im Film mobbt ein fieser Minister die wackere Staatsanwältin, die unbedingt weiter ermitteln will. Die Realität ist noch schlimmer. Die Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker hat mittlerweile die Brocken hingeschmissen, das Finanzamt verlassen, der Film-Mobber ist in der Realität für die Grünen Finanzminister von NRW und weiter im Amt.
Die Affäre um den Cum-Ex-Steuerbetrug gehörte zu den ganz großen Skandalen der vergangenen Jahrzehnte. Die deutsch-dänische Produktion gibt nicht alle Details wieder, macht jedoch die Ausmaße deutlich, um die es dabei geht. Dem Staat wurden durch Aktiengeschäfte rund um den Dividendenstichtag geschätzte mindestens zehn Milliarden Euro an Steuergeldern entzogen. Serienschöpfer Jan Schomburg fährt zu diesem Zweck mehrgleisig. Er folgt einerseits den Menschen, die sich an diesen Deals bereichert haben. Andererseits gibt es Leute, die gegen diese Machenschaften vorgehen oder zumindest vor ihnen gewarnt haben.
Da es sich um eine deutsch-dänische Koproduktion handelt, wird immer wieder zwischen den beiden Ländern gewechselt. Ein dritter wiederkehrender Schauplatz ist die Schweiz, wo Skrupellosigkeit und Korruption besonders ausgeprägt sind. Die schockierendste Passage ist, wenn der Schweizer Staatsanwalt seine schützende Hand über die Bank hält, wohlwissend, welche krummen Machenschaften betrieben werden. Mehr noch, er geht gegen die Leute gerichtlich vor, die zur Aufklärung beitragen wollten.
Aber selbst wenn die Tiefe in den acht Folgen nicht so wahnsinnig groß ist, Spaß macht die Serie, die auf der Berlinale 2025 Premiere feierte, durchaus. Das ist vor allem dem Ensemble zu verdanken. Justus von Dohnányi ist für die Rolle des schmierigen Anwalts, der ständig andere wegen ihres angeblich unmoralischen Verhaltens kritisiert, natürlich eine Idealbesetzung. Aber auch die zahlreichen anderen Kollegen und Kolleginnen erledigen ihre Sache gut.
Dass „Die Affäre Cum-Ex“ dabei etwas formelhaft ist und erzählerisch kein Risiko eingegangen wird, ist sicherlich ein kleines Manko. Und doch erfüllt das hier alles seinen Zweck, und man darf, wie von Schomburg beabsichtigt, bis zum Schluss wütend bis fassungslos zusehen, wie Banken und Reiche sich einfach das Gesetz zusammenkaufen können und es die einfachen Leute sind, die zur Rechenschaft gezogen werden.
„Ich habe nur meinen Job gemacht“
„Die Affäre Cum-Ex“ schreit nach einer zweiten Staffel, die wohl auch geplant ist. Stoff genug ist da. Cum-Ex wird nämlich gerade gerichtlich aufgearbeitet. Der echte Dr. Hausner heißt Hanno Berger und sitzt mittlerweile im Knast. Nils Strunk heißt in Wahrheit Kai-Uwe Steck und ist seinem Ziehvater nicht nur im Film, sondern auch in der Realität übel in den Rücken gefallen, hat als Kronzeuge auf Straffreiheit gehofft – vergeblich. Auch Olaf Scholz holt die Affäre immer mal wieder ein. Als Regierender Bürgermeister von Hamburg soll er einem Banker geholfen haben, Rückzahlungsforderungen des Finanzamtes zu parieren. So genau will sich Scholz daran aber nicht mehr erinnern.
Was bleibt nach acht Folgen „Die Affäre Cum-Ex“, ist weit mehr als gute Unterhaltung. Die Staffel lässt all die Zuschauer wütend zurück, die jeden Monat brav ihre Steuern zahlen und keine Zweit-/Dritt-/Viert-Depots auf den Kaimaninseln oder sonst wo haben und das auch nicht wollen.
Unbedingt sehenswert ist auch die Doku „Systemfehler“, nach der Staffel. Ebenfalls im ZDF, allerdings nur als Stream. Dort spricht Anne Brorhilker, Beamtin, die Cum-Ex in der Realität auf die Spur kam, und sagt: „Ich habe nur meinen Job gemacht.“ „Es wäre großartig, wenn ich Cum-Ex in 20 Sekunden zusammenfassen könnte“, sagt der britische Steuerrechtsexperte Richard Collier vor der ZDF-Kamera. Aber dafür sei das Thema dann doch zu komplex. „Was macht die Komplexität aus? Wahrscheinlich die gewaltige Anzahl der Transaktionen. Sie suchen nach der Nadel im Heuhaufen.“
So ähnlich fühlt man sich bei der Ansicht der Doku und der Serie. Man ringt ums Verstehen. Wie konnte es sein, dass ein weit verzweigtes Netzwerk von Bankern, Anwälten und Investoren die Steuerkassen um etliche Milliarden Euro erleichterte? Wie kann es sein, dass die Politik das Ganze unterstützte? Wo leben wir eigentlich? Hört das denn nie auf?