In der Gesellschaft rumort es derzeit. Der Frust unter den Wählern wächst, die Politik muss Vertrauen zurückgewinnen. Das ist Kernziel der Union, betont der Bundestagsabgeordnete Kai Whittaker (CDU) – und fordert eine bessere Zusammenarbeit unter den Parteien.
Herr Whittaker, wo steht die Union nach vier Jahren Oppositionsarbeit?
Die Stimmung ist zuversichtlich. Wir sind gut aufgestellt mit unserem Grundsatzprogramm, das vergangenes Jahr beschlossen wurde. Daran hat sich in zweijähriger Arbeit die gesamte Partei beteiligt. Wir haben die Regierung dort, wo sie aus unserer Sicht nicht genug gemacht oder gar versagt hat, inhaltlich gestellt. Jetzt machen wir ein Politikangebot für einen Politikwechsel in Deutschland.
Nach 16 Jahren Regierungsverantwortung dann in die Opposition … Hat das in Ihren Augen auch etwas mit einem verlorenen Profil zu tun, das oft bemängelt wird? Hat die GroKo geschadet?
Zu einer Demokratie gehört der Wechsel. Und dass nach 16 Jahren die Wählerinnen und Wähler auch sagen, „wir wollen jetzt was Neues ausprobieren“, ist dann keine große Überraschung. Es ist ja eher ungewöhnlich, wenn man so lange in der Regierung ist. Insofern: Nein. Die Wähler haben uns vor die Herausforderung gestellt, die Zeit in der Opposition zu nutzen, um uns zu erneuern. Das haben wir angenommen und jetzt hoffen wir, dass uns die Menschen wieder ihr Vertrauen schenken.
Stichwort Erneuerung: Friedrich Merz gilt als sehr konservativ, gerade auch im Vergleich zu seinen Vorgängern innerhalb der CDU-Spitze. Hat das der Union auch ein Stück weit gefehlt?
Es wird gerne oft behauptet, dass uns das gefehlt hätte. Das ist aber von Thema zu Thema unterschiedlich. Das merke ich auch an mir selbst: Bei manchen Themen bin ich eher konservativ, in anderen Fragen eher liberal unterwegs. Ich würde es lieber so sagen: Merz hat die Themen, die zum Kerngeschäft der Union gehören, wieder stärker betont.
Schauen wir einmal auf die Gesellschaft: Nicht erst seit dem Ampel-Crash hat man das Gefühl, dass eine gewisse Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst. Woran liegt das?
Das liegt an zwei Punkten. Das eine ist das Unverständnis darüber, dass niemand politische Verantwortung für dieses Desaster übernimmt. Der SPD-Kanzler bekommt vor der Öffentlichkeit einen Wutanfall, die FDP lässt sich beim Schwindeln ertappen und der grüne Wirtschaftsminister sieht sich von Wirklichkeit umzingelt. Da ist eine Regierung auseinandergeflogen und alle drei stellen sich wieder als die Spitzenkandidaten ihrer jeweiligen Partei hin und tun so, als sei nichts passiert. Das ist ein hohes Maß an Unverschämtheit gegenüber den Wählerinnen und Wählern. Ich kann verstehen, dass viele deswegen gefrustet sind. Das zweite ist die Frage: Was ist eigentlich die Aufgabe der Politik? Die Aufgabe sollte am Ende sein, Probleme unserer Gesellschaft zu lösen. Und das passiert bei den wesentlichen Themen schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Im Gegenteil, teilweise weigert man sich sogar, Probleme überhaupt als solche anzuerkennen. Und das ist die Ursache für Unzufriedenheit, von Frust und letztlich auch von Wut. Die Verantwortung sehe ich ganz klar bei den Ampelparteien, die beim Thema Migration, aber auch bei der wirtschaftlichen Entwicklung schlicht und ergreifend die Augen vor der Realität verschließen.

Diese Unzufriedenheit, die sich in Teilen ja auch im Wählerzuwachs bei der AfD widerspiegelt, gab es aber ja auch schon, als die Union noch in der Regierungsverantwortung war und nicht erst jetzt …
Schauen wir uns mal die Umfrageergebnisse an: Die AfD hat sich seit der letzten Bundestagswahl quasi verdoppelt. Das kann ja wohl kaum an uns liegen. Wir haben mehr als einmal Angebote an die Bundesregierung gemacht, zum Beispiel beim Thema Migration und Integration, dass wir diese Problemfelder in einem parteiübergreifenden Konsens lösen. Wenn ich dann aber mit grünen Kollegen spreche, die mir sagen, dass Migration kein Problem in Deutschland sei, dann frage ich mich, in welchen Wahlkreisen die leben. Ich kann mit jedem meiner Bürgermeister im Wahlkreis Rastatt sprechen, egal welcher Parteifarbe, die können mir zig Probleme aufzählen, mit denen sie jeden Tag zu kämpfen haben. Dass manche Abgeordnete das nicht sehen, erschüttert mich ehrlich gesagt.
Bleiben wir bei der AfD: Wie schätzen Sie diesen zunehmenden Zuspruch ein?
Ich halte das für sehr gefährlich. Mein Eindruck ist, dass die Menschen die AfD für spezielle Themen wählen. Das muss nicht zwingend Migration und Integration sein, jeder hat da so seine Schwerpunkte. Was viele aber nicht sehen, ist, an wie vielen anderen Stellen die AfD politischen Schaden für Deutschland anrichten würde. Nur ein Beispiel: Die AfD diskutiert ernsthaft, aus dem Euro und aus der EU auszutreten. Das wäre Gift für unsere Wirtschaft! Jeder vierte Arbeitsplatz hängt am Export und die Europäische Union ist unser größter Exportmarkt. Wir hätten sofort Massenarbeitslosigkeit in unserem Land, wenn wir diesen Schritt gehen würden. Wir haben schon in Großbritannien gesehen, wie die Wirtschaft nach dem Brexit eingebrochen ist. Und vom gesellschaftlichen Klima will ich erst gar nicht sprechen. Wir hatten vor wenigen Wochenenden einen Wahlkampfstand, an dem wir von AfD-Anhängern bedroht wurden – also auch körperlich. Und dann hören wir Dinge wie: „Wenn wir an der Macht sind, machen wir Dachau wieder auf“. Das mag als geschmackloser Scherz gemeint sein, aber offenbar herrscht da eine Denkweise, Menschen wieder in unterschiedliche Gruppen zu unterteilen, auszuschließen und zu beseitigen.
Derzeit sieht es so aus, als könnte die AfD nach den Wahlen zweitstärkste Kraft im Bundestag werden. Was müsste nun passieren, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen?
Zum einen wünsche ich mir einen anständigen Umgang zwischen den politischen Parteien. Die politische Auseinandersetzung selbst kann hart sein, aber ich muss andere nicht als dämlich, minderbemittelt oder sonst was bezeichnen. Zum zweiten müssen wir wieder lernen, Kompromisse zu machen. Und zwar gute Kompromisse. Wenn ich am Ende des Tages nur eine andere Verpackung um den gleichen Inhalt mache, dann ist der Kompromiss nicht zielführend.
Wo sehen Sie in diesem Prozess die Rolle der Union?
Das hängt von unserem Wahlergebnis ab. Je stärker wir werden, desto eher sind wir in der Lage, einen echten Politikwechsel herbeizuführen. Das Grundübel dieser letzten Regierung war, dass alle Beteiligten wussten, dass es keine wirkliche Alternative zur Ampel gab. Das macht eine Kompromissfindung natürlich sehr schwer. Wenn wir als Union uns einen von mehreren Koalitionspartnern aussuchen können, sieht das ganz anders aus. Vor Wahlen sollten wir nicht schon über Koalitionen nach Wahlen spekulieren. Der Wähler hat das Wort. Einzig eine Kooperation mit der AfD schließen wir kategorisch aus. Jetzt geht es um die Sache. Es geht darum, die Menschen für unsere Konzepte und Ideen zu gewinnen und ein möglichst starkes Wahlergebnis für die Union zu erreichen. Wir sind die letzte verbliebene Volkspartei und somit sind wir die letzte, die noch einigermaßen über die Stärke verfügt, den nötigen Politikwechsel zu vollziehen. Aber je schwächer wir abschneiden, desto unwahrscheinlicher wird am Ende dieser Wechsel. Es kommt also auf jede Stimme an, und mit der Union werde ich um jede Stimme kämpfen.