… sondern eine Frage außerparlamentarischer Präzision
Vor zwei Tagen habe ich mein erstes Schnitzel seit meinem elften Lebensjahr gegessen. So lange bin ich schon Vegetarierin und immer häufiger auch Veganerin. Ohne Mangelerscheinungen, mit drei mängelfreien Kindern. Das Schnitzel wurde mir in einer urigen, bayerischen Wirtschaft in München serviert. Einem beliebten Gasthaus in Wiesn-Nähe, in dem wir beizeiten reservieren mussten. Dort gibt es neben Schweinsbraten und Schnitzel auch Bratwürste und Burger: Alles vegan. Seitan, Tofu und Tempeh machen’s möglich. Und die protein- sowie ballaststoffreichen Quellen der Pflanzen-Schnitzel und -Würste stehen klar in der Menükarte.
Ein wenig unwohl war mir als eingefleischter Nicht-Tier-Esserin dennoch dabei, ein Schnitzel zu essen. Aber der Spaß, den meine vegetarischen und veganen Kids dabei hatten, Fake-Fleisch zu essen, half mir, mein Unbehagen zu überwinden. Und der Gedanke daran, dass es vielerlei Schnitzel gibt: Die fallen manchmal auch getarnt als „Konfetti“ vom Himmel, obwohl es sich um Papierschnitzel handelt.
Ich dachte auch an den Bundeskanzler. Nicht den amtierenden Regierungschef, der Wurst „nicht vegan“ sieht. Sondern an Konrad Adenauer: Der erste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland meldete während des Ersten Weltkriegs Patente zur Herstellung einer Sojawurst an. Also einer Wurst auf pflanzlicher Basis, die mit ihrem Eiweiß als Fleischersatz dienen und Mangelerscheinungen verhindern sollte. Dieses Verfahren zur Geschmacksverbesserung und Herstellung wurde in verschiedenen Ländern patentiert. Zunächst jedoch im Vereinigten Königreich, das mit dem Brexit wohl aus dem Bewusstsein der Konservativen im Europäischen Parlament verschwand.
So kam es, dass das EU-Parlament im Oktober 2025 mehrheitlich beschloss, dass vegetarische und vegane Fleischersatzprodukte künftig nicht mehr Bezeichnungen wie „Wurst“, „Burger“ oder „Schnitzel“ verwenden dürfen. Die Begriffe sollen ausschließlich Produkten tierischen Ursprungs vorbehalten bleiben. Der Beschluss stützt sich unter anderem auf einen Antrag der französischen, konservativen Abgeordneten Céline Imart, die ein Verwechslungsrisiko für Verbraucher sieht, da pflanzliche Alternativen nicht dieselben Nährstoffe wie Fleischprodukte böten.
„Veggie-Burger“ oder „Tofu-Wurst“ seien längst alltäglich, kommentiert die agrarpolitische Sprecherin der Europa-SPD, Maria Noichl, den Beschluss, dem die Mitgliedsländer noch nicht zugestimmt haben. Mit einem Namensverbot für Veggie-Produkte schade die EVP der deutschen Wirtschaft und den europäischen Verbrauchern. Noichl argumentiert: „Deutschland ist der größte Markt Europas für pflanzenbasierte Alternativprodukte und er wächst seit Jahren.“
Es ging um die Wurst. Was die Ja-Sager wohl nicht wussten: Im technischen oder industriellen Bereich steht „Wurst“ häufig für etwas, das eine längliche, zylindrische oder rundliche Form besitzt. Eine „Wurst“ kann beispielsweise eine geformte Materialmasse sein, etwa bei Dichtstoffen oder Klebstoffen, die aus einer Kartusche gepresst werden („Silikonwurst“). Hier beschreibt „Wurst“ einfach die längliche Form des frisch herausgedrückten Strangs. In der Produktion, bei Kunststoff- oder Gummiprofilen, wird „Wurst“ verwendet, um extrudierte Materialstränge zu bezeichnen.
Auch in der Literaturwissenschaft und anthropologischen Forschung taucht das Wort als Alltagsbegriff für länglich geformte Objekte auf. Bei spanender Bearbeitung, ob Drehen oder Fräsen, entstehen „Span“, „Schnitzel“ oder „Späne“. Insbesondere „Schnitzel“ bezieht sich hier manchmal auf größere, flatterige Materialabschnitte. Ohne damit etwa Geflügelschnitzel zu meinen.
In der industriellen Fertigung beschreibt „Schnitzel“ einen Abschnitt mit charakteristischer Scheibenform und bestimmten, durch Zuschnitt oder Stanzen entstandenen Konturen. Und Ingenieure nutzen Metaphern wie „Wurst“, um komplexe Formen, Vorgänge oder Materialzustände einfach und anschaulich zu beschreiben: Weil’s einfach präzise ist. Nicht etwa, weil’s Wurst ist.