Die Wahlrechtsreform gehört zu den Plus-Punkten der Ampel-Koalition. Der nächste Bundestag wird deutlich kleiner. Die Zweitstimme (für die Partei) wird damit wichtiger.
Seit wann genau um ein neues Wahlrecht gerungen wurde, lässt sich nicht mehr ganz sicher sagen. Dass aber eine Reform überfällig war, stand schon lange fest. Der Deutsche Bundestag ist mit seinen derzeit über 730 Abgeordneten das größte frei gewählte Parlament der Welt. Im Repräsentantenhaus der USA gibt es 435 Sitze, die Nationalversammlung in Frankreich 577, das britische Unterhaus hat 650.
Bei 299 Wahlkreisen in Deutschland sollte der Bundestag eigentlich 598 Abgeordnete haben. Durch die sogenannten Überhang- und Ausgleichmandate explodierte die Zahl aber geradezu auf zuletzt 733. Das ist nicht nur teuer, sondern auch ineffizient, sagen Kritiker.
An Reformen haben sich schon frühere Koalitionen die Zähne ausgebissen. Etliche Vorschläge wurden diskutiert, etwa eine Reduzierung (und damit Vergrößerung) von Wahlkreisen. Letztlich gab es keine Einigung.
Zukünftig 650 Abgeordnete
Erst der Ampel gelang, was fast unlösbar schien. Eine Reform mit einer drastischen Reduzierung der Mandate. Maximal 630 Abgeordnete wird der neue Bundestag haben, also gut einhundert weniger. Womit deutlich wird, warum es mit Reformen so zäh ist. Schließlich haben jetzt auch Abgeordnete für die Reform gestimmt, auch wenn das im Zweifel das eigene Mandat kosten kann.
Ein möglichst gerechtes Wahlsystem ist eine komplexe Angelegenheit. Im Grundsatz muss gewährleistet sein, dass jede Stimme gleichviel zählt, trotzdem muss das Parlament arbeitsfähig sein, also weder zu aufgebläht noch zu zersplittert. Außerdem sollte jeder Wahlkreis mit einem direkt gewählten Abgeordneten vertreten sein. Letzteres hatte eben zu dem ausufernden System von „Überhangmandaten“ (mehr direkt gewählte Abgeordnete als es der prozentuale Anteil der Partei hergeben würde) und „Ausgleichmandaten“ (um das prozentuale Gewicht der Parteien zu gewährleisten) geführt.
Damit ist nun weitgehend Schluss.
Das gelingt dadurch, dass der Zweitstimme ein noch größeres Gewicht bei der Berechnung der Verteilung von Mandaten zukommt. Mit der Zweitstimme wird die Partei gewählt (die Erst-Stimme ist für den Wahlkreiskandidaten beziehungsweise -kandidatin).
Bei der Wahl am 23. Februar gilt also erstmals: Wahlkreisgewinner erhalten ihr Mandat nur dann, wenn auch das Ergebnis für ihre Partei (Zweitstimme) entsprechend hoch ist. Übersteigt die Zahl der Direktkandidaten den Stimmanteil bei den Zweitstimmen, entfallen die Direktmandate mit den niedrigsten Stimmenanteilen. Es könnte also passieren, dass es Wahlkreise gibt, die keinen Direktkandidaten im Bundestag haben werden. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Regelung für rechtens erklärt. Die Sitze werden nach dem Prozentanteil der Parteien verteilt, und ein Bundestagsabgeordneter sei schließlich nicht Delegierter eines Kreises, sondern „dem ganzen Volk verpflichtet“.
Was nach dem Urteil des Verfassungsgerichts bleibt ist die so genannte Grundmandatsklausel. Die besagt: Eine Partei zieht in den Bundestag ein, wenn sie mindestens drei Direktmandate errungen hat, auch wenn das Ergebnis der Partei selbst unter der Fünf-Prozent-Sperrklausel bleibt. Davon hat in der Vergangenheit Die Linke profitiert.
Für die Wahl heißt die Änderung, dass Wählerinnen und Wähler sich genauer überlegen müssen, wie sie mit den beiden Stimmen verfahren. Wer die Chancen für seinen Wunsch-Wahlkreiskandidaten erhöhen will, wird künftig mit der Zweitstimme auch die Partei des Kandidaten wählen.