Knusprige Cornflakes, raschelnde Chipstüten, sanfte Restaurant-Musik: Der britische Gastrophysiker Charles Spence erforscht, wie Geräusche unser Essverhalten beeinflussen. Da wird sogar die Lebensmittelindustrie hellhörig.
Professor Spence, Sie scheinen das Rätsel gelöst zu haben, warum Menschen im Flugzeug so gerne Tomatensaft trinken. Was haben Geräusche damit zu tun?
Lange dachte man, dass die trockene Kabinenluft oder der hohe Luftdruck dafür verantwortlich sind. Mein Team und ich haben eine andere These aufgestellt, nämlich, dass der Triebwerkslärm die Geschmackssinne unterdrückt und die Passagiere mit dem würzigen Tomatengeschmack gegensteuern. 2015 haben Forschende an der US-amerikanischen Cornell University unsere Theorie bestätigt.
Wie erforscht man, was unseren Geschmack beeinflusst?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Beim Tomatensaft-Experiment haben die Kollegen aus Cornell ihren Testpersonen Flugzeuggeräusche via Kopfhörer vorgespielt. Währenddessen bekamen sie verschiedene Flüssigkeiten serviert, zum Beispiel Wasser mit gelöstem Zucker oder Wasser mit gelöstem Salz. Diese Lösungen sollten die Testpersonen bewerten. Und siehe da: Die Mischung mit MSG, einem Geschmacksverstärker, der dem würzigen Tomatengeschmack sehr nahekommt, schnitt am besten ab.
In Ihrer Forschung untersuchen Sie nicht nur, welche Geräusche ein bestimmtes Essensverhalten auslösen, sondern auch, welche Musik zu welchem Essen passt. Wie machen Sie das?
Wir setzen die Testpersonen in unserem Labor vor ein virtuelles Mischpult, mit dem sie verschiedene Musikinstrumente nachahmen können. Dann servieren wir ihnen ein Gericht – zum Beispiel etwas Scharfes –, und die Testpersonen spielen dazu passende Musik. Interessanterweise wählen die meisten den gleichen Sound. Scharfe Gerichte harmonieren offenbar am besten mit schneller, lauter Musik mit hoher Tonlage.
Wie viele Personen nehmen an solchen Experimenten teil?
Im Labor sind wir begrenzt, da müssen manchmal zehn oder 20 Personen genügen, um nach gewissen Mustern Ausschau zu halten. Oft bauen wir auch einen Stand bei Food-Festivals, Sportveranstaltungen oder in Museen auf. Während der Pandemie sind wir auf Online-Umfragen umgestiegen, an denen mehrere Tausend Personen teilnehmen. Die fragen wir dann zum Beispiel: „Welche Musik passt am besten zu Milchschokolade?“
Mit welchem Ergebnis?
Die eine perfekte Milchschokoladen-Musik gibt es natürlich nicht. Aber Musik kann eine bestimmte Geschmackskomponente hervorheben. Ein klassisches Stück bringt eher die Bitterkeit der Schokolade zum Vorschein, während schnelle Musik mit hoher Tonlage die Süße betont. Je nach Sound kann man den gefühlten Süße- oder Bittergrad von Lebensmitteln um bis zu zehn Prozent beeinflussen. Bei Rotwein haben wir herausgefunden: Je nach Musik und Hintergrundbeleuchtung bewerten ihn die Menschen um bis zu 20 Prozent fruchtiger oder frischer.
Das interessiert bestimmt auch die Lebensmittelindustrie …
Die Restaurants und Firmen, mit denen wir zusammenarbeiten, wollen wissen, zu welchem Sound sich ihr Wein, Whisky oder ihre Pasta am besten verkauft. Aber unsere Forschung ist auch im medizinischen Bereich relevant, zum Beispiel in Krankenhäusern, in denen übergewichtige Menschen behandelt werden. Wenn sie ihre Gerichte durch bestimmte Geräusche als süßer empfinden, essen sie weniger Zucker.
Können Hersteller mit Geräuschen auch mogeln, also schlechtes Essen besser wirken lassen, als es ist?
Zu einem gewissen Grad bestimmt, aber sie können kein Wasser in Wein verwandeln. Grundsätzlich gilt: Je besser die Musik ankommt, desto besser schmeckt das Essen. Wenn das Gesamterlebnis passt – italienische Musik im italienischen Restaurant –, fühlt es sich stimmig an und wir essen tendenziell mehr. Und: Je lauter die Musik, je schneller das Tempo, desto schneller essen und trinken wir – und geben dadurch mehr Geld aus. Nur wenn‘s zu laut wird, unterdrückt das unseren Geschmackssinn. Dann ist es wieder wie im Flugzeug.
In Ihrem Buch „Gastrologik“ beschreiben Sie, dass Justin Biebers Musik vielen Menschen den Appetit verdirbt. Können Sie das erklären?
Das ist einfach das Ergebnis unseres Tests. Wir haben 700 Probandinnen und Probanden Fotos von sechs verschiedenen To-go-Gerichten gezeigt, und das Ganze mit sechs verschiedenen Musikrichtungen kombiniert. Es stellte sich heraus, dass Taylor Swift gerne zu chinesischem Essen gehört wird, während Justin Bieber insgesamt sehr schlecht abschneidet. Am besten fährt man laut unserer Untersuchung mit Nina Simone und Frank Sinatra. Warum das so ist, wissen wir nicht. Das wird die weitere Forschung zeigen.
Auch das Geräusch eines Produkts spielt eine Rolle dabei, wie gut es Menschen schmeckt.
Ja, zum Beispiel: Wie knusprig müssen Chips klingen, damit die Leute besonders gerne zubeißen? Wie gestalte ich die Chipstüte so, dass schon ihr Knistern Appetit macht? Natürlich gibt es Extreme, zum Beispiel die Firma Sun, die die lauteste Chips-Packung der Welt erfunden hat: Über 100 Dezibel, wenn man an der Packung raschelt! Das war den meisten dann doch zu laut.
Wie testen Sie, was Konsumenten gefällt und was nicht?
Durch ganz simple Dinge: Wir lassen die Leute in Chips beißen, während sie Kopfhörer tragen. Über die Kopfhörer verstärken oder verringern wir das Knuspergeräusch. Am Ende haben wir festgestellt: Je stärker ein Produkt knuspert, desto lieber essen es die Leute.
Ist das auch der Grund, warum niemand durchweichte Cornflakes mag?
Der Nährwert ist derselbe, aber das Knuspergeräusch fehlt beim Kauen. Oder nehmen wir eine Karotte: Wenn sie frisch ist, enthält sie besonders viele Nährstoffe und macht beim Reinbeißen die lautesten Geräusche. Es könnte also durchaus sein, dass wir unbewusst etwas Knackiges oder Knuspriges bevorzugen. Aber das ist Spekulation (lacht). Die Forschung ist noch nicht am Ende.