Der Vorhang fällt und (fast) alle Fragen sind offen
Endlich geschafft! Mit dem Wegfall der CoronaRegeln bleibt uns zwar das Virus auf Dauer erhalten, aber die pandemische Lage ist faktisch beendet und Corona wird im Alltag zum Randthema.
Fast drei Jahre hat ein unsichtbares kleines „Ding“ unser aller Privat- und Arbeitsleben in einem vor 2020 unvorstellbar großen Ausmaß dominiert und zeitweise den ganzen Globus lahmgelegt. Nebenbei wurden wir zwangsläufig in einen langjährigen, täglich oft mehrstündigen „Corona-Intensivkurs“ geknebelt und virologisch, epidemiologisch, immunologisch, impf- und hygienetechnisch und zu allem Überdruss auch noch gesundheitspolitisch geschult und angeleitet.
Aber trotz aller Erleichterung: Nach der Pandemie ist vor der Pandemie! Die nächste Attacke droht in kürzerem Abstand als in früheren Jahrhunderten. Für viele von uns wird diese Pandemie wahrscheinlich kein singuläres Ereignis bleiben. Das ist weniger durch die Viren per se als vielmehr durch die hohe und zunehmende Zahl von menschlichen „Viruswirten“ bedingt, die sich zudem immer schneller und mobiler weltweit vernetzen. Auch damit zusammenhängende Verhaltensmuster wie die unnatürliche und unsensible großindustrielle Zucht und Vermarktung von Nutztieren sind – um im Bilde zu bleiben – für Viren ein gefundenes Fressen.
Naturgemäß gab es in dieser neuen und sehr komplexen Extremsituation handwerkliche Fehler. Schließlich geriet nicht nur die fachlich überforderte politische Führungsriege, sondern nicht selten auch die beratende Wissenschafts-Elite an und über ihre Grenzen. In der Rückschau ziemlich abstrus anmutende Kapriolen wie etwa das zeitweilige Verbot des Solo-Spaziergangs im Freien sollte man als situative angstgeleitete Fehlreaktionen abtun.
Anders verhält es sich mit strukturellen Schwachstellen, die sich als Sand im Getriebe politischer Entscheidungsprozesse erwiesen haben. Und zum anderen gab es inhaltlich schwerwiegende und vermeidbare Fehlentscheidungen, die zusätzlichen Schaden anrichteten. Ich will aus beiden Bereichen jeweils ein Beispiel aufgreifen. Zunächst zu strukturellen Schwächen: Das Schauspiel der Ministerpräsidentenkonferenzen, bei denen immer zu spät und oft mit wenig Expertise und viel Rücksicht auf die jeweilige Wählerklientel mehr oder weniger liberale Vorgaben und faule Kompromisse herauskamen, war eine Zumutung, nicht nur für meinen Intellekt.
Ich bin mir sicher, dass Corona-Viren die Grenzen deutscher Bundesländer nicht kennen. Aber unter anderem musste man bei jeder Fahrt, je nach Bundesland, überlegen, was man mit oder ohne Maske und mit oder ohne Test machen durfte. Unser föderales System mag in einigen Bereichen sinnvoll sein, es entpuppt sich aber bei überregionalen Problemstellungen öfters als konfus und insuffizient. Bei Corona wurde es unübersehbar, und da darf man künftig in der Verantwortung für alle Bürger unserer Republik keine zu große Rücksicht auf die Interessen macht- und selbstverliebter Landesfürsten und ihres Hofstaates nehmen.
Abschließend die vielleicht fatalste inhaltliche Fehlentscheidung: In Deutschland sind bisher knapp 170.000 Tote im Zusammenhang mit Covid-19 zu beklagen. Mehr als 160.000 davon waren 60 Jahre und älter, obwohl in dieser Altersgruppe nur etwa 6,6 Millionen von insgesamt fast 39 Millionen nachgewiesenen Corona-Infektionen in Deutschland auftraten. Bei den Über-80-Jährigen war das Sterberisiko im Vergleich zur Altersgruppe zwischen 35 und 59 Jahren mehr als 100-mal höher.
Corona war ganz überwiegend für betagte Menschen tödlich. Und anstatt als wenig gefährdete gesunde und jüngere Angehörige diesen Schwächsten insbesondere auch in Kliniken oder Pflegeeinrichtungen beiseite zu stehen, mussten wir staatlich reglementiert viele in dieser schwersten und letzten Phase ihres Lebens im Stich lassen.
„Wir werden einander viel verzeihen müssen“ hieß es vorsorglich. Aber man sollte – mit mehr oder weniger Glaube und Hoffnung – hinzufügen: Die schlimmsten Fehler noch mal, das wäre unverzeihlich!