Bereits die zusammengebrochene Carola-Brücke in Dresden sorgte bundesweit für Schlagzeilen, nun hat es auch eine Berliner Autobahnbrücke geschafft. Diese konnte allerdings kurz vor der Havarie gesperrt werden, jetzt ist sie zu einem Politikum geworden.
Es war ein Kollaps des West-Berliner Verkehrs mit Ansage – und zehnjährigem Vorlauf: Die Sperrung der Ringbahnbrücke, die nun zu trauriger Berühmtheit gelangt ist. Satte 62 Jahre hat kein Berliner von dem 600 Meter langen Bauwerk am Funkturm überhaupt Notiz genommen. Sie war einfach da und jede Stunde donnerten 10.000 Autos auf den drei Spuren über sie hinweg, 200.000 pro Tag.
Die Ringbahnbrücke ist nur eines von 25 solcher Tragbauwerke der Stadtautobahn am Kreuz Funkturm, dem automobilen Verteilzentrum zwischen Neukölln, Wannsee und dem Wedding. Ost, Süd und Nord. Das am dichtesten befahrene Autobahnkreuz Deutschlands, an dem schon vor über 30 Jahren die Straßenverkehrsordnung klammheimlich, allein durch die Masse der Blechlawine, außer Kraft gesetzt worden ist. Würde man den Mindestabstand laut StVO einhalten, könnte nicht mal die Hälfte der täglich gezählten Fahrzeuge das Kreuz Funkturm passieren.
Probleme schon ein Jahrzehnt lang bekannt
Bereits vor zehn Jahren warnten Prüfingenieure der zuständigen Autobahngesellschaft „Direktion Nord-Ost“, die Ringbahnbrücke müsse dringend saniert werden. Ihr Zustand sei in einem zwar noch tragfähigen, aber baulich äußerst bedenklichen Zustand.
Doch Berlin ist bekanntlich arm aber sexy – und in der Senatsverkehrsverwaltung blieb man extrem cool. Was soll man auch machen, wenn eh kein Geld da ist? Hinzu kommt die Frage der Zuständigkeit: Es handelt sich ja um eine Bundesfernstraße, soll sich die Autobahngesellschaft drum kümmern.
Das tat diese auch und schlug vor drei Jahren erneut Alarm: Ein Pfeiler der Brücke wies erhebliche Risse auf, es bestehe dringender Handlungsbedarf. Doch die damals frisch ins Amt gewählte Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher und Klimaschutz, Bettina Jarasch von den Grünen, interessierte sich nur mäßig für den erneuten Warnhinweis zum Zustand einer der befahrensten Autobahnbrücken Deutschlands, die blöderweise in ihren Zuständigkeitsbereich fällt. Das Mobilitäts-Verständnis der Grünen-Verkehrssenatorin ist zwar ausgeprägt, hat aber seinen Schwerpunkt bei der Einrichtung von Pop-up-Radwegen oder der Umwandlungen von Hauptverkehrsstraßen in Fußgängerzonen und eben nicht bei vor dem Kollaps stehenden Autobahnbrücken.
Fortan überprüfte die Autobahngesellschaft ständig den Riss in der Brücke und seine Fortentwicklung. Anfang März dieses Jahres dann wieder Alarm, die Länge des Risses hat sich verdoppelt, auf fast einen halben Meter.
Oben, auf der Autobahn, wurde aus drei Spuren eine und das Bauwerk einer Intensiv-Untersuchung unterzogen. In der Verkehrsverwaltung blieb man weiterhin extrem cool, getreu dem Motto: Sollen die mal prüfen, wird schon nicht so schlimm kommen. Politisch hatte die Führung des Hauses unterdessen eine 180-Grad-Wende hingelegt. Durch die Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus ist nun Ute Bonde von der CDU Verkehrssenatorin und bringt einen neuen Fokus mit, was sich schon am Namen des Hauses ablesen lässt: Senat für Verkehr, Klima- und Umweltschutz. Aus Mobilität ist wieder Verkehr geworden, und die 58-jährige Christdemokratin versteht darunter vor allem den mit vier Rädern und Verbrennungsmotor.

Doch dass die Zeiten der Pop-up-Radwege vorbei sind und nun doch auch kaputte Autobahnbrücken von größerem Interesse sein können, ist in der Verwaltungs-Etage ihres Hauses noch nicht so richtig angekommen. Dass die Autobahngesellschaft eine Totalsperre ins Auge gefasst hat, soll bei Bonde in dieser Dramatik nicht angekommen sein und darum weilte diese zu diesem Zeitpunkt im lange geplanten Urlaub.
Der Direktor der Autobahngesellschaft Niederlassung Nord-Ost, Ronald Normann, ist Kummer mit der Berliner Verkehrsverwaltung gewohnt, und eine trotz bevorstehender Totalsperre der A 100 Richtung Nord in Urlaub weilende Verkehrssenatorin bringt ihn auch nicht aus der Ruhe. Da niemand erreichbar ist, weist er am 19. März, kurz nach 19 Uhr, seine Mitarbeiter an, die Ringbahnbrücke jetzt einfach mal zu sperren. Eine Stunde später ist sie dicht, und die Entscheidungsträger der Senatsverkehrsverwaltung erfahren dies spätestens am nächsten Morgen aus den Verkehrsmeldungen im Radio.
Zur Umfahrung des Verkehrsschwerpunktes am Kreuz Funkturm gibt es keinen Notfallplan – obwohl seit über zwei Wochen dieser Worst-Case von der Autobahngesellschaft in Aussicht gestellt wurde. Verkehrssenatorin Ute Bonde gibt von ihrem Urlaubsort aus einen guten Tipp: Einfach auf die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen. Blöd nur, dass genau an diesem Tag die BVG streikt und Busse, Straßen- und U-Bahnen eben nicht fahren. Einen Tag später muss obendrein auch der nicht bestreikte S-Bahnverkehr unter der kaputten Ringbahnbrücke eingestellt werden. Eine weitere Hauptschlagader des West-Berliner Berufsverkehrs, die Ringbahn, ist kein Ring mehr. Dafür stehen jetzt auch die Busse des S-Bahn-Ersatzverkehrs mit im Stau.
Straßensperrung und Nahverkehrsstreik
In Anbetracht des heillosen Verkehrschaos in der City-West und der völligen Planlosigkeit ihrer Verkehrsverwaltung bricht Ute Bonde ihren Urlaub zwangsläufig ab. Dem eingeübten Reflex folgend diskutiert nun die Politik darüber, was jetzt am besten zu tun ist. Eine kaputte Brücke und viele gute Ideen, was man alles tun könnte. Betonung liegt auf „könnte“ und nicht „tun“. Die Brücke zum Beispiel mit Hydraulikpressen abstützen und dann behutsam nach und nach sanieren. Wieder ist es Autobahn-Direktor Normann, der den Berliner Politikern und Verwaltungsexperten mit der naheliegendsten Variante auf die Sprünge hilft: Abreißen!
Und Ronald Normann bekommt Schützenhilfe von seinem obersten Chef, Noch-Bundesverkehrsminister Volker Wissing, der ebenfalls seit Tagen das Spektakel um die kaputte Autobahnbrücke verfolgt. Er sagt dem überraschten Berliner Senat 150 Millionen Euro für den Neubau zu. Nun ist auch die CDU-Verkehrssenatorin aufgewacht und ordnet umgehend den Abriss an.
Die Berliner staunen, bereits einen Tag später sind Arbeiter mit ihren Baggern und Kränen auf und unter der Ringbahnbrücke, und abends steht bereits die Baustraße, um den Schutt abfahren zu können. Der ehemalige FDP-Mann Wissing und Bonde haben ein gemeinsames Projekt gefunden, für den ungestörten Autoverkehr. Also zumindest jetzt erst mal beim Brückenabreißen.
Brücken? Plural? Ja. Berlin wäre nicht Berlin, wenn man erst mal langsam anfangen würde. 500 Meter von der Ringbahnbrücke entfernt, ebenfalls im Straßenverlauf der A 100, steht noch die nicht minder baufällige Westendbrücke. Auch die soll bis Dienstag nach Ostern abgerissen und der Schutt vollständig abgefahren sein.
Zwei Brücken in zwölf Tagen, und dann Neubau. Auch hier gibt es noch keinen Plan, aber bereits viele Ideen. Heiß diskutiert wird, dass die zukünftige Stadtautobahn an dieser Stelle nur zweispurig geführt wird, der dritte Fahrstreifen könne ein Radschnellweg werden. Hintergrund dieser Idee ist das Prinzip der „natürlichen Verkehrsverdunstung“. Die Grünen, Linke, Teile der SPD und eine Vielzahl von Umweltgruppen sind davon begeistert. Unter dieser Verkehrsverdunstung versteht man klar gesprochen: Wenn nur noch zwei Fahrspuren pro Richtung zur Verfügung stehen, suchen sich Autofahrer andere Wege. Und der Schwerlastverkehr? Der steht halt im Stau.
Entschieden ist allerdings noch nichts, da auch noch darüber gestritten wird, ob der Neubau EU-weit ausgeschrieben werden muss und ob es eines neuen Planfeststellungsverfahrens bedarf. Eines aber ist sicher: Die kaputte Autobrücke wird Berlin noch lange beschäftigen.