Dank den in ihren synthetischen Blättern eingelagerten biologischen Solarzellen samt Cyanobakterien kann eine neue Kunstpflanze die Innenraumluft drastisch verbessern. Gleichzeitig erzeugt sie dabei auch noch Strom.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat schlechte Luftqualität als größte Umweltgefahr für den menschlichen Körper und dessen Gesundheit eingestuft. Inzwischen sterben jährlich sieben Millionen Menschen an Folgeschäden, die durch das Einatmen verschmutzter Luft entstanden sind. Global jeder neunte Todesfall lässt sich schon auf diese Ursache zurückführen. Mehr als 90 Prozent der Menschen weltweit sind heiklen Luftbedingungen ausgesetzt, die bei Weitem nicht den von der WHO empfohlenen Qualitätsstandards entsprechen.
Doch diese Angaben beziehen sich ausschließlich auf die Außenluft. Obwohl die Luftqualität in Innenräumen aufgrund ständig vorhandener Verschmutzungsquellen, beispielsweise wegen der in Bau-, Einrichtungs- und Haushaltsprodukten enthaltenen Materialien oder menschlicher Aktivitäten wie Kochen, Heizen oder Putzen, häufig sogar noch erheblich schlechter ist als die Luftqualität im Freien. Das kann zunehmend zu einem gesundheitlichen Problem werden, weil die Mehrheit der Weltbevölkerung inzwischen mehr als 80 Prozent ihrer Lebenszeit in geschlossenen Räumen verbringt – und daher einem breiten, genau dort vorhandenen Spektrum an potenziell schädlichen Substanzen ausgesetzt ist. Wobei neben Partikeln biologischer Substanzen, Allergenen, Chemikalien und diversen chemischen Verbindungen wie Ozon oder Schwefeldioxid vor allem Kohlendioxid der wesentliche Schadstoff in Innenräumen ist.
Die Luft in Innenräumen ist auch verschmutzt
Eine chronische Belastung mit erhöhten CO2-Werten kann ernsthafte Erkrankungen zur Folge haben. Selbst kurzzeitig erhöhte Konzentrationen im Bereich von 1.000 bis 3.000 parts per million (ppm), wobei ein ppm einem Molekül Kohlendioxid pro einer Million Moleküle trockener Luft entspricht, können bereits die persönliche Wahrnehmungs- oder Entscheidungsfähigkeit erheblich beeinträchtigen. Über mehrere Stunden andauernde Belastungsniveaus bis 4.000 ppm können Entzündungsreaktionen auslösen und zu Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Müdigkeit führen. Zwar gibt es inzwischen verschiedene Richtlinien bezüglich einer akzeptablen CO2-Konzentration in Innenräumen, die EU beispielsweise empfiehlt maximal 800 ppm, in den USA gelten 1.000 ppm als empfohlener Grenzwert. Aber trotz dieser Richtlinien konnte in Studien nachgewiesen werden, dass die Werte in Schulen, Behörden oder U-Bahnen häufig 2.500 ppm übersteigen und zuweilen sogar Spitzen von über 5.000 ppm erreichen können.
Trotz dieser recht bedenklichen Entwicklung haben sich bislang die wissenschaftlichen Bemühungen um eine Senkung der CO2-Emissionen vor allem auf eine möglichst umfassende Reduktion des Kohlendioxids im Freien im Rahmen der globalen Bekämpfung der dramatischen Folgen des Klimawandels konzentriert. Während für die Verbesserung der Luftqualität in Innenräumen mehr oder weniger nur auf Klassiker wie das Öffnen von Fenstern oder den Dauerbetrieb von im besten Fall durch moderne Filter beziehungsweise entsprechende Sorptionsmaterialien aufgepeppten und daher ziemlich kosten- sowie energieintensiven Gebäudebelüftungssystemen gesetzt wird. Wobei aber in der Regel eine präzise Kontrolle des CO2-Gehalts in der Raumluft unterbleibt. Daneben hat sich in den letzten Jahren die Aufstellung von Zimmerpflanzen als wirtschaftlichste und umweltfreundlichste Methode zur Reduktion von CO2 in Innenräumen einen guten Ruf erworben. Weil sie CO2 absorbieren und stattdessen Sauerstoff freisetzen können, allerdings mit vergleichsweise niedrigen Gasaustauschraten. Zusätzlich können sie weitere Schadstoffe und luftgetragene Mikroben beseitigen sowie die Luftfeuchtigkeit regulieren. Allerdings erfordern sie einen hohen regelmäßigen Pflegeaufwand und können den Pollengehalt der Innenluft oder die potentielle Allergenität oft zusätzlich verbunden mit der Freisetzung von starken Duftstoffen erhöhen. Dennoch werden inzwischen zahllose luftreinigende Pflanzen angeboten, wobei die Monstera deliciosa wegen ihrer riesigen Blätter besonders angepriesen wird.
Auf die Idee, die natürliche Zimmerpflanze als wirksamer CO2-Senker durch eine Kunstpflanze zu ersetzen, waren Wissenschaftler der State University of New York at Binghamton laut einer Pressemitteilung der Forschungseinrichtung per Zufall und aus „reinem Spaß“ gekommen. Denn eigentlich beschäftigt sich das US-Team unter Leitung von Professor Seokheun Choi, der als Dozent an der Fakultät für Elektro- und Computertechnik tätig ist, seit vielen Jahren mit Untersuchungen zu bakterienbetriebenen Biobatterien. Doch der Ansatz ihrer Neuentdeckung wurde schnell als so interessant eingestuft, dass das Office of Naval Research – die für die Wissenschafts- und Technologie-Programme der US-Navy und des Marine-Corps zuständige Organisation – sogleich Fördergelder zur Verfügung gestellt hatte. Der von Professor Choi gemeinsam mit der Doktorandin Maryam Rezaie entwickelte Prototyp der Kunstpflanze ermöglicht eine 90-prozentige Reduzierung des Kohlendioxidgehalts der Raumluft und hatte damit weit den bei zehn Prozent liegenden Wert natürlicher Zimmerpflanzen übertroffen. Gleichzeitig konnte die synthetische Pflanze auch noch Strom erzeugen. Die Erkenntnisse ihrer Arbeit hatten die Wissenschaftler jüngst in einer im Fachmagazin „Advanced Sustainable Systems“ veröffentlichten Studie publik gemacht.
Das Licht im Raum zunutze machen
Optisch ähnelt die Kunstpflanze mit einem mittigen Stamm und fünf gezackten Blättern dem natürlichen Vorbild. „Das zusammengesetzte pflanzenähnliche Gerüst kann wie eine herkömmliche Pflanze in einen mit Erde gefüllten Topf gesetzt werden. Diese Anordnung ermöglicht die kontinuierliche Versorgung mit Wasser und Nährstoffen, die für das Wachstum und die Stoffwechselproduktion der Cyanobakterien in den Biosolarzellen unerlässlich sind“, so die Forscher. Denn der Clou des faszinierenden Geräts sind die in jedes der fünf synthetischen Blätter integrierten biologischen Solarzellen. Wobei jede einzelne Biosolarzelle aus einer mit einzelligen, in aquatischen Ökosystemen weit verbreiteten Cyanobakterien angereicherten Anode, einer Kathode und einer Ionen-Austausch-Membran besteht. Alle fünf Biosolarzellen sind elektrisch über metallische Pfade und in Sachen Fluidik über einen mikrofluidischen Kanal miteinander sowie mit dem für den Flüssigkeitstransport zuständigen Stamm verbunden. Die Cyanobakterien nutzen das Licht im Raum, um genauso wie natürliche Pflanzen Photosynthese zu betreiben und dabei Kohlendioxid in Sauerstoff umzuwandeln. Während dieses Prozesses werden überschüssige Elektronen freigesetzt und über die speziellen Membranen zur mit Eisenoxid-Nanopartikeln beschichteten Anode transportiert, wodurch es zur Ausbildung eines elektrischen Stroms kommt. Wobei die Erzeugung von Bioelektrizität durch die Entscheidung für die Cyanobakterien erleichtert wurde, weil diese für ihre sogenannten exoelektrogenen Eigenschaften bekannt sind, sprich für ihre Fähigkeit, Elektronen extrazellulär zu übertragen. „Transpiration und Kapillarwirkung versorgen jede Biosolarzelle mit Wasser und Nährstoffen und ahmen so die Nährstoffverteilung in lebenden Pflanzen und Bäumen nach“, so die Wissenschaftler.
Bei Tests mit dem Prototyp konnten die Wissenschaftler den Kohlendioxid-Gehalt in Innenräumen von 5.000 ppm auf 500 ppm senken. Diese Reduktion um bis zu 90 Prozent kann keine Zimmerpflanze auch nur annähernd erreichen. Die Stromgewinnung war bei einer Spannung von 2,7 Volt mit maximal 140 Mikrowatt noch relativ bescheiden ausgefallen. Professor Choi gab sich aber zuversichtlich, bald schon durch Verbesserung der Technologie eine Mindestleistung von über einem Milliwatt erreichen und zusätzlich ein Energiespeichersystem aus Lithium-Ionen-Batterien oder Superkondensatoren integrieren zu können. „Ich möchte diesen Strom zum Aufladen eines Mobiltelefons oder für andere praktische Zwecke nutzen können“, sagt Professor Choi. Zusätzlich erwägen die Wissenschaftler zur künftigen Verbesserung ihre Kunstpflanze den Einsatz mehrerer Bakterienarten zur Sicherstellung einer langfristigen Betriebsdauer und eine weitere Minimierung des ohnehin nicht allzu großen Wartungsaufwandes, was die Bereitstellung von Wasser und Nährstoffen betrifft. „Mit ein wenig Feinabstimmung könnten diese künstlichen Pflanzen in jedem Haushalt zu finden sein“, sagt Choi.