Ein neues Museum in Aschaffenburg widmet sich Leben und Werk des Künstlers Christian Schad. Der „Erfinder" der Neuen Sachlichkeit wird auf drei Stockwerken mit einer Gesamtschau gewürdigt.
Er wohnte in Zürich, Genf, Rom, Wien, Paris, Berlin. In Europas wichtigsten Kunstzentren probierte er sich in den großen Kunstbewegungen seiner Epoche aus: von Dadaismus über Expressionismus und Kubismus bis hin zur Neuen Sachlichkeit. Christian Schad (1894 – 1982) zählt zu den wichtigsten Vertretern der Moderne. Sein Lebenswerk gleicht einem Gang durch die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Seine Vielseitigkeit kann man im Christian Schad Museum bestaunen, das Anfang Juni im fränkischen Aschaffenburg eröffnete, wo der Künstler nach seinem Austoben in Europas Metropolen die letzten Lebensjahrzehnte verbrachte.
Nach Aschaffenburg hatte ihn 1942 der Auftrag eines ortsansässigen Adligen verschlagen. Dieser Freiherr hatte in einer Illustrierten Schads Porträt der im Nationalsozialismus beliebten Schauspielerin Kristina Söderbaum entdeckt. Er bat Schad, zunächst seine Frau, später ihn selbst zu porträtieren. So erhielt der Maler in Aschaffenburg Zugang zur feinen Gesellschaft und etliche Nachfolgeaufträge.
Dann bat ihn Wilhelm Wohlgemuth, Oberbürgermeister und SS-Sturmbannführer, die „Stuppacher Madonna" für die Aschaffenburger Stiftskirche zu reproduzieren. Dieses Hauptwerk des Renaissance-Malers Matthias Grünewald war in den Wirren der Reformation verschollen und im frühen 19. Jahrhundert im 100 Kilometer entfernten Bad Mergentheim wieder aufgetaucht. Als Honorar für seine originalgetreue Kopie des Marienbildes erhielt Schad die sensationelle Summe von 12.000 Reichsmark.
Als schließlich Schads Berliner Atelier von Bomben zerstört wurde, blieb er einfach in Franken. Jahrzehntelang lebte er in dem Spessart-Dörflein Keilberg unweit von Aschaffenburg. Hier wurde er auch begraben.
3.200 Werke aus allen möglichen Gattungen
Seinen Nachlass brachte Schads Witwe Bettina 2002 in eine von der Stadt verwaltete Stiftung ein. Aus deren Fundus kann das Museum nun schöpfen: ein riesiges Konvolut von mehr als 3.200 Werken aller Gattungen: Malerei, Zeichnung, Druckgrafik, Collage, Fotografie. Hinzu kommen zahlreiche persönliche Gegenstände, Briefe, Möbel und Bücher.
„Es gibt viele Museen, die einen Schad zu bieten haben", sagt Museumsdirektor Thomas Schauerte und zählt berühmte Häuser in München, Madrid oder New York auf. „Das sind aber alles Einzelstücke. Einen Werksquerschnitt kann man nur bei uns erleben."
Das Christian Schad Museum ist Teil der (bei gerade mal 70.000 Einwohnern) immerhin acht Häuser umfassenden „Museen der Stadt Aschaffenburg". Museumsdirektor Thomas Schauerte ist überzeugt: „Durch das neue Haus spielen wir als Museumsstandort in einer ganz anderen Liga."
Den Keim für die besondere Museumslandschaft in dem fränkischen Städtchen legte bereits Albrecht von Brandenburg aus dem Hause Hohenzollern, der Erzbischof von Mainz. 1541 zog Albrecht von seiner der Reformation zugewandten Residenz Halle an der Saale in die katholisch gebliebene Nebenresidenz Aschaffenburg. Seinen riesigen Kunstbesitz nahm er mit. Darunter den riesigen Magdalenen-Altar aus der Werkstatt von Lucas Cranach, der heute im Aschaffenburger Stiftsmuseum ausgestellt ist. Gleich nebenan, in der Stiftskapelle, ist Schads Kopie von Grünewalds „Stuppacher Madonna" zu sehen.
Später prägte der kunstsinnige König Ludwig I. von Bayern das Stadtbild. Er wählte Aschaffenburg als Sommer-Residenz und verwandelte das hiesige Main-Ufer in eine italienische Landschaft. Man promeniert hier unter belaubten Spalieren am Fluss entlang, vorbei am riesigen Schloss Johannisburg, durch einen schattigen Park mit rauschenden Brunnen. Schließlich zeugt das Pompejanum, der Nachbau einer römischen Villa, von der Antikenbegeisterung der bayerischen Könige.
Spaziert man vom Schloss in Richtung der Fachwerk-Altstadt, befindet sich das Christian Schad Museum auf halbem Wege. Untergebracht ist es in den denkmalgeschützten Spätrenaissance-Mauern des einstigen Jesuitenkollegs.
Im ersten Stockwerk geht es um die Biografie des Künstlers, der 1894 in Miesbach bei München geboren wurde. Hier hängt Schads größtes Werk, das rund vier Quadratmeter große Gemälde „Hochwald". Zu sehen ist das oberbayerische Alpenpanorama rund um die väterliche Jagdhütte. Im Zentrum ragt eine Tanne auf – eine Mischung aus „neusachlich" und Romantik à la Caspar David Friedrich.
Schad war der einzige Sohn einer großbürgerlichen Familie. Die Mutter kam aus einer Brauerei-Dynastie; der Vater war Notar. Bis ins fünfte Lebensjahrzehnt hinein erhielt Christian Schad eine großzügige elterliche Unterstützung. Dass er nicht vom Verkauf seiner Werke abhängig war, erlaubte ihm das Experimentieren und malerische Freiheiten.
Zudem half ihm der Vater, der Einberufung im Ersten Weltkrieg als Simulant zu entgehen: Ein befreundeter Arzt attestierte einen Herzfehler. Stattdessen geht es ins luxuriöse Schweiz-Exil. Schad besucht Zürich und Genf, schließt sich der Dada-Bewegung an; experimentiert mit Holzschnitten oder Schreibmaschinenbildern, erfindet seine einzigartigen abstrakten Lichtzeichnungen, die Schadographien.
Die Ikone der Neuen Sachlichkeit
Heute gilt Christian Schad als Leitfigur der Neuen Sachlichkeit. Zwischen 1920 und 1935 malte er seine bekanntesten Bilder in diesem Stil. 1930 entstand die „Mexikanerin", die wie eine Ikone auf den Broschüren und Plakaten des Museums prangt: eine Frau mit bezwingendem Blick, in Trachtenbluse gekleidet, vor der Kulisse mexikanischer Kakteen und Bergketten.
Das Bild ist ein Paradebeispiel für Schads Neue Sachlichkeit: unterkühlt, technisch perfekt, scharf geschnitten. Das ausdruckslose Gesicht wirkt wie eine Maske. „Die Darstellung ist vollkommen distanziert und emotionslos. Das ist der größte denkbare Kontrast zum Expressionismus", erklärt Museumsdirektor Thomas Schauerte, der dann sein Lieblingsbild in der Ausstellung zeigt: das „Kind im Gras", ebenfalls neusachlich präzise porträtiert; bis hin zu den Speckfältchen unterm Kinn
Das Museum beschränkt sich nicht auf Leben und Werk, sondern erzählt die an Brüchen reiche Geschichte des 20. Jahrhunderts, gespiegelt im Schicksal des Malers. Besonders eindrücklich gelingt das, wo es um Schads Zeit in Berlin geht. 1927 lässt sich Schad an der Spree nieder.
Die Ausstellungsmacher beschwören die Atmosphäre der Fernsehserie „Babylon Berlin" herauf. Schad tummelt sich im mondänem Großstadtleben, erkundet aber auch das Milieu der Kleinkriminellen, Prostituierten und Homosexuellen. Davon zeugt die Zeichnung „Liebende Knaben". Zu sehen sind zwei junge Männer mit nacktem Oberkörper, die sich zärtlich küssen.
In Berlin malte Schad seine bedeutendsten neusachlichen Porträts. So auch 1928 die androgyne „Sonja", die mit müden Augen und Zigarette selbstbewusst im Café sitzt – diese Ikone der Neuen Sachlichkeit hängt allerdings nicht in Aschaffenburg, sondern in Berlins Neuer Nationalgalerie. Die Berlinische Galerie in Kreuzberg wiederum zeigt Schads Porträt des vom Kommunismus enttäuschten Schriftstellers Ludwig Bäumer.
Die Anpassung an den Nationalsozialisten fiel dem wandlungsfähigen Künstler leicht. Bereits im Mai 1933 tritt er in der NSDAP ein. Seine realistische Kunst gilt nicht als entartet. „Er war der klassische Mitläufer", resümiert Thomas Schauerte.
1942 lernt Schad die junge Schauspielerin Bettina Mittelstädt kennen. Die Geliebte rettet Schads Bilder aus dessen zerbombten Atelier in Berlin und sorgt für den Transport nach Aschaffenburg. Dort heiraten die beiden nach Kriegsende.
Schads entscheidende Rolle bei der Entwicklung der modernen Kunst wurde erst in den 60er-Jahren erkannt. Die Neue Sachlichkeit war nun wieder gefragt. Schad knüpfte an seinen realistischen Malstil an, verband ihn aber nun mit seinem esoterischen, okkulten Weltbild. Seine Bilder zeigen nun Mythen, Visionen, tiefgründige Symbole; werden als „Magischer Realismus" etikettiert.
Im persönlichen Umgang hingegen veränderte sich der wandlungsfähige Künstler über die Jahrzehnte hinweg kaum. Zeitlebens soll er ein schwieriger Charakter gewesen sein.