Die Kreisreports zeigen aus Sicht von AK-Hauptgeschäftsführer Thomas Otto, wieviel in den vergangenen Jahren bereits getan wurde. Vor allem in Sachen Jobs und Qualifikation aber bleibe noch viel zu tun, so die Arbeitskammer – trotz mangelnder Finanzierung.
Herr Otto, Sie sprechen im Zuge der Reports intensiv mit den jeweiligen Landkreis-Ebenen. Wie blicken Sie auf die Veranstaltungen zurück?
Die Kreisreports werden in öffentlichen Veranstaltungen alle fünf Jahre im Zuge der Kommunalwahlen vorgestellt. Die Zahlen, die unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammengetragen haben, zeigen im Vergleich mit älteren Reports, wie sich die Kreise durch politisches Handeln über die Zeit verändern. Wir stellen generelle Zahlen vor, insbesondere zum Arbeitsmarkt, zur Finanzlage und vieles mehr. Spannend fand ich, dass wir in den einzelnen Kreisen vor allem bei den praktischen Themen viel diskutiert haben. Im Saar-pfalz-Kreis ging es beispielsweise um den ÖPNV, darum, wie schwierig es ist, diesen zu organisieren, aber auch, wie wichtig er ist, wie viel er kosten darf und muss, wie hoch die Qualität sein soll. Es gab auch lange Diskussionen über die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit und das Thema Pflege im Alter und es zeigt sich, wie viel in den Kreisen bereits dafür getan wird und welche Netzwerke dort aktiv an Problemlösungen arbeiten.
Welche Unterschiede sehen Sie zu den Reports vor fünf Jahren?
Vor fünf Jahren waren wir beim Thema Kitaplätze noch der Mahner, damals hinkte die Realität in den Kreisen der Entwicklung noch hinterher, obwohl bereits viel ausgebaut wurde. Heute sehen wir, was getan wurde, und das ist beachtlich viel. Die Statistik, die immer noch nicht genügend Plätze für den tatsächlichen Bedarf ausweist, ist nur die halbe Wahrheit, denn die andere Hälfte sind gute, kreative, innovative Konzepte in den Kreisen. Da tut sich wirklich eine Menge – alle Kreise nehmen das Thema sehr ernst und investieren im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Engpass in diesem Bereich bleibt der Personalmangel, an dem aber alle gleichermaßen arbeiten.
Sie zielen vor allem auf die Situation der Arbeitnehmer, welches Ergebnis sehen Sie hier?
Da sind die Landkreise und der Regionalverband sehr unterschiedlich aufgestellt und hier ist die Vernetzung untereinander wichtig. Es stellt sich etwa die Frage, warum der Landkreis Saarlouis eine Jugendarbeitslosigkeit von 1,9 Prozent ausweist, während sie im Land bei 5,7 Prozent liegt. Die Antwort: Weil unter anderem ein innovatives Projekt („Startbahn 25“) dort deutliche Erfolge zeigt. Eine Verantwortliche des Landkreises sagte dort in der Diskussionsrunde zu Recht, es sei wichtig, sich rasch um die Jugendlichen zu kümmern, damit sie nicht als Dauerkunden immer wiederkommen. Lösungen dafür gibt es auch in anderen Landkreisen, etwa im Landkreis Neunkirchen mit dem Projekt „AnschlussDirekt“. Der Regionalverband ist hier allerdings noch mal besonders herausgefordert, weil er die höchste Einwohnerzahl hat.
Gibt es Herausforderungen, vor denen alle Landkreise gleichermaßen stehen?
Ein hohes Niveau an Minijobbern und Teilzeitbeschäftigten, mehr als in anderen Bundesländern. Der Anteil der Frauen daran ist ebenfalls überdurchschnittlich. Dies kann man noch als Erbe aus unserer Montanzeit sehen: Wir haben zwar hohe Renten aus dieser Zeit, aber weniger Frauen, die voll sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben. Das Mehrverdienermodell ist hier tatsächlich noch weniger verankert als woanders. Diese Geringverdienerinnen zahlen weniger Steuern und weisen eine geringere Kaufkraft auf. Im Alter blicken diese auch auf weniger Rente im Geldbeutel und laufen stärker Gefahr, in die Altersarmut zu rutschen. Hier müssen auch die Kreise mit den Kommunen noch daran arbeiten, denn wir können uns angesichts des Fachkräftemangels niemanden leisten, der keine Möglichkeit hat, mehr zu arbeiten, der zu wenig qualifiziert oder gar nicht qualifiziert ist und keine abgeschlossene Ausbildung hat.
„Innovative Projekte zeigen deutliche Erfolge bei der Jugendarbeitslosigkeit“
Daran anschließend natürlich das Thema der Care-Berufe, in der Kita, der Schule, in Pflegeheimen. Hier geht es um die Attraktivität des Berufs, und die Landkreise haben dies natürlich nicht nur in der eigenen Hand. Auch das Thema Vergütung, die von Trägern wie Kommunen, den Kirchen oder dem Land gezahlt wird, spielt eine große Rolle. Wichtig bleibt auch die Qualifikation. Wer kaum oder nicht qualifiziert ist, keine Ausbildung hat, weist ein höheres Risiko für Altersarmut auf. Die Zahl derer, die nicht beschäftigt, in Qualifikation oder Ausbildung sind, liegt bei acht bis neun Prozent in der Großregion. Dies führt oft in den Niedriglohnsektor, der sowieso schon sehr hoch ist, und damit in die Altersarmut. Hier ist es wichtig, bereits bei den Jugendlichen anzusetzen, damit sie gar nicht erst im Niedriglohnsektor hängen bleiben. „Startbahn 25“ im Landkreis Saarlouis hat zum Beispiel schon über 2.000 Jugendliche erreicht hat. Hier werden diese sehr engmaschig betreut. Ähnliches geschieht im Landkreis Neunkirchen durch „AnschlussDirekt“. Solche Projekte funktionieren, müssen aber dauerhaft finanziert werden.
Finanziell geht es in jedem Landkreis um die bestmögliche Verteilung der Gelder. Kreise haben keine eigenen Steuereinnahmen, sie erhalten ihr Geld vor allem von den Kommunen. Viele Pflichtaufgaben erhalten Landkreise aber oft vom Bund, etwa in der Sozialgesetzgebung, bei der Jugendhilfe, der Pflege oder Ähnlichem. Sie bekommen so immer mehr Aufgaben, die sie aus eigenen Mitteln schultern müssen, werden vom Bund aber nicht entsprechend auskömmlich mit Geld bedacht. Das System ist überfordert. Deshalb braucht es hier neue Mechanismen im Konnexitätsprinzip, über die wir reden müssen.
„Keine Ausbildung zu haben, führt oft in den Niedriglohn-Sektor“
Die Migration bleibt ebenfalls eine Herausforderung. Sie ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass das Saarland seine Einwohnerzahl und damit auch seine Zahl der Arbeitskräfte halten kann, denn wir haben mehr Sterbefälle als Geburten. Und wir brauchen Migration für unsere Daseinsvorsorge. Die basiert auf der Zahl der Menschen in Deutschland, die auf der einen Seite arbeiten und Steuern zahlen, auf der anderen Seite erst Infrastrukturen rechtfertigen. Denn für weniger Bürger:innen können wir uns am Ende auch nur weniger Straßen, Internet und anderes leisten. Die Integration von Menschen, die hier neu in Deutschland ankommen, in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft ist dabei Aufgabe der Kommunen und Landkreise. Auch da gibt es sehr innovative Ansätze in den saarländischen Kreisen. Der Bund darf die Akteure vor Ort aber nicht allein lassen und muss unterstützen. Ein weiteres alles umspannendes Thema ist die Transformation unserer Industrie. In den „Industrie-Landkreisen“ Saarlouis, St. Wendel und dem Saarpfalz-Kreis ist man sehr aktiv in der Transformation der Standorte eingebunden. Der Saarpfalz-Kreis setzt stark auf Neugründungen, ohne den Blick auf die bestehende Industrie zu verlieren. Der Landkreis Saarlouis steht derzeit sehr prominent in der Transformation, wenn wir das Ford-Werk oder die Stahlindustrie betrachten.
„Wir brauchen Migration für unsere Daseinsvorsorge“
Was alle sehr ernst nehmen, ist die Arbeitsmarktpolitik – über Jobcenter, direkt mit der Bundesagentur für Arbeit oder in Eigenregie. Alle bauen auf eine starke regionale Wirtschaftsförderung mit innovativen Ansätzen. Die Projekte sind oft klein, der Aufwand, Fördermittel aus Berlin dafür zu erhalten, ist hingegen extrem hoch, personal- und zeitintensiv. Daher fordern wir schon lange Förderlotsen vom Land, die helfen, Projektmittel zu akquirieren. Die interkommunale Zusammenarbeit ist ebenfalls wichtig, Beispiele gibt es etwa im ÖPNV-Bereich.
Hilft denn der Saarlandpakt?
Wenn aus dem Bund heraus Aufgaben verteilt werden, die am Ende Kommunen und Kreise übernehmen, müssen mehr Aufgaben auch entsprechend bezahlt werden. Höhere Ausgaben der Kreise werden oft mit einer höheren Kreisumlage für die Kommunen beantwortet, doch wenn der Kreis der Kommune damit das Wasser abgräbt, ist niemandem geholfen. Die Einheit „Bürgermeister und Landrat“ kann nur gemeinsam diese Aufgaben bewältigen. Der Bund aber unterscheidet nicht ausreichend zwischen Kommunen, denen es gut oder schlecht geht. Im Saarland haben wir nun den Sonderfall des Transformationsfonds, auf den sicher auch manche Kommune schielt, davon aber höchstens indirekt profitiert. Hier investiert das Land, und das ist richtig. Der Saarlandpakt hilft natürlich den Kommunen, denn sie müssen mehr investieren, wir haben hier im Land ohnehin schon die niedrigste Investitionsquote aller Kommunen. Die Altschuldenregelung steht aber noch offen und müsste dringend angegangen werden.