Deutschlands Wälder sterben ab. Schuld daran trägt die Forstwirtschaft, sagt Peter Wohlleben. Deutschlands bekanntester Förster erklärt, was echte Wälder sind und warum man sie nicht klimaresilient machen kann.
Herr Wohlleben, wie geht es Deutschlands Wäldern?
Echtem Wald geht es noch relativ gut. Alte Laubwälder mit relativ hohen Biomasseanteilen haben die trockenen Sommer ganz gut überstanden. Aber ansonsten sieht es umso schlechter aus, je naturferner die Wälder sind. Das Naturfernste sind Nadelbaummonokulturen, und die sterben momentan großflächig ab.
Was bedeutet echter Wald?
Wir kennen einen Großteil der Arten in echten Wäldern gar nicht. Bei uns sprechen wir dabei von einem Laubwald mit rund 70 verschiedenen Baumarten. Leitbaumart ist die Buche. Deshalb reden wir von Buchenurwäldern. Dazu zählen nicht nur die Bäume, sondern viele verschiedene Pflanzen-, Pilz-, Bakterien- sowie Tierarten. Ganz wichtig ist: Echte Wälder haben intakte Böden. Weit über die Hälfte der deutschen Waldböden in befahrbaren Lagen sind kaputt gefahren von Maschinen. Das weisen die Bundesländer teilweise sogar selbst aus, wie zum Beispiel Baden-Württemberg, das als vorbildlich gilt.
Welche Folgen hat das?
Unsere stark aufgelichteten und mit Maschinen befahrenen Laubwälder heizen sich durch die Luft auf und trocknen aus. Denn durch Befahrungsschäden wird der Boden komprimiert und das Wasserspeichervermögen sinkt rapide. Die heimischen Laubbäume wie Buche und Eiche brauchen überwiegend Winterniederschlag im Sommer. Es kommt also nicht darauf an, ob der Sommer trocken ist, sondern ob der Winter feucht genug ist. Und darauf, ob die Böden diese Niederschläge speichern können. Es heißt immer, der Klimawandel sei schuld. In Wirklichkeit ist es aber so, dass die Forstwirtschaft diese Wälder sehr stark ramponiert und der Klimawandel diverse Schäden verstärkt.
Laut Dürremonitor des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) sind die Böden nach dem letzten Winter wieder gut mit Wasser versorgt und die Wälder können aufatmen. Stimmt das?
Bei den Wäldern, wo die Böden in Ordnung sind, sehe ich das genauso. Da kann man sich vorsichtig entspannen. Doch wir haben auf dem größten Teil der Fläche keine intakten Wälder. Entweder sind es ramponierte Laubwälder oder, auf immer noch über der Hälfte der Fläche, mit nicht heimischen Nadelbaumarten, wie Fichte, Kiefer, Douglasie und Lärche. Diese Bäume brauchen überwiegend Sommerniederschlag. Denen nützt es wenig, wenn die Waldböden jetzt voll mit Wasser sind. Wenn wir einen trockenen Sommer bekämen, wäre das Wasser in den oberen Bodenschichten, wo die Fichte unterwegs ist, sehr schnell wieder weg.
Laut dem Geschäftsführer des Landeswaldverbandes Baden-Württemberg liegt die Rendite von deutschen Wäldern bei ein bis zwei Prozent. Wie stark ist die Holzlobby wirklich?
Natürlich ist die Rendite von Wäldern nicht besonders hoch. Aber die Aufforstung wird in vielen Fällen durch die öffentliche Hand finanziert. Solange die öffentliche Hand für die Schäden und die Erstinvestition aufkommt, ist das immer noch ein gutes Geschäft.
Prof. Dr. Jürgen Bauhus aus Freiburg sitzt dem wissenschaftlichen Beirat Waldpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium vor. Er behauptet, die Selbstheilungskräfte der Natur seien ein evidenzfreies Narrativ und der Wald könne sich ohne Forstwirtschaft nicht selbst helfen. Damit steht er stellvertretend für die Haltung der gesamten Branche. Aus dieser Haltung heraus muss man Bäume fällen und wieder pflanzen. Das nennt sich dann Waldpflege. Deswegen glaube ich auch Menschen in der Branche, die sagen, es ginge ihnen nicht um Geld. Aus konservativen Kreisen und von den renommiertesten Forstwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern bekommen sie vorgelebt, sie müssten den Wald vor sich selbst retten.
Also braucht es gar keinen Waldumbau?
Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass unsere heimischen Waldökosysteme erstaunlich anpassungsfähig sind. Die Buche als Leitbaumart kann sich überraschend schnell anpassen und erholt sich gut nach Trockenjahren. Das System reagiert. Und wir wissen nicht im Detail, wie. Man kann Wald nicht klimaresilient anpassen, weil niemand weiß, wie das Klima in fünf oder zehn Jahren wird. Dabei muss man gar nicht so weit in die Zukunft blicken.
2023 hat es die ganze Forschungsgemeinde überrascht, wie stark der Klimawandel angezogen hat. Es kann aber auch in die andere Richtung gehen, zum Beispiel, wenn der Golfstrom erlahmt. Dann kann es hier lokal im Winter empfindlich kalt werden. Wir sollten nicht anfangen, auf Klimaszenarien hinzubasteln, die teilweise 200 Jahre in der Zukunft liegen. Denn wir müssten es ja noch dazu lokal für genau den Berghang vorhersagen, den wir gerade aufforsten. Überall dort, wo wir Wald in Ruhe lassen, sehen wir, dass er sich sehr gut selbst organisiert.
Wie stehen Sie zu Versuchen mit mediterranen Baumarten?
Diese Versuche halte ich für schlecht. Seit 200 Jahren versucht die Branche, es besser zu machen als die Natur, zum Beispiel mit Fichte oder Kiefer. Dann stellt sie fest, dass es nicht klappt, und probiert wieder das nächste. Ich sage: Hört auf zu experimentieren, wir haben ein funktionierendes Ökosystem. Den Regenwald im Amazonas versucht auch niemand klimaresilient zu machen, obwohl der von den Rändern her eintrocknet. Unsere Wälder sind auch Regenwälder, aber eine andere Art. Da gelten dieselben Spielregeln, denn Natur kennt keine menschlichen Staatsgrenzen.
Können Sie das an einem Beispiel erklären?
In einem Experiment wurden Weißtannen aus Südeuropa in den Schwarzwald gebracht, weil man dachte, dass sie sich im Süden schon besser an Trockenheit und Wärme angepasst haben. Weißtannen gibt es im Schwarzwald auch und man ging davon aus, dass dieselbe, angepasste Baumart dort gut wachsen müsste. Das Ergebnis war, dass sie nicht richtig gewachsen ist, weil die Pilze nicht kooperierten. Da sieht man, wie fragil dieses Ökosystem ist. „Dieselbe Baumart“ ist eine menschliche Kategorie. Wir Menschen unterscheiden uns auch sowohl genetisch als auch epigenetisch. Wenn wir eine Baumart in ein Ökosystem einbringen, die dieses noch nie gesehen hat, kann das unabsehbare Folgen haben.
In Kroatien muss nach einem Brand ein paar Jahre mit Neupflanzungen gewartet werden, um zu sehen, ob der Wald sich von alleine regeneriert. Sollte Deutschland auch so ein Gesetz auf den Weg bringen?
Bei uns sind es weniger Waldbrände, wobei es auch dazu Experimente gibt. Beispielsweise „Pyrophob“ in Brandenburg. Da wird genau das untersucht. Man sieht, dass nach einem Feuer sofort ein resilienter Wald von alleine zurückkommt. Und dasselbe sollte auch für Borkenkäferflächen gelten, nämlich ein Kahlschlagverbot. Die Forschung zeigt ganz deutlich, dass auch vom Borkenkäfer befallene Flächen kühler und feuchter sind, solange die toten Bäume stehen bleiben. Und der Nachfolgewald kommt deswegen sehr viel schneller zurück, weil die ganze Biomasse noch da ist. Die umgefallenen toten Bäume wirken wie ein natürlicher Zaun, wodurch das Wildproblem geringer ist. Es hat also nur Vorteile, diese Flächen stehen und liegen zu lassen. Das Holz ist im Übrigen auch nicht besonders viel wert. Es wird in großen Mengen nach China verschifft, weil es hierzulande in Teilen gar nicht absetzbar ist.
Wie schätzen Sie die aktuelle Rehwildpopulation und die Rolle der Jagd ein?
Von Natur aus regelt sich das am besten selbst, auch dazu gibt es aktuelle Studien. Die Bäume halten sich das Rehwild selbst vom Hals und zwar durch Lichtmangel am Boden. Wenn wir dagegen Forstwirtschaft machen und Bäume fällen, bringen wir Licht in den Wald. Dann kommt Wärme hinein, es wird durch Humusabbau Stickstoff frei und die Brombeere wächst. Durch ihre wintergrünen Blätter haben die Rehe auch im Winter genug zu fressen, und die Population steigt. Ich habe nichts gegen Holznutzung, aber das Säugetierproblem wird auch durch die Forstwirtschaft erzeugt. Gibt es im Winter nicht genügend zu fressen für Pflanzenfresser, verschwinden sie. Ich habe früher auch die Meinung vertreten, dass mehr geschossen werden muss. Aber mittlerweile sage ich: Das ist kein ökologisches, sondern ein ökonomisches Problem.
Wie lassen sich Ökologie und Ökonomie im Wald in Einklang bringen?
Das weiß niemand. Die Forstwissenschaft behauptet, das zu wissen, aber dem ist nicht so. Wir drehen weiter an der Klimaschraube. Je trockener und heißer es wird, desto mehr Biomasse braucht der Wald, um Feuchtigkeit zu halten und sich selbst zu kühlen. Jede Holzernte schadet diesem System. Die Frage ist, wie stark. Aktuell ist ein moderater Holzeinschlag in Ordnung. Wobei man sagen muss, dass wir kaum noch intakte Wälder haben und wir diese dringend schützen müssten. Unser wichtigstes Gut aus dem Wald ist nicht Holz, sondern Kühlung, Wasser und die Erholung. Das ist der Bevölkerung laut Umfragen wesentlich wichtiger als Holz.
Was würden Sie sich von der Bundesregierung für die deutschen Wälder wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass endlich Satelliten- und Drohnenaufnahmen stärker berücksichtigt würden. Wir haben eine zehnjährige Bundeswaldinventur, die aktuelle läuft gerade noch. Die Daten sind schon wieder veraltet, bevor sie veröffentlicht werden. Wir haben die Möglichkeit, den Gesundheitszustand von Wäldern tagesaktuell zu erfassen. Von solchen Parametern könnte man die Holzernte abhängig machen und permanent anpassen. Denn auch der Klimawandel schlägt nicht nur alle zehn Jahre zu. Dann sollte man alle Faktoren diskutieren, die Wald beeinflussen. Die Forstwirtschaft als wichtigster Faktor wird jedoch regelmäßig ausgeklammert. Dazu muss man wissen, dass forstliche Institute, die oft zu den Umweltministerien gehören, die wiederum über die Forstverwaltungen zu den größten Holzverkäufern in Deutschland zählen, die Daten selbst erheben. Es geht mir nicht darum, die Forstverwaltungen schlecht zu machen, sondern ich würde vorschlagen, die Bevölkerung selbst entscheiden zu lassen, was sie vom Wald will.
Hat die Bevölkerung wirklich das Beste für den Wald im Sinn?
Laut Umfragen ist sie tatsächlich ganz gut informiert. Sie lässt sich nur leicht umstimmen, sobald sie beginnt, mit Försterinnen und Förstern zu diskutieren. Grundsätzlich halte ich eine stärkere Bevölkerungsbeteiligung für gut, zudem bräuchten wir ein Klagerecht für die Natur. Das gibt es in Neuseeland bereits für einen Fluss oder in Ecuador für Mutter Natur. Es wurde in der Verfassung verankert und mit einer Zweidrittelmehrheit beschlossen. „Mutter Natur“ hat übrigens schon einen Prozess gegen einen staatlichen Bergbaukonzern gewonnen. Warum sollte das bei uns nicht gehen? Man könnte das gesetzlich viel besser verankern. In Frankreich gibt es solche ersten Bemühungen bereits.
Wie sieht der Wald der Zukunft aus?
Das weiß niemand, weil sich die Rahmenbedingungen ändern. Ich persönlich würde vermuten, dass sich unsere heimischen Buchenwaldsysteme noch eine ganze Weile halten. Aber wenn sich das Klima verschiebt, werden wir im Wald auch Reaktionen darauf sehen. Um zu sehen, in welche Richtung, bräuchte ich jedoch eine Glaskugel.
Ich würde die Bestrebungen darauf legen, dass sich das Klima nicht weiter verändert. Waldökosysteme wird es immer geben, Menschen hoffentlich auch, aber das ist nicht ganz so sicher. Mir reicht der Blick auf den aktuellen Zustand und der stimmt mich noch hoffnungsvoll – vorausgesetzt, wir reagieren jetzt endlich.