Es sollte der größte Kampf ihres Lebens werden – doch es endete in einer riesigen Enttäuschung. Der abgesagte WM-Kampf in Puerto Rico beschäftigt die Berliner Boxerin Nina Meinke bis heute. Sie hofft auf eine neue Chance.
An ihrem 31. Geburtstag am 4. März bekam Nina Meinke von ihrem Promoter eine herzerwärmende Nachricht. „Deine Leidenschaft, Hingabe und der unerschütterliche Wille haben nicht nur beeindruckende sportliche Erfolge gebracht, sondern auch die Herzen vieler Menschen erobert“, schrieb P2M-Boxpromotion in einem Post auf Social Media an die Federgewichtlerin aus Berlin: „Du bist nicht nur eine beeindruckende Sportlerin, sondern auch eine wahre Weltmeisterin der Herzen.“ Liebgemeinte Worte, doch eigentlich wollte Meinke ihren 31. Geburtstag als echte Weltmeisterin feiern. Die Chance dazu wurde ihr genommen. Meinke war bereit für den größten Kampf ihres Lebens, beim Trainingslager in der Dominikanischen Republik zuvor war die Patentochter von Ex-Weltmeister Sven Ottke bis an die Grenzen gegangen. „Mehr hätte ich nicht machen können“, sagte sie. In San Juan, der Hauptstadt Puerto Ricos, wollte „The Brave“ (die Mutige), wie sich Nina Meinke nennt, in einer ausverkauften Halle vor 18.500 Zuschauern die Lokalmatadorin und Vierfach-Weltmeisterin Amanda Serrano entthronen und ein Stück deutsche Box-Geschichte schreiben. Doch der Kampfabend Anfang März endete, bevor er überhaupt begann.
„Mehr hätte ich nicht machen können“
Mit einer weißen Sonnenbrille im Gesicht verkündete Serrano im Ring, dass sie aufgrund einer am Vortag erlittenen Augenverletzung nicht antreten könne. Sie schluchzte, weinte, entschuldigte sich „aus tiefstem Herzen“ und erklärte, sie könne „kaum etwas sehen“ und sei vom Arzt ausgebremst worden („Ich wollte euch eine große Show zeigen“) – doch das Publikum zeigte kaum Erbarmen. Es wurde gebuht und geflucht. Noch enttäuschter war Nina Meinke, die kopfschüttelnd den Worten ihrer Kontrahentin lauschte. Sie sei zwar „am Boden zerstört“, sagte die deutsche Boxerin im TV-Interview. Doch sie verzichtete darauf, ihrer Gegnerin unlautere Absichten zu unterstellen: „Ich hoffe, Amanda geht es bald wieder gut und sie erholt sich schnell.“ Auch aus Eigennutz. Denn der Titelkampf soll aus Sicht der Pflichtherausforderin so schnell wie möglich nachgeholt werden. „Ich warte auf dich, ich bin bereit, wenn du es bist“, sagte Meinke in Richtung der Weltmeisterin: „Ich hoffe, dass dieser Kampf stattfinden wird.“
Klar ist zunächst aber nur eins: Meinke und ihr Team bekommen die vor dem Fight vertraglich vereinbarte Kampfbörse komplett überwiesen. Das bestätigte Serranos Management unmittelbar nach der Absage. Von einem neuen Kampftermin war aber auch Wochen danach nichts bekannt. Doch Meinke braucht einen WM-Titel, um sich in Deutschland und der Boxwelt einen noch größeren Namen zu machen. „Es ist ihre Visitenkarte, die Nina abgibt“, sagte ihr Trainer Kay Huste: „Dass die Welt sieht: Guck mal, die Nina Meinke, die kann echt boxen. Die ist echt stark. Das ist echt ein krasses Mädchen.“ Meinke wollte sich in Puerto Rico nämlich nicht nur mit WM-Titeln schmücken, sondern auch für mehr Gleichberechtigung in ihrem Sport eintreten. Der Kampf gegen Serrano war über zwölf Runden mal drei Minuten angesetzt, was im Frauenboxen unüblich ist. Dort sind zehn Runden à zwei Minuten Standard. Meinke selbst hat noch nie über diese bei Männern gängige Distanz geboxt, fühlte sich aber bereit für ihre Premiere: „Ich bin stolz, ein Teil dieser Bewegung zu sein.“
Doch das muss nun noch etwas warten, genau wie ihr eigener großer Durchbruch. Das tat auch Regina Halmich leid, die als DAZN-Expertin den Kampf für das deutsche Publikum eigentlich kommentieren sollte. Stattdessen musste die Ex-Weltmeisterin, die das Frauen-Boxen hierzulande während ihrer aktiven Karriere mit ihrem Erfolg und Auftreten auf ein völlig anderes Niveau gehoben hatte, eine Farce kommentieren. „Ich bin total geschockt“, sagte Halmich. In ihren über 35 Jahren in diesem Business sei ihr so etwas noch nie vorgekommen. Ihr vernichtendes Fazit lautete daher: „Es ist wirklich der unglücklichste Ausgang für diesen historischen Frauen-Boxkampf.“ Halmich zeigte Mitleid für Meinke, die „so viele Monate auf diesen Kampf hintrainiert“ habe und dann von Serrano bis zum Betreten des Rings im Unklaren über ihre Verletzung gelassen worden sei. „Es wirft Fragen auf, und ich muss wirklich sagen: Das ist nicht in Ordnung.“ Angeblich habe Serrano am Vortag beim Laufen eine Chemikalie ins Auge bekommen, die zu einer Hornhautverletzung geführt habe. Schon beim offiziellen Wiegen hatte die Weltmeisterin der Verbände IBF, WBO, WBA und IBO eine Brille getragen und den Augenkontakt mit Meinke möglichst vermieden.
Am Ende nur noch motivierter als zuvor
Doch zurückzublicken und der verpassten Chance hinterherzutrauern, bringt Nina Meinke nichts. Sie wird weiter angreifen und auf einen neuen Termin hoffen. Und mit Rückschlägen kennt sich die Berlinerin aus. „Wir haben schon zweimal um die WM geboxt und zweimal verloren, unglücklich verloren“, sagte ihr Trainer Huste mit Blick auf die Titelkämpfe gegen die Dänin Sarah Mahfoud (22. April 2022) und die Irin Katie Taylor (29. April 2017). „Aber Nina ist immer wieder aufgestanden“, bekräftigte Huste: „Wir haben weitergearbeitet, uns weiterentwickelt, und so langsam kommen die Früchte.“ Die Zeit für die ganz großen Kämpfe und Erfolge sei gekommen, meint Meinke selbst: „Denn man hat als Boxerin nur ein gewisses Zeitfenster. Mit 30 hat man das Gefühl, jetzt wird es eng.“ Zumal sie sich auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft fühlt. „Ich sehe mich jetzt in der besten Phase. Ich fühl mich gut, das Team, das Umfeld – alles passt.“ Ihr fehlt zwar ein professioneller Boxring, doch das Fitness-Studio, das sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten in Berlin-Steglitz aufgebaut hat, bietet ihr gute Trainingsmöglichkeiten. Das Sparring absolviert sie meist bei den Boxern des Berliner TSC in Prenzlauer Berg.
Bedingungen, bei denen Serrano müde lächeln kann. Die 35-Jährige ist ein Superstar im Frauenboxen – und entsprechend sind ihre Trainingsbedingungen in der Heimat Puerto Rico. Serrano hat 46 von 49 Profikämpfen gewonnen, 30 davon durch Knock-out. „Sie ist die Endgegnerin“, sagte Meinkes Trainer Huste: „Die wollen wir boxen und die wollen wir schlagen. Das ist unser großes Ziel.“ Er traut seinem Schützling den Coup durchaus zu, denn neben dem notwendigen Ehrgeiz und Eifer habe Meinke noch eine andere „große Waffe“, wie ihr Trainer verriet: „Sie ist perfekt ausgebildet, eine sehr gute Boxerin, sehr schnell, sie hat ein gutes Auge. Und vor allem, wenn sie locker im Kopf bleibt, ist sie schwer zu fassen.“ Meinke bestätigt, dass sie für Bestleistungen im Ring den Spaß nicht verlieren dürfe. „Natürlich ist alles ernst“, sagte sie, „aber je ernster und verkrampfter man ist, umso schlechter boxe ich.“
Deshalb will sich Meinke von der riesigen Enttäuschung in Puerto Rico nicht runterziehen lassen, zumal ihr der Trip ansonsten so viel gegeben hat. Sie hat sich in das Land und die Leute verliebt, gerne würde sie schnell zurückkehren und zeigen, was sie kann. Und vielleicht wird ihr Traum vom WM-Titel ja mit etwas Verspätung wahr. Die Absage ihres größten Kampfes hat Meinke nur noch zusätzlich motiviert: „Das lässt mich bis heute nicht los und wird mich auch nicht loslassen, bis wir beide im Ring stehen. Dieser Kampf steht mir zu!“