Seit Jahrzehnten wird über das dürftige Lern-Niveau an den deutschen Schulen diskutiert. Die Verbesserungen sind überschaubar, glaubt man den Pisa-Studienergebnissen. Unterrichtsausfall und Lehrermangel sind dabei kein neues Phänomen im Bildungssystem.
Dritte Stunde an der Barnim-Grundschule in Berlin-Schöneberg, kurz nach zehn Uhr am Vormittag. 34 Schüler sitzen zusammen im Klassenraum. Es herrscht Unruhe, in den hinteren Reihen wird viel gefeixt, der Musikunterricht wird nicht von allen Viertklässlern so richtig ernst genommen. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, doch die Schüler sind so aufgekratzt, weil die Musikstunde vom Mathelehrer übernommen werden musste. Lehrermangel.
Die Szene spielte sich bereits vor genau 50 Jahren, 1974, ab und der Autor dieser Reportage war dabei, in den hinteren Reihen des Klassenraums. Schon damals war es um das Lern-Level im alten West-Berlin nicht so gut bestellt. Schon damals wurde gefordert: Kleinere Klassen, mehr Geld und mehr Lehrer. Heute, 50 Jahre später, ist die Forderung immer noch die alte. In den fünf Jahrzehnten dazwischen haben die Bildungspolitiker, angeführt von Ministern und Senatoren, immer wieder versprochen, jetzt komme die Schulreform, mehr Geld für die Schulen und damit auch mehr Lehrer und besseres Lehrmittel.
Lehrermangel und Ausfall von Unterricht
Doch noch heute ist vor allem an den staatlichen Schulen der Overheadprojektor das gängige Mittel zur Präsentation und flächendeckende, stabile Internetversorgung der Lehranstalten ist eher die Ausnahme, ganz abgesehen von den dazu benötigten Tablets oder Laptops. Allerdings muss man gerechterweise zumindest drei Bundesländern nach der Pisa-Studie bescheinigen, dass es dort ein bisschen besser zu laufen scheint. Die ersten drei Plätze belegen erneut Sachsen, dann Bayern gefolgt von Thüringen. Hinten liegen wie immer Berlin und Bremen. Grund für diesen Unterschied bei den Lern- und Lehr-Erfolgen an den Schulen ist das föderale System. Bildungspolitik ist Ländersache: Der Bund darf zwar gerne Geld geben, was damit dann gemacht wird, entscheidet im Grunde jedes Bundesland für sich selbst. Immer wieder wurde und wird darüber diskutiert, ob dieser Föderalismus eventuell ein Grund für die Dauer-Misere an den deutschen Schulen ist.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) will dies auf FORUM-Nachfrage nicht gelten lassen. So könne man nicht einen bundesweit einheitlichen Lehrplan für alle Sekundarstufen aufstellen, „jede Region hat ihre Besonderheiten und diese müssen sich auch in den Lehrplänen wiederfinden“. Sonst will sich Stark-Watzinger mit weiteren Kommentaren zu diesem Thema zurückhalten und auch keine Vorschläge machen. Dazu ist dieses Thema zu sensibel. Bildung ist eben Ländersache.
Im Januar hat die saarländische Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) den Vorsitz der Kultusministerkonferenz übernommen. Auch für sie hat die problematische Lage an den Schulen nichts mit der Länderhoheit zu tun, ganz im Gegenteil. „Auch in meiner Amtszeit als Vorsitzende der Kultusministerkonferenz wird es vor allem um die Gewinnung von Fachkräften, also mehr gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern gehen, vor dieser Aufgabe stehen wir jetzt. Das heißt, schlagkräftiger, nach außen sichtbarer zu werden und so auf die drängenden Fragen dieser Zeit auch gute Antworten zu finden.Das sind die drei großen Aufgaben auch in meiner Amtszeit“. Streichert-Clivot muss auf FORUM-Nachfrage allerdings einräumen, „dass das ein oder andere zwischen den Ländern agiler und schneller gehen müsste“.
Eine ähnliche Ausrichtung hatte auch schon ihre Vorgängerin als KMK-Vorsitzende, die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) vor einem Jahr bei ihrem Amtsantritt gegenüber dem FORUM verkündet. Die 40-Jährige kennt die Probleme an den Berliner Schulen nicht nur aus der Sicht einer Politikerin. Als Mutter dreier schulpflichtiger Kinder kennt sie die Verhältnisse an den Berliner Schulen auch aus Elternsicht. Allerdings sieht sie nicht, dass es an den Schulen nicht vorangeht: „Die Schulen haben neue und mehr Aufgaben bekommen, der akute Fachkräftemangel ist längst auch an den Schulen angekommen. Gerade die Schulen haben seit Jahren eine zusätzliche Herausforderung, wir haben sehr viele Kinder und Jugendliche mit einer Zuzugsgeschichte, eine Aufgabe, die wir vor Jahren in dieser Dimension gar nicht hatten“.
Mehr Geld für Bildungssystem
Für Bildungs-Senatorin Günther-Wünsch sind das aber keine Probleme, sondern Herausforderungen, auf die man eben schnell Antworten finden muss. Und die 40-Jährige sieht dabei selbstverständlich den Föderalismus nicht als Störfaktor, sondern auch als eine Chance für einen guten Austausch zwischen den Ländern. Das mit dem „guten Austausch zwischen den Ländern“ ist sicherlich richtig, nur bei der Gewinnung von Fachkräften, sprich Lehrerinnen und Lehrern, gerät das ironischerweise für Berlin auch schnell mal zum Nachteil.
Lisa-Marie hat an der Freien Universität auf Lehramt studiert, ihre Referendarzeit hat sie an einer Neuköllner Gesamtschule „über sich ergehen lassen“, wie es die 29-Jährige heute bezeichnet. Nach dem Studium bekam sie sofort ein Jobangebot in Berlin, was sie aber dankend ablehnte. Heute ist Lisa-Marie Lehrerin an einer Schule in Potsdam-Babelsberg. Abgesehen davon, dass der Unterrichtsalltag dort erheblich „ruhiger“ abläuft als in Berlin, bezahlt das Land Brandenburg seine Lehrkräfte auch besser als die Hauptstadt. Da musste sie damals nicht lange über ihre berufliche Zukunft nachdenken. Denn nicht nur die Lehrpläne, sondern auch die Bezahlung der Lehrkräfte ist Ländersache. Berlin hat in diesem Bereich schon nachgesteuert, aber auch die Arbeitsbedingungen in anderen Bundesländern sind einfach besser.
Gewerkschafterin Sylvia Bühler kennt diese Problematik nur zu gut. Bühler ist Mitglied im Verdi-Bundesvorstand und für Bildungsfragen zuständig und spannt den Bogen etwas weiter. „Das ist ja nicht nur an den Schulen das Problem, sondern das betrifft ja auch Kitas oder Hochschulen. Bund und Länder müssen endlich ihre Kleinstaaterei aufgeben. Alle müssen aber auch begreifen, dass wir deutlich mehr Geld für unser Bildungssystem brauchen, sonst schaffen wir die anstehenden Herausforderungen nicht“. Sylvia Bühler weiß nur zu gut, dass dies vermutlich auch in Zukunft nur ein frommer Wunsch bleiben wird und in Anbetracht der klammen Kassen bei Bund und Ländern nicht mehr Geld ins Bildungssystem fließen wird.
Im Januar 2025 wird die derzeitige Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Christine Streichert-Clivot, turnusgemäß den Bildungs-Staffelstab an ihre Nachfolgerin weiterreichen und diese wird dann ebenfalls Dinge sagen wie:
„Wir müssen schlagkräftiger, nach außen sichtbarer werden und so auf die drängenden Fragen dieser Zeit, auch gute Antworten zu finden“.